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In der Kleingartenkolonie

„Drei rechts 30“, Manni sagt mir die Fahranweisungen an wie es einst Mikki Faamalhinne der finnischen Rallye-Legende Rauno Aaltonen auch ansagte. Aaltonen, den ich übrigens persönlich kenne, ist bei vielen längst vergessen, aber nach wie vor ist er in meinen Augen einer der besten Rallyefahrer der Welt, aber das nur nebenbei.

Ich biege also an der dritten Straße rechts ab, halte mich an die 30er Geschwindigkeitsbegrenzung und höre wie Manni ansagt: „Zwo links langsam“. An Mannis komische Anweisungen habe ich mich gewöhnt, wir finden den Blaukehlchenweg. Der ist auf keiner Karte und in keinem Navigationsgerät zu finden, es ist einer von 30 Wegen oder mehr in der Kleingartenanlage „Zur sonnigen Weinlaus“ und hier gibt es nur Gartenlauben, in denen man laut Satzung keinesfalls wohnen darf, im Grunde darf man sich nicht einmal darin aufhalten, wie man überhaupt am besten seinen Kleingarten dort gar nicht betritt und ihn trotzdem peinlichst sauber in Ordnung hält. Der Vorstand und der Kassier, so nennen sich der Vorsitzende und der Kassierer, achten da persönlich mehrmals täglich drauf und haben die an die 200 Seiten starke Satzung der „Sonnigen Weinlaus“ auswendig gelernt.

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So ist es kein Wunder, daß die beiden auch schon vor uns da sind, denn sie sind ja die Verantwortlichen, kommen direkt nach dem lieben Gott und haben mehr zu sagen als der Papst. Der Kassier winkt mit einer Taschenlampe aus dem Hause Augenbrenner und blendet mir mit dem Flakscheinwerfer immer schön direkt in die Augen. Manni muß aussteigen und dem Mann das Ding wegnehmen, sonst brennt der mir noch die Netzhaut weg. Endlich sehe ich wieder was und Manni dirigiert mich mit dem Leichenwagen durch den engen Blaukehlchenweg. Der ist kaum 20 cm breiter als unser Wagen, aber wir müssen da hin, der alte Herr Lämmert ist gestorben und hat das völlig verbotenerweise in seiner Gartenlaube gemacht, so ein Satzungsfrevler!

Obwohl es mitten in der Nacht ist, gehen doch an erstaunlich vielen Lauben die Lichter an, natürlich alles Kleingärtner, die noch ganz zufällig -von der Arbeit ermattet- sich noch etwas ausgeruht haben. Wohnen oder übernachten tut da ja keiner, das wäre ja verboten. Frauen in bunten Bademänteln mit Lockenwicklern im Haar, Männer in weißem Feinripp, man versammelt sich hinter unserem Wagen und reckt neugierig die Hälse. Da habe sich einer umgebracht, wissen die einen, die anderen wissen mehr und erzählen von einer grausamen Bluttat bei dem Türken. Das hat ja so kommen müssen, wenn schon ein Türke einen Kleingarten anmietet.
Das sei ja gar kein Türke, der esse doch immer Schweinefleisch, nein die kommen doch aus Weißrussland oder der Ukraine, vielleicht aber auch aus Polen. Nein, Polen, das könne nicht stimmen, der habe ein ganz neues japanisches Auto und bei den Polen wisse man doch, daß die nur deutsche Autos…

Der Vorstand ist da, winkt mit den Leichenpapieren und kräht wie ein Gockel auf dem Mist: „Ich bin hier zuständig!“
Ein anderer Mann in pastellfarbenem Trainingsanzug reklamiert für sich: „Und ich habe ihn gefunden.“
Der Kassier, mittlerweile wieder im Besitz seiner Lichtstrahlwaffe, besteht aber darauf: „Ich bin der Verantwortliche!“

Herr Lämmert ist weder Türke, noch Pole und schon gar nicht hat er sich umgebracht. Sein Herz hat versagt und am Küchentisch ist er zusammengesunken. Der Arzt hat ihn auf den Boden gelegt, wobei ihm der Gartennachbar des Lämmertschen Zwerganwesens geholfen hat, der den Kreis der Zuständigen, Involvierten und Verantwortlichen um eine weitere Person vergrößert. Natürliche Todesursache.
Na denn.

Es ist nicht daran zu denken, den Bestattungswagen wenden zu können, weiter an das Grundstück heranfahren können wir auch nicht, da steht eine Linde mit drumherumgebauter Bank im Weg.
Wir müssen also die Trage ausladen, über den Wagen nach vorne reichen und den alten Herrn Lämmert aus seiner Laube holen.
Kurz darauf ist er sicher auf der Trage verschnürt, die Trage wieder abgedeckt und so kommen Manni und ich aus der Laube. Nun wäre es natürlich nicht schlecht, wenn einer oder mehrere der um uns herumhüpfenden Verantwortlichen mal mit anpacken würde.
Wir müssen die Trage sozusagen seitlich am Wagen vorbei durch eine Lebensbaumhecke („Das ist Buchsbaum, Sie Ignorant, ich muß das wissen, ich bin hier der Baumwart!“) heben und können sie dann erst verladen. Das wäre kein Problem, würde jemand helfen. Tut aber keiner. Die Feingerippten verpissen sich, die Frauen machen „Ach Gott, o Gott!“ und verpissen sich auch und die Verantwortlichen versammeln sich vor dem Wagen um ganz dringend einen Blick in den Pachtvertrag des Herrn Lämmert zu werfen, man muß ja wissen, wie es weitergeht.

Wir haben die Trage in Hochstrecke, stemmen mit den ausgestreckten Armen etwa 80 Kilo, da tönt Gesang an unser Ohr.
Ein Mann nähert sich von hinten. Er sitzt auf einem Fahrrad, tritt aber so langsam in die Pedale, daß er beinahe umzufallen droht. Dabei singt er aus voller Kehle: „Ich weiß nicht was soll es bedeuten?“
Hinten auf dem Gepäckträger hat er eine weiße Milchkanne aus Plastik, die bedrohlicher noch als der Fahrer selbst hin und her schwankt.

Gerade haben Manni und ich es geschafft, den alten Herrn Lämmert hinten in den Bestattungswagen zu schieben, da tut es einen Schlag und es hat den offensichtlich angetrunkenen Kleingartenbewohner vom Sattel gehauen. Die Plastikkanne fliegt in hohem Bogen vor ihm in den Dreck, der Deckel derselben beschließt dem Druck aus dem Inneren nachzugeben und löst sich. Aus der Kanne ergießt sich eine mittelzähe rotbraune Masse auf den Boden. Der Angetrunkene schaut verdutzt, reibt sich den Hintern, sortiert seine Glieder und zieht schließlich ein Stück Pappe aus der Gesäßtasche. Mit dieser Pappe schaufelt er die Masse wieder in die Kanne, schaut mich mit glasigen Augen an und sagt: „Grützwurstsuppe, ganz lecker.“

Na, denn mal guten Appetit!

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(©si)