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Irgendwann ist das Album voll

Suse, das Chamäleon, hat ihr Winterquartier verlassen und wieder ihre strategisch günstige Position auf der großen Birkenfeige in der Halle bezogen. Wenn das der Fall ist, dann ist das ein untrügliches Zeichen dafür, daß es bald beständig und warm wird.
Aber nicht Suse ist in der Lage, das Wetter vorherzusagen, sondern der alte Huber, der das in seinem Knie spürt und Suse immer so Mitte Mai umquartiert.
Huber ist ja unser Mann für alle Schreinerarbeiten, für die Werkstatt, für den technischen Bereich, kurzum: unser Mann im Keller.

Aufmerksame Bestatterweblogleser wissen, daß Herr Huber vor geraumer Zeit aus Altergründen ausgeschieden ist. Offiziell zumindest. Inoffiziell kommt er wann es ihm beliebt, er kann das Arbeiten einfach nicht lassen.

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Für uns ist das eine ganz praktische Sache, denn Huber ist wie ein Heinzelmännchen. Manni, der Fahrdienstleiter, der Hubers Aufgabenbereich übernommen hat, kommt manchmal morgens zur Arbeit oder tagsüber von einer Tour zurück und findet gewisse Aufgaben einfach erledigt vor. Da sind dann 20 Grabkreuze zusammengeschraubt, 10 Särge ausgeschlagen und die Werkstatt ist gefegt.
Anfangs hat sich Manni düpiert gefühlt, ihm kam das so vor, als wolle der Alte ihm damit sagen „Hey, Junge, Du machst mir das nicht gut genug“ oder „Wenn ich nicht alles selber mache, geht es hier drunter und drüber“.
Dann aber hat er eingesehen, daß es Quatsch ist, mit einem alten Mann, der nur ein bißchen arbeiten will, ein Kompetenzgerangel anzufangen.
Erstens weiß Huber tatsächlich vieles besser, schon allein aufgrund des Erfahrungsvorsprungs, und zweitens kann Manni froh sein, daß ihm jemand hin und wieder die Arbeit wegschafft.

Für Huber ist die Arbeit ein Lebenselexier. Man merkt es ihm an, daß er nicht mehr so kann wie früher. Die Särge holt er jetzt mit dem Hubwagen aus den oberen Regalen und packt sie sich nicht mehr einfach auf die Schulter. Den großen Sack mit Hobelspänen bewegt er nun mit einer Sackkarre und alles geht auch ein wenig langsamer.

Aber wenn ich Huber in Rente geschickt hätte und er dann den ganzen Tag zu Hause am Fenster gesessen hätte, der wäre einfach nur weggestorben. Herr Huber hat nur zwei Hobbys, das Briefmarkensammeln und Fernsehsport.
Nun ist beim Briefmarkensammeln irgendwann ein Zeitpunkt gekommen, da hat man alles was man kriegen kann, neue Marken sortiert man rasch weg und das was einem noch fehlt, würde man nur noch mit einem unvertretbar hohen Aufwand beschaffen können. Will man Huber eine große Freude machen, dann zeigt man sich an seinen Markenalben interessiert und lässt sie sich von ihm zeigen. Mehr kann er mit diesem Hobby aber auch nicht machen.

Ja und die Bayern, sein Lieblingsverein, spielen ja auch nicht jeden Tag und so wäre es tatsächlich so, daß er Langeweile hätte. Und Männer, die sowieso länger als gewöhnlich im Beruf gestanden haben, Huber ist jetzt 69, kennen gar nichts anderes als den durch die Arbeitszeiten geregelten Tagesablauf.
Wenn das plötzlich von heute auf morgen wegfällt, dann entsteht da oft ein Loch, ein Vakuum und sie fühlen sich nutzlos.

Was hat Huber nicht alles erzählt, was er nach seiner ‚Pensionierung‘ machen will. Eine Weltreise (für die er kein Geld hat und er traut sich nicht auf Schiffe), ein Schrebergarten (da steht er zwar auf der Liste, aber so alt kann er gar nicht werden), einen Porsche kaufen (Geld und Angst vor der eigenen Courage), tolle Weiber aufreißen…
Etwa eine Woche hat das freie, ungebundene, pensionierte Leben gedauert, dann war er einfach wieder da.

Frau Büser rechnet seine Stunden mit dem Minimalsatz ab, Geld will er nämlich eigentlich keins, nimmt aber den Umschlag mit der Abrechnung immer mit.
Warum sollte ich ihm das verwehren? Er hat über Jahrzehnte Erfahrungen gesammelt, kennt jeden Winkel im Betrieb und macht bestimmte Dinge, bei denen wir alle überlegen und herumprobieren müssen, ohne zu denken und in vollkommener Gelassenheit und Routine. So eine Erfahrung darf man doch nicht einfach aufs Altenteil schicken.

Meinetwegen kann Huber noch bis zu seinem Lebensende hierhin kommen, meinetwegen kann er mit dem Hobel in der Hand umfallen, wenn er das so will. Niemand zwingt ihn, er macht das freiwillig.

Ich glaube fest daran, daß das Weiterarbeiten das Leben des Mannes um etliche Jahre verlängert.
Und wir geben ihm das Gefühl, gebraucht zu werden.
Läuft gut so.

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(©si)