Menschen

Klicky zahlt die Beerdigung

Herr Semmelrogge liegt ganz friedlich in seinem Sarg. Seine Wangen sind etwas eingefallen, aber insgesamt sieht er sehr gut aus. Schwarzer Anzug – der den er auch schon auf ganz vielen anderen Beerdigungen getragen hat-, weißes Hemd, grau-rot gestreifter Schlips. Die Hände sind auf der silbergrauen Damastdecke gefaltet, in seinen Händen steckt ein kleines Sträußchen…

Moment, was ist das denn?

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Was lugt denn da vorwitzig aus dem Blumensträußchen hervor?

Ein kleines Köpfchen mit einem Wikingerhelm, zwei winzige Äuglein, zwei kleine Händchen…
Eindeutig, es ist eine Playmobil®-Figur.

„Gucken Sie nicht so!“ sagt Frau Semmelrogge etwas verlegen, „der hat das so gewollt.“

Ich zucke nur gleichmütig mit den Achseln, was haben wir nicht schon alles mit in den Sarg gelegt. Mittlerweile die spektakulärste Sargbeigabe war eine Blechdose mit den Hoden eines Pferdes in Formalin. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich…

Da ist eine kleine Playmobil-Figur noch etwas ganz Harmloses. Ich kann die vielen Märklin-Loks, die in irgendwelchen Särgen mitbestattet wurden, schon gar nicht mehr zählen. Und da diese Loks ja zumeist von der Witwe ausgesucht werden und die sich in der Regel gar nicht auskennt, sind das oft nicht die normalen Loks aus dem fahrenden Betrieb, sondern die besonders teuren und seltenen Stücke aus der Wohnzimmervitrine.
So manches Mal stand dann schon ein beinahe weinender Modellbahn-Kollege des Verstorbenen in unserem Büro und fragte nach der Null-Acht (oder so), die angeblich bald 5.000 Euro wert gewesen sei…

Playmobil-Figuren dürften da ungleich günstiger sein, obwohl… unter Sammlern werden ja sogar Überraschungsei-Figuren zu ganz wertvollen Stücken. Angebot und Nachfrage eben.

„Nein, der kleine Wiki war seine Lieblingsfigur. Mein Mann hat die Playmobil-Sachen seit über 20 Jahren gesammelt. Wir haben drei große Schränke voll mit Figuren, Häusern, Autos und natürlich den ganzen Schachteln.
Er hat diese Figuren geliebt und seine ganze Freizeit seinem Hobby gewidmet.“

„Zugegebenermaßen finde ich, daß das ein sehr seltenes Hobby für einen Erwachsenen ist, oder?“ frage ich und sie hebt nur hilflos die Achseln: „Was soll man da als Frau sagen? Andere gehen saufen.“

„Da haben Sie Recht“, sage ich und lächele und Frau Semmelrogge streicht ihrem Mann noch einmal über die Hände und meint: „Er war wenigstens immer zu Hause und hat neue Sachen für seine Playmobilsammlung gebaut. Sein Bruder Ernst ist nur zwei Jahre jünger als er, also der ist jetzt 74, und wissen Sie was der macht? Der geht mit seinen Söhnen Bobbycar-Fahren. Die fahren mit so’ne Kinderautos den Berg runter, die drei alten Simpel. Letztes Jahr Schlüsselbeinbruch und diesen Winter Jochbeinbruch.
Ich weiß zwar nicht genau, wo so ein Jochbein sitzt, aber es muss höllisch wehgetan haben.
Nee, da war mir das Figurensammeln meines Mannes schon lieber.“

„Und was machen Sie jetzt mit der Sammlung?“ erkundige ich mich und Frau Semmelrogge sagt: „Ursprünglich wollte ich das Zeug so nach und nach…“
Sie stockt, greift meinen Ellenbogen und schiebt mich aus dem Aufbahrungsraum hinaus, dann erst fährt sie mit gesenkter Stimme fort: „… also so nach und nach in die Mülltonne werfen. Vor allem die vielen leeren Schachteln. Aber ich guck‘ mit meinem Enkel Tobias manchmal bei Ebay nach Sammeltassen und Krippenfiguren aus dem Erzgebirge, die sammele ich nämlich. Ja und dabei haben wir mal geguckt, was man für diese Playmobil-Sachen so bekommt; und stellen Sie sich vor: Wenn ich das nach und nach alles verkaufe -ich meine, das macht natürlich alles der Tobi für mich- dann kann ich mit dem was ich für das Playmobil bekomme, die ganze Beerdigung bezahlen.“

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