Geschichten

König Friedrich

Ein alter Mann sitzt auf einem Thron

Ein alter Herr (86) kommt mit seinen alltäglichen Verpflichtungen nicht mehr klar. Er beschließt, in seinem Leben aufzuräumen und gerät dabei an einen herzlosen Verbrecher.

Friedrich ist 86 Jahre alt und lebt allein in einer schönen, großen Eigentumswohnung. Zu seinen vier Kindern aus zwei Ehen hat er keinen Kontakt, drei davon leben im Ausland. Er selbst hat sein halbes Leben im Ausland verbracht, wo er als Ingenieur für einen Schweizer Konzern Kraftwerke, Staudämme und andere Großprojekte leitete. Schon mit 55 Jahren ist er aus dem Angestelltenleben ausgeschieden und hat seinem Arbeitgeber seine Expertise nun noch viele Jahre als selbständiger Projektleiter zur Verfügung gestellt. Man kann sich leicht vorstellen, dass Friedrich ein hübsches Vermögen zusammengetragen hat.

In jüngeren Jahren nannte er eine kleine Jacht, ein Segelflugzeug und tolle Autos sein Eigen. Im Alter beschränkte sich sein Luxus auf gutes Essen, guten Rotwein und mehrere Angestellte, die ihn in allen Belangen umsorgten.
Frau Dürrkopf war seine Putzfrau, die auch für die Wäsche und das Aufräumen zuständig war. Frank war ein junger Mann, der sozusagen sein Handlanger war und für ihn alle möglichen notwendigen und vor allem auch überflüssige Arbeiten erledigen musste.
Bertholde war sein Faktotum, die Frau ging für ihn einkaufen, besorgte die Rezepte vom Arzt und wurde quasi für jeden Artikel einzeln losgeschickt.
Immer wieder wechselnde polnische Pflegekräfte, die auch in seiner Wohnung mit wohnten, kümmerten sich um sein direktes leibliches Wohl.

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Richtig krank und pflegebedürftig war Friedrich nicht, aber es genoss es, sich auch beim Arschabwischen, Duschen und Fußnägelschneiden umfangreich bedienen zu lassen.

Lange hielten es die Pflegekräfte nie bei ihm aus. Die armen Frauen aus Krakau, Warschau und der polnischen Provinz lebten ständig in einem Zwiespalt. Der eklige, tyrannische Alte machte ihnen das Leben zur Hölle, sie konnten aber nicht ohne weiteres abreisen, weil sie dann der Pflegeagentur eine Vertragsstrafe hätten zahlen müssen. Die Abhängigkeiten in dem Gewerbe sind groß.
Trotzdem brachen die Frauen die Pflege meist nach vier Wochen ab, am längsten blieb eine gewisse Malgorzata, die es ganze drei Monate aushielt. Einem Pfleger namens Zbynich hatte Friedrich durch das nächtliche Bewerfen mit einem Mikrowellengerät den Unterarm gebrochen. Zybnich war erst drei Tage da und fuhr dann am nächsten Morgen auch gleich wieder ab, nachdem er in der Notaufnahme seinen Gips bekommen hatte.

Seine Helfershelfer hielt Friedrich mit Geld bei der Stange. Manchmal war er liebenswürdig, wie ein Paradiesapfel und steckte diesem oder jenem einen Hunderter zu. Dann wieder war er kleinlich, pingelig und haarsträubend pfennigfuchserisch.
Bertholde bekam eine bestimmte Summe pro Stunde Einkaufen. Wenn’s regnete, gab es 80 Cent pro Stunde Zuschlag. Friedrich brachte es fertig, ihr 20 Cent zu geben, weil es ja nur eine Viertelstunde lang geregnet hatte.

Eine von Franks Haupttätigkeiten, war die Erfassung des Heizungsverbrauchs. Zweimal täglich mussten die Zählwerke an jedem Heizkörper in Friedrichs Wohnung abgelesen und in eine Excel-Tabelle eingetragen werden.
Der Junge ertrug diese sinnlosen Tätigkeiten, weil er das Geld brauchte, um den Führerschein machen zu können.
Sinnlose Tätigkeiten zu erfinden, war eine Spezialität von Friedrich. Auf seinem Balkon hatte er einen jener billigen Plastikaschenbecher stehen, wie man sie überall in der Gastronomie findet. Sie werden in der METRO als 12er-Pack für 6 Euro verkauft.
Friedrich nutze diesen Plastikaschenbecher als Vogeltränke.

Eines Tages, mitten im tiefsten Winter, ist in dieser Vogeltränke das Wasser gefroren und das Plastik hatte einen Sprung bekommen. Grund genug, den Aschenbecher in den Mülleimer zu werfen. Zumindest hätte jeder von uns so gehandelt.
Nicht Friederich!

Vier Tage verbrachte er viele Tag- und Nachtstunden vor dem Computer und studierte allerlei Produktseiten, Foren und YouTube-Videos. Dann bestellte er für über 200 Euro Material: Klebstoffe, Glasfasermatten, Spachtel, Heißgebläse und noch mehr Klebstoffe, Leim und Uhu…

Ich habe die Abrechnung mit eigenen Augen gesehen. Frank hat 42 Stunden „Aschenbecher reparieren“ abgerechnet. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!

Bei den Stundenlöhnen pingelig und bei den Abrechnungen kleinlich, musste es doch noch irgendeinen Trick geben, wie er die Leute bei Stange hielt, wie er sie dazu brachte, sich seine Tyranneien gefallen zu lassen.

Das Geheimnis lag in seinem Vermögen. Immer wieder ließ er Kontoauszüge herumliegen, sprach lautstark mit seinem Vermögensberater und machte kein Geheimnis daraus, dass er jeden Monat mehr an Zinsen bekam, als andere in einem Jahr verdienen.

Und immer wieder nahm er einzelne Personen beiseite und verriet ihnen unter dem Schwiegel der Versiegenheit, wie meine Allerliebste so ein geheimnistuerisches Theater nennt, dass er vorhabe, dieser Person eine ganz besonders stolze Summe zu vermachen. „Sag’s aber den anderen nicht!“

Der Putzfrau Frau Dürrkopf hatte er, mal ganz ohne Verschwiegenheit, in meinem Beisein 500.000 Euro zugesagt. „Ich würde Ihnen ja jetzt schon mehr geben, aber mein Geld liegt fest. Doch wenn ich mal sterbe, dann kriegen Sie eine halbe Million.“
Die Eigentumswohnung hatte er schon an Bertholde, das Faktotum, verschenkt. „Ich hab da schon was geschrieben. Wenn ich mal tot bin, gehört das alles Dir.“

Und den jungen Frank ließ er immer nebulös im Unklaren. „Die anderen erhalten nur Bagatellen, Du kriegst das Meiste, Du wirst der König von der ganzen Stadt sein.“

Wie war ich eigentlich an Friedrich geraten?
Es geschah beim Gemüsemann. Mein Freund Peter hatte ein Obst- und Gemüsegeschäft und da besuchte ich ihn einmal die Woche, kaufte dort mein Obst und Gemüse und bekam immer noch ordentlich Obst geschenkt, das für die pingelige Kundschaft nicht mehr gut genug war.
So ein bis zwei Stündchen saßen wir zwei Peters hinten im kleinen Büro des Gemüseladens und tranken leckeren Kaffee und quatschen Männerzeug. Und da kam eines Tages Friedrich dazu und war ganz ehrfürchtig, als er erfuhr, wer ich bin.
Ich bin ja nun als Autor nicht besonders bekannt und deshalb ist es immer etwas ganz Besonderes für mich, wenn mir irgendjemand sagt, dass er meinen Namen und meine Bücher kennt. Bei Friedrich war das so. Er entpuppte sich als echter Fan.
Und dann bat er mich, ihn doch mal zu besuchen und bei der Gelegenheit meine Bücher zu signieren. Er würde auch was Leckeres kochen.
Tja, und dann bin ich Friedrich nicht mehr losgeworden.

Wie er seine Leute behandelte, davon wusste ich anfangs nichts, und Friedrich war sehr gebildet, sehr eloquent und auf den ersten Blick ein großer Charmeur und exzellenter Gastgeber.
Alle zwei Wochen war ich einen Abend bei ihm und wir verbrachten wundervolle Stunden miteinander.

Erst später bekam ich mehr und mehr mit, was um ihn herum alles los war.

Aber zurück zum Thema.

Mir fiel immer mehr auf, dass Friedrich Probleme hatte, seinen Alltag zu organisieren. Er verlor den Überblick über Vorräte und Einkäufe, bezahlte Rechnungen zweimal und andere gar nicht.
Er bestellte für seine längst verstorbene Mutter dicke Blumensträuße, die er an längst vergessene Adressen liefern ließ. Und eines Tages kaufte er bei einem Bäcker einen großen Apfelkuchen und setzte sich mit der Torte auf dem Schoß in einen ICE nach Paris.

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Bildquellen:

  • koenig-friedrich: Peter Wilhelm KI

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#Friedrich

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(©si)