Menschen

Kreisgrenze

Mit etwa 50 Sachen muss er gegen den Baum gefahren sein, war wohl sofort tot, aber trotzdem haben die Retter ihn aus dem Autowrack herausgeschnitten und nebenan auf eine Wiese gelegt, wo sich noch der Notarzt um ihn bemüht hat. Als ich zur Unfallstelle komme, sehe ich, dass das Dach des Mercedes durch die schweren hydraulischen Scheren der Feuerwehr abgetrennt worden ist, der Verstorbene liegt unter einem weißen Tuch, überall sind benutzte Latexhandschuhe verstreut. Ich hebe das Tuch ein bißchen, schön sieht er nicht aus, vielleicht 75 Jahre alt, ziemlich korpulent, nun denn.

Schmidt fährt den Bestattungswagen rückwärts heran, öffnet die Klappe und zieht die Fahrtrage heraus. Ich suche nach einem Beamten, der mir die Papiere für die Überführung geben kann und bekomme sie. Das ging ja problemlos, denke ich.

Die Fahrtrage wird auf Bodenniveau abgesenkt und wir wollen den Mann gerade aufladen, da sagt einer der Feuerwehrmänner, die mit dem Wegpacken ihrer Gerätschaften beschäftigt sind: „Wo liegt der denn? In A-Stadt oder in B-Stadt?“

Werbung

Ich sage: „Wieso?“

„Na guck doch mal genau, da vorne steht ein kleines Schild am Straßenrand ‚Kreisgrenze‘, und wenn ich mir das so betrachte, steht das Auto genau auf der Grenze und der Tote liegt halb in A-Stadt und halb in B-Stadt.“

Das bekommt einer der Polizeibeamten mit und auf einmal macht sich jeder Gedanken darüber, in welcher Stadt denn jetzt genau dieser Unfall passiert ist. Die einen sind der Meinung, das Ortseingangsschild sei maßgebend und demnach seien völlig korrekt Polizei und Feuerwehr von A-Stadt benachrichtigt worden. Auch wir kommen aus A-Stadt. Aber nun machen sich Zweifel breit, denn der Notarzt ist aus B-Stadt gekommen und hat in die Papiere auch eingetragen ‚Kreisstraße 123, Kilometer 456 bei B-Stadt‘.

Genau in diesem Moment kommt ein roter Opel-Kadett. Es ist der Feuerwehrkommandant von B-Stadt und will mal gucken, was da los ist.

Ha, ich weiß was kommt! Der wird jetzt sagen, daß das eigentlich ihr Einsatz gewesen sei und dann geht das Theater los. Es kommt dann noch die Polizei von B-Stadt und es wird auch ein anderer Bestatter gerufen, wetten? Denn die Polizei von B-Stadt hat mit ganz anderen Unternehmen einen Vertrag.

Aber ich sollte mich irren. Der B-Städter Feuerwehrkommandant schreitet eine imaginäre Kreisgrenze ab, die irgendwie in einem Bogen um den Unfallort herum verläuft und kommt zu dem Ergebnis, das müsse alles noch A-Stadt sein. Er würde das später in seinem Büro nochmals genau auf der Karte nachschauen, aber jetzt sollten wir doch alle mal weitermachen.

Na, das war doch mal ein vernünftiger Mann, finde ich.
Also konnten wir aufladen und losfahren. Mehr als die Überführung und die Aufbewahrung des Verstorbenen springt für uns eh nicht dabei heraus, er stammt aus einer ganz anderen Stadt und wird sicher dort bestattet. Vielleicht haben wir Glück und dürfen ihn dorthin überführen, das bringt auch noch was ein.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#kreisgrenze #Lektorin A

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)