Es kommt nicht oft vor, daß ein Bestatter weint.
Es kommt vor, keine Frage. Aber es kommt eben nicht oft vor.
Man ist ja Profi, man hat ja tagtäglich mit Trauernden und Verstorbenen zu tun. Würde man sich da jeden einzelnen Sterbefall zu Herzen nehmen, dann würde man im Laufe der Zeit daran zerbrechen.
Aber es gibt Schicksale und es gibt besondere Menschen, die auch das Herz eines Bestatters rühren.
Herrn Schweez kannte ich vom Sehen. Ich kannte auch seine Frau. Die beiden waren mir das erste Mal anläßlich einer Protestaktion der örtlichen Umweltgruppe aufgefallen. Sagen wir es mal so, große Sympathie hatte ich für diese Umweltgruppe im Allgemeinen und bei diesem Anliegen im Besonderen nicht.
Da fällt es einem dann leicht, diese Leute als grüne Spinner, Müslis oder Krötenschaukler zu bezeichnen und ihr Tun ins Lächerliche zu ziehen. So geht es mir oft, wenn ich es mit Gruppen zu tun habe. In der Masse geht der Einzelne meist unter.
Um so erstaunter war ich, als Herr Schweez eines Tages bei uns anrief und ankündigte, wegen eines Sterbefalls vorbeikommen zu wollen. Das Ehepaar Schweez war ungefähr Mitte Dreißig.
Gut, der wird eine alte Mutter, Tante oder Oma haben, die er beerdigen muß, dachte ich.
Aber es war seine Frau.
Helga Schweez war nicht krank gewesen, sie hatte gerade erst eine Fortbildung zur Morgellonentherapeutin begonnen und das kinderlose Ehepaar plante den Umzug in ein historisches Fachwerkhaus am Rande der Ortschaft.
Herr Schweez war ein Schatten seiner selbst. Sonst kannte ich ihn kämpferisch, aktiv und fordernd laut, einsatzbereit und eloquent. Und jetzt? Ein Häufchen Elend, ein trauernder Wurm, anders kann man es nicht sagen.
Seine Frau war am Abend zuvor auf der Autobahn in einen Stau geraten und ein LKW aus Bulgarien hatte das Stauende übersehen und war auf den Wagen von Frau Schweez ungebremst aufgefahren. Sie und ein 83jähriger, der vor ihr in seinem Auto saß, waren auf der Stelle tot. Es hatte vier Stunden gedauert, die Fahrzeugwracks auseinander zu dividieren. Der LKW-Fahrer war noch an der Unfallstelle verstorben.
Damit haderte Herr Schweez.
„Wenn man sich nicht so umfangreich um den Lastwagenfahrer, diesen Verbrecher, gekümmert hätte, könnte meine Frau noch leben. Aber um die Opfer kümmert sich ja nie jemand, es sind immer nur die Täter, die zuerst kommen.“
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