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Mann gesucht

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Bestatter Gregor Mühlmann steht eines Tages vor der Tür des Bestattungshauses und klingelt. Der Tag um den es geht ist ein Tag des Herrn, landläufig auch als Sonntag bezeichnet, und ich habe frei, sitze im knappen, kurzen Grillhöschen und einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Ich habe die Magersucht überwunden“ auf der Terrasse und grille fetten, gut gewürzten Schweinebauch so lange, bis das Fett fast ganz raus und das Fleisch knusprig ist.
Mühlmann muß schon mehrfach geklingelt haben bis endlich dieses unerwünschte Geräusch bis an mein Stammhirn durchdringt.

Ich reiche die Grillzange an den Sohn weiter, was ich nur ungern tue, Grillen muß man können, das muß man jahrelang – ach was sage ich -JAHRZEHNTELANG akribisch studiert haben, da kann man sich nicht so einfach hinstellen und mit der Zange den Schweinebauch nur so herumdrehen. Das ist eine Kunst!

Auf dem Monitor im Gang sehe ich mir den Klingler näher an und finde nicht, daß er aussieht, wie ein typischer trauernder Angehöriger.
Ich riskiere es und fahre so freizeitlich bekleidet mit dem Aufzug runter und öffne die Tür.

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(Was hätte ich sonst getan? Also dann, wenn ich gemeint hätte, es seien trauernde Angehörige? Nun, das hätte ich von Fall zu Fall entschieden. Manche Leute hätte ich per Knopfdruck in die Halle gelassen und via Sprechanlage gebeten, doch einen Moment Platz nehmen, andere hätte ich kurz vor der Tür warten lassen.
Und dann hätte ich mich umgezogen. Ein schwarzes T-Shirt, eine dunkle Hose, ein paar geputzte Schuhe. Wenn man etwas mehr Zeit hat, kann es auch schon mal ein Hemd mit Krawatte werden. Jackett angezogen, fertig.)

„Puh, Gott sei Dank!“ sagt Mühlmann und stellt sich als Bestatter aus R. vor, der unbedingt an diesem Tag noch einen Verstorbenen von unserem Friedhof abholen muß, denn die Familie hat sich wegen des Beerdigungsortes kurzfristig umentschieden.
Der Friedhof sei aber abgeschlossen, also jetzt mehr so die Leichenzellen und ob ich vielleicht als ortsansässiger Bestatter einen Schlüssel hätte?

Ja, den habe ich und Mühlmann, der ja als Bestatter froh um dieses „h“ in seinem Namen sein muß, ist nicht der Erste, der wegen so etwas kommt; das passiert mindestens alle zwei Monate. Warum Dorfbestatter aus den inzuchtgeplagten kleinen Tälern des nahen Mittelgebirges immer samstags und sonntags kommen?
Weil die in der Woche als Schreiner, Möbeltischler oder Zimmermann ihr Geld verdienen, die ganze formelle Erledigung bei den Sterbefällen ihrer Frau überlassen und die Leichenfahrerei nur so nebenbei, auch am Wochenende, machen.

Ich gebe Mühlmann die Schlüssel, erkläre ihm noch kurz, welche der Türen klemmt und wo die Lichtschalter sind, wo er was einzutragen hat und dann geht er. Mein Blick folgt ihm und ich sehe an seinem VW-Bus, der zum Bestattungswagen umgebaut ist, an der Seitenscheibe ein Schild mit der Aufschrift „Mann gesucht“.
Es lohnt sich nicht, wieder nach oben zu gehen, der Friedhof ist nur 100 Meter weit weg, der Mann wird bald wieder zurück sein.
Als Mühlmann wieder kommt um den Schlüssel abzugeben, frage ich ihn nach dieser ungewöhnlichen Stellenausschreibung an der Seitenscheibe seines Leichenwagens.
Er zuckt nur mit den Schultern. Der Wagen stehe die meiste Zeit in der Nähe des Friedhofes herum und da könne dann jeder diesen Zettel sehen. Auf der Tür des Wagens stehe ja die Telefonnummer und dann könne man ihn ja anrufen. Er suche immer Aushilfsfahrer und Sargträger.

Wir verabschieden uns und ich eile wieder nach oben, ich muß nach dem Rechten sehen, mein Sohn wird am Grill alles verderben. Er verfügt einfach nicht über die grilltechnische Kernkompetenz und meine jahrelange Erfahrung am knusprigen Spieß.
Jedoch, als ich oben ankomme, sehe ich, daß die heimtückische Drecksbande, die sich meine Familie nennt, das ganze Zeug schon gefuttert hat. Mir hat man drei jämmerliche Nürnberger Würstchen übrig gelassen.
Nürnberger Würstchen! Das sind so klitzekleine, zwergpinscherpimmelgroße Mini-Würstchen, die der Grund dafür sind, daß die Bayern die Franken aus dem Weißwurstterritorium ausgeschlossen haben; außerdem verleiten diese kleinwüchsigen Möchtegernwürste dazu, sie komplett in den Mund zu stecken, was dann allerdings dazu führt, daß sie hinten im Rachen am weichen Gaumen und am Zäpfchen anstoßen, was auf Dauer wiederum zur Folge hat, daß diese Menschen den Buchstaben „R“ nur noch rollend aussprechen können.
Da ich mein „R“ behalten will und im Grunde auch mehr Hunger habe, als eine junge Kleidermotte, erbarmt sich mein Sohn und holt mir aus der Küche noch ein Rindersteak in adäquater Größe.
Okay, ich bin zufrieden. Die „Nürnberger“ vertilge ich anschließend auch noch, wenn man sie quer herunterschluckt passiert das mit dem „R“ nicht.

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