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Martina

Herr Plewka kam gegen 9 Uhr und holte sich einen unserer Hausprospekte. Zu uns kommen ja glücklicherweise vorwiegend ältere Menschen und Herr Plewka ist ziemlich jung, vielleicht Ende 30 oder so. Er wird wohl Prospekte mehrerer Häuser zusammentragen und danach seine Bestattungsvorsorge planen.

Um 10.30 Uhr kam er dann wieder, dieses Mal mit einer Plastikhülle voller Unterlagen. Doch eine Vorsorge?
Ich übernehme das und winke Frau Büser und Sandy, die beide losgehen wollten, in ihr Büro zurück. Vorsorgen haben immer etwas Lockeres, die Leute sind nicht belastet und man kann entspannter über alles sprechen.

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Mit dieser Einstellung bat ich Herrn Plewka in einen unserer Besprechungsräume und dort erwartete mich eine eher unangenehme Überraschung.

„Martina ist tot“, sagte Herr Plewka, schiebt mir eine Sterbeurkunde über den Tisch und ich sehe sofort am Geburtsdatum, daß es eine sehr junge Frau ist, um die es sich hier handelt: geboren 1991.

Ich schlucke, müßte sowas doch gewöhnt sein… ach wenn’s doch 1919 wäre…

Mit einem Seufzen ziehe ich die Mappe mit den Beratungsunterlagen herüber, schaue Herrn Plewka in die Augen, will irgendwas in ihnen lesen, sehe nichts als unendliche Leere. Eigentlich möchte ich ihm mein Beileid ausdrücken, aber irgendwas hält mich davon ab, ich sage nur: „Dann wollen wir mal.“
Er nickt und sagt: „Ohne viel Aufhebens, wenn’s geht. Mir ist scheißschlecht.“

„Möchten Sie was trinken?“ frage ich und denke an Kaffee, Wasser oder Tee, doch er faßt das anders auf und fragt: „Haben Sie irgendeinen Weinbrand oder Cognac?“

„Klar.“

Ich hole ihm ein Glas, ich selbst mag nichts, mein Magen spinnt schon seit drei Tagen. Ich schenke ihm etwas ein, der nimmt das Glas bedankt sich und noch bevor ich mich wieder gesetzt habe, hat er das Glas schon ausgetrunken. Er schüttelt sich, als habe er bitteres Gift getrunken und sagt: „Puh, ich trinke sonst gar nichts.“

„Nehmen Sie sich ruhig noch, falls Sie noch was möchten.“

„Wenn man nicht viel trinkt, spürt man jeden Tropfen, aber ich nehme mir noch einen… muß heute sein.“

Während er noch einen Schluck einschenkt, schreibe ich die Daten von Martina Plewka auf unser Formular und schaue Herrn Plewka wieder an: „Ihre Tochter?“

Er nickt und dann kommen ihm die Tränen. Heulend, schniefend und vom Weinen geschüttelt, legt er den Kopf auf seine Unterarme, die auf der Tischkante liegen und heult unter den Tisch.

Er tut mir so leid. Frauen haben es einfacher, die könnten jetzt einfach hingehen und sich in den Arm nehmen, Männer sind da anders…

„Mist“, sage ich und er hebt den Kopf, nickt mich aus tränennassen, roten Augen an und sagt mit belegter Stimme: „Dabei haben wir sie gerade erst wiedergehabt.“

Ich weiß nicht genau was er meint, vielleicht war sie krank oder so, ich frage zunächst mal lieber nicht nach, der Mann wird schon noch erzählen.
Also schreibe ich weiter die Daten vom Totenschein ab, dann sagt Herr Plewka auf einmal: „Einen weißen Sarg – haben Sie einen weißen Sarg?“

„Klar doch, kommen Sie einfach mal mit.“

Wir gehen in den Ausstellungsraum. „Hier riecht es aber gut“, sagt er. Mir fällt das gar nicht mehr auf, aber er hat Recht, es riecht nach frischem Holz, nach Harz und ein bißchen nach Lack. „Der da ist richtig“, fällt er spontan seine Entscheidung und deutet auf den einzigen weißen Sarg, den wir dort stehen haben. Ein schmales, schlankes Modell, ganz schlicht, keine Griffe, sondern hellgraue Taue als Griff und oben am Deckel rundumlaufend eine schmale hellgraue Leiste.

Sein Blick fällt auf die Urnen: „Brauchen wir nicht. Martina soll nicht verbrannt werden, ich will ein großes Grab mit einem großen Grabstein. Das geht doch, oder? Ich meine, man kann doch auch ein großes Grab nehmen, selbst wenn bloß eine Person reinkommt, oder?“

„Es kommt immer erst nur eine Person rein…“

„Da haben Sie Recht. Hab ich gar nicht dran gedacht.“

Herr Plewka setzt sich einfach auf eine Eichentruhe, reibt seine Hände, die feucht zu sein scheinen und blickt mich seufzend von unten an. „Ich hätte es mir nicht träumen lassen, daß ich mal zu einem Bestatter muß. Mein Vater ist schon lange tot, da hat das alles meine Mutter gemacht und bei meiner Mutter ging das automatisch, die hatte das alles so vorbestellt.“

„Wir helfen Ihnen dabei…“

„Mir kann keiner helfen. Verstehen Sie, ich will das alles nicht, ich habe keine Lust mir Gedanken darüber zu machen, was meine Tochter für Klamotten im Sarg anziehen soll. Lieber hätte ich ihr ein Brautkleid rausgesucht und eine Hochzeitsfeier ausgerichtet, als hier jetzt wegen einer Beerdigung zu sitzen.“

Auf einmal wird ihm bewußt, daß er sich auf einen Sarg gesetzt hat, steht schnell auf, schaut erst auf den Sarg, dann auf mich.
Ich sage: „Keine Bange, da liegt keiner drin.“ Er atmet durch: „Hab‘ ich mir schon gedacht, aber man kann ja nie wissen.“

Sollen wir trotzdem mal überlegen, wie der Sarg ausgestattet werden soll und was Ihre Tochter anziehen soll?“

Mit einem eher beiläufigen Blick tippt er auf eine ganz einfache weiße Decke und meint: „Das ist doch prima, der Sarg soll zu bleiben und Klamotten bringe ich von zu Hause mit, da ist doch genug da, warum soll ich was kaufen.“

„Dann gehen wir wieder nach nebenan und besprechen den Rest.“

Er folgt mir durch die Halle zum Besprechungsraum, wir setzen uns und Herr Plewka wirft mir einen fragenden Blick zu und deutet mit dem Kopf in Richtung der Weinbrandflasche. Ich schenke ihm noch etwas ein und er sagt abermals: „Ich trinke ja sonst nie was“ und dann leert er das Glas in einem Zug.

„Woran ist Ihre Tochter denn gestorben“, frage ich und wieder schießen dem Mann Tränen in die Augen, diesmal ballt er aber die Fäuste, schlägt diese ohne Kraft aber voller Verzweiflung auf den Tisch und legt hilflos den Kopf in den Nacken, während ihm die Tränen über das Gesicht laufen.
Ich schiebe ihm eine Packung Papiertücher über den Tisch, er ignoriert das, holt tief Luft und beginnt zu erzählen.

FF

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#martina

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(©si)