Frag doch den Undertaker

Mein Mann war völlig entstellt

Mein Mann war noch keine 50 Jahre alt, als er vor einigen Wochen verstorben ist. Die letzte Zeit vor seinem Tod konnte ich Tag und Nacht bei ihm sein.
Sein Leidensweg begann überraschend und der Tod kam erschreckend schnell. Ich bin untröstlich über meinen Verlust, bin aber geistig klar.
Der Bestatter hat mich angerufen und gefragt, ob ich Fotos von meinem Mann haben möchte, ich sagte ja.
Nun habe ich die Bilder erhalten und völlig meine Fassung verloren. Mein Mann ist völlig entstellt zu sehen, das Make-Up ist so aufgetragen das an jeder Seite ca. 2 cm frei sind, die rechte Mundseite hängt herunter – alles in allem unerträglich -.
Mein Mann ist in meinen Armen friedlich eingeschlafen und ich durfte noch 4 Std. bei ihm bleiben, bevor er in die entsprechende Abt. des Krankenhauses kam.

Anderthalb Tage später wurde er vom Bestatter abgeholt, damit dieser ihn für die Beisetzung vorbereiten konnte.
Natürlich ist mir bewußt, dass verstorbene Menschen anders aussehen, aber was ist passiert, dass mein Liebster so aussah, als hätte er einen Unfall gehabt?
Der Bestatter sagt mir, ich hätte meinen Mann nur kraftvoll und lebendig in Erinnerung, mein Blick sei getrübt. Ich bin so untröstlich, ich meine, er hätte meinen Mann doch so behandeln müssen, dass dieses letzte Foto erträglich anzuschauen wäre. Oder sehe ich dies falsch?

Das ist natürlich wirklich kein schönes Erlebnis für Sie.
Gerade diese letzten Fotos sollen ja eine ganz besondere bleibende Erinnerung sein und werden von den Angehörigen sehr stark verinnerlicht.
Also wird ein guter Bestatter alles daran setzen, hier kosmetisch sehr gut zu arbeiten und dann ein gutes Foto abzuliefern.

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Zunächst einmal muß ich den Bestatter ein wenig in Schutz nehmen:

Der Bestatter kennt in aller Regel die Verstorbenen nicht und weiß nicht, wie sie zu Lebzeiten ausgesehen haben. Es ist aus diesem Grund schon schwierig, selbst wenn Fotos vorliegen, ein Bild zu rekonstruieren, daß der lebensnahem Realität entspricht.
Außerdem ist Ihr Mann an einer zehrenden Krankheit gestorben, die den Einsatz sehr starker Medikamente notwendig macht. Diese haben die Aufgabe das Leben zu verlängern und den Schmerz und das Leiden erträglich zu machen. Hierfür nimmt man oft starke Nebenwirkungen in Kauf. Eine dieser Nebenwirkungen kann ein besonders schneller Zerfall nach dem Tode sein. Der Mensch verändert sich schneller, als es andere Verstorbene tun.

Hinzu kommt die ganz natürliche Veränderung, die jeder Verstorbene durchmacht. Die Muskeln erschlaffen, die Körperflüssigkeiten sinken, der Schwerkraft folgend, nach unten.
Erschlafft und ohne muskuläre Unterstützung verändert sich mitunter vor allem die Mimik.
Gerade im Gesicht haben wir sehr viele Muskeln, die wir einsetzen, um durch mimische Signale miteinander zu kommunizieren. Diese Muskeln sind völlig erschlafft, der Gesichtsausdruck wird einem immer sehr fremd vorkommen.

Nun die Punkte, die der Bestatter hätte besser machen können:

Wenn man als Bestatter schon die Dienstleistung anbietet, Fotos vom Verstorbenen zu liefern, dann muß man sich etwas mehr Mühe geben, als es dieser Bestatter getan hat.
Das Foto soll ja, wie ich oben bereits schrieb, eine bleibende Erinnerung bieten, Trost spenden und ein Wiederbetrachten ermöglichen. Es soll kein Gruselbild sein, bei dessen Anblick man erschrickt.

Dazu ist es notwendig, daß man eine anständige Totenkosmetik durchführt, die ohne Vorlage von Fotos, die den Verstorbenen in verschiedenen Situationen im Alltag zeigen, gar nicht sinnvoll möglich ist.
Die vom Pietätwarenhandel zur Verfügung gestellten Mittel und Werkzeuge reichen für so eine Behandlung durchaus aus. Es braucht aber auch eine gewisse Fertigkeit und ein „Händchen“, um hier gute Ergebnisse erzielen zu können.
Daß nicht jeder dieses Händchen hat, sieht man auch an lebenden Frauen, die sich nur maskenhaft zu schminken verstehen und die seitlichen Gesichtspartien und den Hals aussparen, was zu sichtbaren Rändern führt.
Manche Bestatter glauben, daß sie auch dann eine sehr gute Arbeit abliefern, wenn sie sich einen der sündhaft teuren Schminkkoffer gekauft haben.
Aber man wird nicht deshalb zu einem guten Handwerker, nur weil man sich die entsprechenden Werkzeuge angeschafft hat.
Übersteigt die Aufgabe die eigenen Fähigkeiten, so muß man sich professioneller Hilfe bedienen. Es gibt einige Spezialisten, die man buchen kann; man könnte aber auch selbst entsprechende Kurse belegen oder einen Mitarbeiter weiterbilden lassen.

Das kostet aber Zeit und vor allem Geld.

Der zweite Punkt, der nicht zu vernachlässigen ist, ist die Fotografie an sich.
Wir haben beispielsweise (damals war Digitalfotografie gerade im Kommen) von jedem Verstorbenen ein Polaroidfoto angefertigt. Dieses zeigte immer den Verstorbenen selbst, aber auch Hemd, Decke, Kissen und Sarg, sodaß wir jederzeit belegen konnten, mit welcher Ausstattung und in welchem Zustand der Verstorbene begraben oder eingeäschert wurde. Diese Fotos dienten internen Zwecken. Hin und wieder kam es vor, daß Angehörige -oft lange nach der Beisetzung- den nachträglichen Wunsch äußerten, ein Erinnerungsbild zu bekommen.
Diesem Wunsch konnten wir dann mit einem Abzug vom Polaroidbild nachkommen.
Allerdings entsprachen auch diese Bilder in keinster Weise den Erfordernissen einer guten Leichenfotografie.
Nur war halt die Situation eine andere: Die Angehörigen waren glücklich, daß es überhaupt ein Foto gab.

Völlig anders muß man vorgehen, wenn man solche Erinnerungsbilder anbietet. Dann muß man wissen, wie man die Situation richtig ausleuchtet, wie man Akzente setzt und wie man mit Blumen und Accessoires dekorative Elemente ins Spiel bringt.
Eine sehr gute Kamera und weitreichende Kenntnisse in der Bedienung derselben sind ein Muß.
Mit anderen Worten: Da gehört ein Profi hin. Solche Aufnahmen muß ein Fotograf mit entsprechender Ausrüstung machen und nicht ein Mitarbeiter, der „ganz gut knipsen kann“ mit einer Handykamera.

Die Bilder müssen dann auch entsprechend nachbearbeitet werden und fachlich gut ausbelichtet bzw. ausgedruckt werden.

Um es also wirklich gut und richtig zu machen, müssen ein guter Kosmetiker und ein guter Fotograf am Werk gewesen sein.
Man kann sich vorstellen, daß eine solche Dienstleistung sicher an die 200-300 Euro oder noch viel mehr kostet. Hier sind Profis am Werk, die teures Equipment einsetzen und hochwertige Produkte anwenden.

Das günstige oder gar kostenlose Bild von einem Bestatter ist eben nur die abgeknipste Realität. Moderne Digitalkameras sind so gebaut, daß sie im Automatikmodus von vorne bis hinten alles scharf stellen. Gute Portraits, die mehr darstellen als entenschnabelige Selfie-Gesichter, sind damit ohne weiteres gar nicht machbar. Im Gegenteil: Die Hersteller setzen alles daran, damit man auch mit kleinen Linsen und kleinen Aufnahmechips sehr gute, scharfe und gut belichtete Bilder hinbekommt.
Das ist aber beim Thema Leichenfotografie kontraproduktiv. Hier werden dann gerade die Dinge, die man nicht sehen will, besonders scharf und deutlich ins Szene gesetzt.

Bevor man mich falsch versteht: Ich weiß, daß es viele Bestatter und vor allem Thanatologen gibt, die per se eine sehr gute kosmetische Arbeit abliefern. Und ich weiß, daß es viele Bestatter gibt, die exzellente Fotos anfertigen.
Aber das sind eben nicht alle und nicht alle können beides.


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 30. Juli 2015

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