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Melanie

Leute, mal ganz ehrlich, mich kann nicht viel schocken, aber so manche Situation kann auch mich aufregen. Ich will gerade meine Mannschaft zum Mittagessen zusammentrommeln, weil Dimitrios als preisgünstigen Mittagstisch heute das Ausgefegte aus der Küche anbietet und ich schon seit Tagen einen Heißhunger auf Gyros mit Zwiebeln habe. Genau in dem Moment als ich in die Halle gehe, kommt ein junges Ehepaar herein, sie trägt ein kleines weißes Bündel in den Händen, beide bleiben stehen, wir drei schauen uns an und der junge Mann sagt: „Wir haben ein totes Kind.“

Ich kann nicht beschreiben, was ich für einen Kloß im Hals hatte, ehrlich.
Kurz schließe ich die Augen, da schreit es aus dem Bündel, die junge Frau steckt zwei Finger hinein und spricht beruhigend auf das Baby ein. Ein kurzes Gefühl der Entspannung durchflutet mich, wenigstens haben die Leute kein totes Baby dabei, doch ihren Blicken ist deutlich anzusehen, wie schwer sie belastet sind.

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„Kommen Sie bitte“, sage ich, gehe einfach voraus und setze die Leute erst einmal in ein Beratungszimmer. Ein kurzer Blick ins Büro, meine Worte „Sonne, Mond und Sterne“ reichen aus und alle wissen Bescheid.

Markus und Ramona sind die Eltern von Marc-Raphael, den Ramona auf dem Arm hält und von Melanie, die heute Morgen verstorben ist. Wie alt Marc-Raphael ist, weiß ich nicht mehr, Ramona hat es in Wochen gesagt und als Mann spült sich so was ohne bleibenden Eindruck durch meine Gehirnwindungen; jedenfalls weiß ich, daß Kinder dann so ziemlich neugeboren sind, wenn das Alter in Wochen angegeben wird. Melanie durfte nur zweieinhalb Jahre alt werden.

Während die Eltern abwechselnd stockend erzählen, tippe ich auf dem Rechner eine kurze Nachricht ans Büro und teile denen mit, wie alt das Kind war.

Hohes Fieber hatte das Kind bekommen und mußte vor drei Tagen ins Krankenhaus. Erst hieß es, man brauche sich keine Sorgen zu machen und Markus regt sich heute noch darüber auf, daß man im Fernsehen immer gezeigt bekommt, wie quasi die gesamte Familie rund um die Uhr am Krankenbett verharren darf, während man in der Realität ziemlich rabiat nach Hause geschickt wird.

Am nächsten Tag durften sie dann wieder zu Melanie und fand sie vergleichsweise munter, ganz normal „auf Station“ vor. Für die jungen Eltern schien das die Entwarnung zu sein, doch der ebenfalls recht junge Arzt soll sich ziemlich bedeckt gehalten haben. Am Nachmittag des gleichen Tages kam dann der Anruf aus dem Krankenhaus, man soll sofort kommen.
Melanie rang mit dem Tode, lag beim Eintreffen der Eltern schon auf der Intensivstation und die Ärzte sollen so etwas gesagt haben, daß nur noch beten helfe…
In der Nacht ist das Mädchen dann verstorben.
Die Ärzte wollen nun eine Sektion vornehmen, das könne helfen die Todesursache genauer zu ermitteln und diene der Wissenschaft. Markus würde dem zustimmen, Ramona will das auf keinen Fall. Noch sind sich die beiden nicht einig.

Während ich mit den beiden spreche, setzt sich auf meinen Sonne-Mond-und-Sterne-Hinweis hin, hinter den Kulissen die Maschinerie in Gang. Alle helfen mit, die Trauerhalle in einen Ausstellungsraum zu verwandeln. Podeste werden aufgestellt und ein dunkelblauer Stoff mit eben diesem Sonne-Mond-und-Sterne-Muster wird darüber gebreitet und alles was wir an Pietätswaren für Kinder haben, wird aufgebaut. Es ist noch nicht viel, ich habe das Zeug nicht gern im Haus. Ein, zwei Kindersärge in verschiedenen Größen, weiß und in Leinen verpackt, müssen als eiserne Reserve ausreichen. Mehr will ich gar nicht da haben, ich will keine Kinder beerdigen, ich will nicht, daß Kinder überhaupt sterben müssen.
Vielleicht ist es sogar so was wie Aberglaube: Wenn wir das nicht da haben, dann kommt auch keiner mit ’nem toten Kind.

Manni ist schon unterwegs zum Zentrallager des Pietätwarenhändlers, um weitere Sachen abzuholen.
Bis dahin nehme ich zunächst mal die wichtigsten Daten auf und schicke die Eltern dann nach Hause, sie sollen gegen Abend wiederkommen, was ihnen auch lieber ist. Dieses erste Gespräch hat sie genug mitgenommen. Mich auch, muß ich ganz offen zugeben.

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