Allgemein

Mieze Schindler

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Frau Schindler ist alt, sehr alt. Vermutlich an die 90 Jahre wird sie auf dem Buckel haben. Verwunderlich ist es deshalb nicht, daß sie sich Gedanken über den Tod macht.

Alle ihre Freunde und Bekannten sind schon gestorben, ihr Mann Fritz war etwas älter als sie und ist schon vor 25 Jahren gestorben.

„Den hat damals der Schreiner Schrull geholt, mit so einem schwarzen Anhänger für den Sarg. Das fand ich schrecklich.“

Werbung

Da kann ich die Frau beruhigen: „Solche Anhänger gibt’s kaum noch. Wir haben einen richtigen Bestattungswagen.“

„Das ist gut, wenn ich mal tot bin, und das kann bestimmt nicht mehr lange dauern, dann will ich in einem richtig schönen Auto gefahren werden.“

„Das machen wir, kein Problem.“

„Halten Sie mich bitte nicht für schrullig oder größenwahnsinnig, aber ich möchte eine richtig große Beerdigung. Wissen Sie, ich habe vier Kindern das Leben geschenkt, die sind alle im Krieg geboren. Das kann sich ja heute keiner mehr vorstellen, wie schwierig das war, die groß zu bekommen, man wußte ja manchmal nicht, wo man was zu essen herbekommen sollte.

Alle sind sie was geworden, mein Mann hat jedes Kind ein Handwerk lernen lassen. Sie kennen ja den Spruch: Handwerk hat goldenen Boden. Und er hat Recht gehabt, die haben heute alle ihr Auskommen. Obwohl… die sind ja heute auch schon alt, aber gut gegangen ist es denen immer.“

Frau Schindler nestelt an ihrer Handtasche herum, bekommt den Verschluß dann endlich auf und zieht eine Plastikhülle von der Lottogesellschaft heraus. Darin befinden sich Fotos von ihren Kindern, Enkelkindern und den Urenkeln.
Ich weiß, daß ich jetzt Geduld brauche, denn immer sagen alte Leute alle Vornamen und hoffen, daß man sich alles merkt, was sie einem erzählen.
Ich schaue mir die Bilder an, die Frauen sind durchweg alle hübsch, die Männer gucken etwas kuhäugig aus der Wäsche und haben breite Nasen, die müssen sie vom alten Schindler haben.

„Ja, aber sie kennen das ja. Die haben alle viel zu tun, so richtig um mich kümmern können die sich nicht. Ich bin nicht böse, aber ich bin enttäuscht. Wenn ich Geburtstag habe, dann kommen sie natürlich alle, nur der Jens, das ist der hier, der war letztes Mal nicht dabei, der ist beim Barras. Aber sonst? Die Tage fliegen nur so dahin, die Jahre sind so schnell vergangen, aber die Abende und die Wochenenden, die ziehen sich. Es gibt Tage, da gehe ich abends ins Bett und denke: Mensch Mieze, heute hast du noch kein einziges Wort gesprochen.

Genau deshalb will ich eine schöne Beerdigung. Wenn ich nämlich eines Tages mal nicht mehr bin, dann werden die mich auch alle schnell vergessen haben. Wenigstens bei meiner Beerdigung sollen die alle richtig weinen und an mich denken. Deshalb soll es eine große Trauerfeier werden und ein großes Grab will ich und einen Engel als Grabstein, mindestens drei Meter hoch.“

Ich fürchte, ich werde Frau Schindler enttäuschen müssen, denn solche Grabmale sind auf dem Friedhof nicht erlaubt und das sage ich ihr auch. Sie lächelt, hebt den Zeigefinger und fingert dann in den Papieren in ihrer Handtasche herum.

„Hier, schauen Sie! Das ist das Grab von Baron Schauernberg, genauer gesagt die Grablege derer von Schauernberg zu Hitzsprung-Nassau. Von der ganzen adligen Gesellschaft lebt kein einziger mehr, die Sippe ist schon vor über 40 Jahren ausgestorben. Es heißt der letzte Baron sei ein warmer Bruder gewesen, da gab es dann keinen Nachwuchs, aber so was kennt man ja. Das war doch bei diesen Krupps auch so, oder? So, und dieses Grab wird seitdem wegen seiner historischen Bedeutung von der Stadtverwaltung gepflegt. Es ist ein wunderschönes Grab, fünf Meter breit und über drei Meter lang. Kleine Säulen mit schweren, schwarzen Ketten säumen es und hinten steht der Grabstein mit den Namen der ganzen Familie und eben dieser Engel, dieser wunderschöne Engel.

Ich habe immer gedacht, was haben diese Leute für ein Glück, daß so ein schöner Schutzengel sie auch noch im Tode bewacht. Und das wollte ich auch so gerne haben. Deshalb bin ich zur Stadtverwaltung und habe mich mal erkundigt. Seit vier Jahren schon habe ich eine Patenschaft für diese Grabstätte. Ich muß die Grabpflege bezahlen, also alles was der Gärtner macht und die Denkmalbehörde kümmert sich um den Erhalt von allem was aus Stein ist, den Engel und so. Ja und wenn ich dann mal tot bin, dann darf ich in diesem Grab beerdigt werden.
Stellen Sie sich das mal vor! Da ist dann dieser große Grabstein mit der ellenlangen Liste derer von Schauernberg zu Hitzsprung-Nassau und vorne dran liegt ein schöner kleiner Findling, auf dem dann ‚Mieze Schindler‘ steht. Ist das nicht toll?“

Ja, ich finde das toll. Vor allem freue ich mich immer, wenn ich höre, daß solche historischen Grabstätten einen Sponsor finden und erhalten werden können. Sind sie es doch, die den besonderen Charakter mancher Friedhöfe ausmachen und es ist wirklich ein Jammer, wenn man sieht, daß so manche Grabstätte, die schon über hundert Jahre dort war, auf einmal verschwunden ist.

„So, und jetzt schreiben Sie sich mal auf, was ich alles haben will, junger Mann!“

Junger Mann! Neulich erst sagte so ein Kappenfuzzi von kaum 15 Jahren ‚Opa‘ zu mir…

„Einen großen Sarg will ich, den größten und schönsten den sie haben.“

Ich zeige ihr den ‚Adenauer‘, jene übergroße Truhe mit den üppigen Schnitzereien, aber der ist Frau Schindler zu dunkel. Im Katalog tippt sie dann aber auf das Bild eines Sarges, bei dem ausnahmsweise nicht mal ein Preis dabei steht. Es ist ein Kasten aus Buchenholz, riesengroß und seitlich auf dem Deckel ist auf beiden Seiten Leonardo da Vincis ‚Abendmahl‘ eingeschnitzt. Unten herum, am Unterkasten, hat man nahezu alle Heiligen, die die katholische Kirche kennt, eingeschnitzt und den Hintergrund üppig mit Blattgold verziert. Dieses Modell kaufen nur die Angehörigen einer ganz bestimmten Bevölkerungsgruppe, deren Nennung immer zu Schwierigkeiten führt. Für diesen Sarg gibt es extra einen metallenen Einsatz, den man aber nicht nehmen muß.

Frau Mieze Schindler will den auch nicht, aber dieser Sarg, in den sie vermutlich viermal hineinpassen würde, der muß es sein.

Außerdem bestellt sie einen Chor und zwar den von der Kantorei. „Mindestens zwölf Leute sollen das singen und zwar diese Lieder hier.“ Sie legt mir eine Liste vor. Der Gefangenenchor aus Nabucco, das Halleluja aus dem Oratorium Messias von Händel und die Nationalhymne.

„Die Nationalhymne?“ frage ich erstaunt.

Sie grinst: „Wenn schon, denn schon! Die bekommen bestimmt genug Geld, da können die auch was Besonderes singen! Und am Grab soll ein Rabbi das Kaddisch singen oder beten.“

„Sie sind doch aber katholisch, haben Sie mir erzählt.“

„Das schon, aber ich will einen Rabbi, ich finde das so schön.“

„Ich weiß nicht ob das geht. Soviel ich weiß, müssen da mindestens zehn männliche Juden anwesend sein.“

„Na, die werden Sie auch noch auftreiben, oder? Ansonsten fragen Sie Dr. Rosenstein, da war ich auf der Beerdigung von seiner Frau und der hat es selbst gebetet, der kann das und der überlebt mich sowieso.“

Frau Schindler bestellt Blumen und zwar so viele Blumen, daß man damit den Blütenkorso einer ganzen spanischen Kleinstadt ausstatten könnte. Sie will auch einen Posaunenchor und zwar den von der evangelischen Kirchen, die sollen am Grab spielen.

„Ein katholischer Pfarrer, das Halleluja von Händel, das jüdische Kaddisch-Gebet und ein evangelischer Posaunenchor?“ sage ich erstaunt.

Doch Frau Schindler schnalzt nur mit der Zunge, zeigt mit dem Zeigefinger nach oben und sagt: „Dem da oben ist es doch egal, der Liebe Gott guckt sowieso nur, ob man ein guter oder schlechter Mensch war. Was man für ein Etikett im Hemd hat, interessiert den doch sowieso nicht. Wenn die Menschen das begreifen würden, dann gäbe es weniger Krieg auf der Welt. Das ganze Theater haben wir doch nur, weil sich die Menschen in ihrer Beschränkheit einbilden, sie wüßten was Gott will und sie müßten diesen Willen hier umsetzen. Was Gott will, daß hat uns Jesus doch gesagt: Wir sollen lieb sein zueinander. Ach und außerdem, ob evangelisch, jüdisch oder katholisch, wenn die ihre paar hundert Euro bekommen, dann sind die alle da auf meiner Beerdigung.“

Womit sie vermutlich Recht hat.

Frau Schindler hat wirklich ganz konkrete Vorstellungen und meine Liste mit Sonderwünschen wird immer länger.
Am Ende des Gespräches muß ich ihr sagen, daß ich unmöglich einen Preis nennen kann, das alles will erst einmal recherchiert und kalkuliert werden. Aber das sei ihr egal, sagt sie, sie habe seit Jahren dafür gespart. Das Geld wolle sie so schnell wie möglich bezahlen, damit auch alles wirklich so gemacht wird wie sie es haben will.

Ich empfehle ihr, ein Sparbuch anzulegen und mit einem Sperrvermerk versehen zu lassen. Das soll sie bringen und bis dahin werde ich ausgerechnet haben was das alles kostet.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Leser Leroy Blench, bearbeitete Version

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

Bildquellen:

    Hashtags:

    Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

    #Lektorin A #mieze #schindler

    Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


    Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

    Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




    Lesen Sie doch auch:


    (©si)