Geschichten

Das müssen Sie aber alles noch machen

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Herr Brösel ist ein sehr netter älterer Herr gewesen, der mich vor zwei, drei Jahren in seinem altdeutsch eingerichteten Wohnzimmer empfangen hat, um eine Bestattungsvorsorge abzuschließen.
Bei etwas altbackenem Kuchen und dünnem Kaffee waren wir ins Plaudern gekommen und der alte Herr hatte mir viel von seinen Erlebnissen erzählt, die durch die Flucht aus dem Osten sehr dominiert waren.

Dann war Herr Brösel eines Tages genau in dem Sessel, in dem ich ihn damals angetroffen hatte, eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Nach der ärztlichen Untersuchung haben Manni und ein Kollege ihn abgeholt und ins Bestattungshaus gebracht.

Jetzt sitze ich wieder in der Wohnung des Herrn Brösel, diesmal aber in der Küche auf einem Stuhl und balanciere meine Unterlagen mühsam auf den Knien, denn einen Tisch gibt es nicht mehr.
Dafür entschuldigt sich seine Tochter, die sich mit mir dort getroffen hat, um letzte Anweisungen für die Zeremonie zu geben.

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„Die Wohnung haben wir schon ausgeräumt. Der Vermieter war einen Tag nach Papas Tod da und hat gesagt, wenn wir nicht binnen drei Tagen ausräumen, müssen wir noch das ganze Quartal, also drei Monate lang die Miete weiter zahlen.“

Ich schüttele den Kopf, will etwas dazu sagen, will sie auf die Besonderheiten beim Kündigungsrecht im Todesfall hinweisen, da schließt jemand die Tür zur fast leergeräumten Wohnung auf und kommt in den Flur.
Es ist ein Mann von etwa 60 Jahren und seine etwa gleichaltrige Frau. „Plotzmann!“ stellt er sich vor und schaut sich fragend und stirnrunzelnd um: „Was machen Sie hier? Wir wollen jetzt hier ausmessen.“

„Oh, entschuldigen Sie bitte, das ist der Herr vom Bestattungsinstitut, wir haben uns hier getroffen, weil hier ja noch die Kisten mit Papas Unterlagen stehen. Sie können gerne ausmessen, wenn sie wollen!“

„Ja nee, so geht das nicht. Als Vermieter habe ich das Recht hier eine Begehung durchzuführen und Sie haben es zu dulden und den Weg zu allen Räumen frei zu halten. Da stehen ja noch zwei Pappkartons im Wohnzimmer und diese Stühle in der Küche.“

„Ja aber, wir haben doch noch einige Tage…“

Herr Plotzmann hört gar nicht mehr zu, beginnt damit, auf einem Schreibblock Notizen zu machen und seine Frau kommt in die Küche, nimmt gar keine Notiz von mir und fährt mit dem Finger die Steckdosen von innen ab. „Sauber ist aber anders“, sagt sie und wendet sich den Heizkörpern zu. „Die sind ja auch nicht gestrichen worden, mindestens seit zwei Jahren nicht. Das muß noch erledigt werden.“

„Aus dem Wohnzimmer tönt Herr Plotzmann: „Die Tapete machen Sie ja noch runter, nicht wahr? Und dann schön mit Rauhfaser bekleben und weiß streichen, steht so im Mietvertrag.“

Die Vermieterin stemmt die Hände in die Hüften und schüttelt den Kopf: „Das hätte ich von ihrem Vater nicht gedacht…“

„Ja was denn?“

„Daß er so einen Schweinestall hinterläßt.“

„Ja aber mein Vater hat alle paar Jahre alles renovieren lassen, die Küche erst vor anderthalb Jahren.“

„Das muß alles neu. Da gibt es ja fest Intervalle! Steht alles im Mietvertrag. Die Küche alle zwei Jahre, das Wohnzimmer alle drei Jahre, das Schlafzimmer alle fünf Jahre, Türen, Fensterrahmen und Heizkörper alle sieben Jahre.“

„Das sieht doch alle noch gut aus“, wehrt sich die Tochter, doch Frau Plotzmann bleibt unerbittlich: „Das ist ja unerhört, stirbt einfach zwischen den Renovierungsintervallen. Sie werden uns nachweisen müssen, wann wo zuletzt renoviert wurde, sonst müssen wir davon ausgehen, daß alles neu gemacht werden muß.“

„Ist doch aber alles in Ordnung, sieht doch alles sauber und neu aus.“

„Das spielt ja keine Rolle. Die Intervalle stehen im Mietvertrag und die Prozentklausel auch.“

Was für eine Klausel?“

„Wenn da steht, daß die Türen alle sieben Jahre zu renovieren sind und ihr Vater vor Ablauf der sieben Jahre gestorben ist, sagen wir nach fünf Jahren, dann hat er ja fünf von den sieben Jahren abgewohnt und demnach müssen sie fünf Siebtel der Kosten tragen. Wir übergeben das alles unserem Malerfachbetrieb.“

Die Tochter schaut mich ganz verunsichert an. Während die Vermieterin zu ihrem Mann ins Wohnzimmer geht, fragt sie mich: „Stimmt das? Müssen wir das jetzt alles noch machen lassen und bezahlen?“

Ich zucke nur mit den Achseln, dann schüttele ich langsam den Kopf und sage: „Ich glaube nicht. Aber ich schreibe Ihnen mal die Nummer von einem guten Anwalt auf, der sich in Mietsachen auskennt.“

Später habe ich erfahren, daß die Tochter und ihr Mann gar nichts zahlen mußten und auch nicht renoviert haben. Sie haben die Wohnung termingerecht komplett geräumt und dem Vermieter den Schlüssel übergeben.
Vorher hatten sie im Beisein eines Zeugen den Zustand der Wohnung genau dokumentiert und fotografiert.

Es zeigt sich, daß man nicht immer klein beigeben sollte, wenn manche Leute so hemdsärmelig und resolut auftreten.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#Antonia #Büser #Sandy

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(©si)