Geschichten

Mullugole mit Charisma

Pastor Jones

Pastor Müller erfreute sich bei seinen Gemeindeschäfchen besonderer Beliebtheit. Der gemütliche Mann ließ es sich nicht nehmen, allabendlich in der Schänke einzukehren und ein Herrengedeck zu sich zu nehmen.

Einmal im Monat nahm er am Stammtisch Platz und klopfte mit den anderen Herren zigarrenrauchend Karten. Seine Predigten waren eindrucksvoll und ebenso volksnah war sein sonstiger Lebenswandel. Er aß gerne gut, er trank auch mal was und das Wichtigste: Er hatte für jeden ein offenes Ohr und ein paar hilfreiche Worte.

In den guten Jahren der katholischen Kirche standen ihm ein Kaplan und drei Missionare zur Seite. Die Missionare waren deutsche Ordensbrüder, die nach langen Auslandsaufenthalten einige Jahre im regelmäßigen Gemeindedienst Kraft schöpfen sollten.

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Sonntags gab es fünf Gottesdienste, werktags immer zwei. Die Kirche war auch in den fetten Jahren nur an Weihnachten und Ostern komplett gefüllt, aber auch zu den populären Gottesdienstzeiten stets gut besucht.
Die 7-Uhr-Zittermesse hieß so, weil da nur ein paar ganz alte Frauen mit zittriger Stimme kamen, und auch die Abendmesse fand vor nur spärlich gefüllten Kirchenbänken statt. Doch sonntags zum Kindergottesdienst um 9 Uhr und zum festlichen Hochamt um 10.15 Uhr war die Kirche ziemlich voll.

Zu Beerdigungen erschien Pastor Müller mit drei bis vier Ministranten. Das war immer sehr feierlich und die jungen Burschen machten da sehr gerne mit, weil sie dann für eine Dreiviertelstunde aus der Schule abhauen durften.
Ein Ministrant trug das große Kreuz an einer Stange, einer hielt dem Pastor sein Buch vor die Nase und der Dritte schwenkte Weihrauch, bis der ganze Friedhof im Disco-Nebel lag. Manchmal war noch ein Vierter dabei, der einen Weihwassereimer und das Aspergill (das Ding zum Besprengen der Trauergäste) trug.

Doch es kam der Tag, an dem sich der Pastor in den Ruhestand verabschiedete. Eigentlich wollte er noch ein paar Jährchen weitermachen, aber seine Haushälterin, die alte Frau Pflugmacher, konnte nicht mehr und an eine neue mochte sich der alte Herr nicht mehr gewöhnen. Mit einer feierlichen Messe wurde er verabschiedet und zog dann zu seiner jüngeren Schwester in ein Haus im Emsland.

Danach wurde langsam alles anders.

Die Kaplanstelle wurde abgeschafft. Ein Diakon übernahm zunehmend die Dienste und der neue Pastor konnte nie richtig Fuß fassen.

Zehn Jahre später stand das Pfarrhaus leer. Das Kaplanhaus war längst an einen Arzt verkauft worden, und Missionare gab es auch keine mehr.
Stattdessen gehörte die einst blühende Pfarrei nun zu einer Gesamtgemeinde, deren junger Pfarrer gleich für fünf oder sechs Gemeinden zuständig war.
Ihm standen ein Priester aus Indien und einer aus Afrika zur Seite.

Wir hatten einen Sterbefall genau in dieser Gemeinde anzumelden, konnten aber erst nach langem Hin und Her im Pfarrbüro jemanden erreichen. „Wir sind nur noch dienstags da. Die Beerdigung macht Pastor Jones.“

Auf dem Friedhof hatten sich ungefähr 30 Trauergäste versammelt. Es nieselte leicht und es war auch ziemlich kühl. So’n richtiges Beerdigungswetter.
Der Friedhofswärter ließ die Totenglocke dreimal kurz anklingen, das war dort immer das Zeichen, dass die Trauerfeier in Kürze losgeht.

Der Organist orgelte ganz wundervoll und schaffte es, dem altersschwachen Instrument tatsächlich schöne Töne zu entlocken.
Die Seitentür öffnete sich und der Pfarrer trat herein. Ein riesengroßer und ganz dünner Mann aus Afrika. Seine weißen Zähne blitzten und er strahlte die Trauergäste an.

Der Mann strahlte Ruhe und Würde aus, ordnete seine Unterlagen und wartete das Ausklingen des ersten Liedes ab.
Dann schaute er auf, erhob seine Stimme und sagte: „Mullugole, isch mache, mit Sie und kommen Lumbo jajakum dann ich wusch mama, Amend!“

Ja, er sagte Amend.

Ich möchte den guten Priester nicht verhöhnen und mich auch nicht über Menschen aus Afrika lustig machen, um Himmels willen. Aber anders, als durch diese Beschreibung kann ich es nicht wiedergeben.

„Franz Muttmann ist gestorben mullu gan. Hamma wunschu die Familie gubolim anna logolim.“

Fließend und schnell sprach der etwa 40-Jährige ein Kauderwelsch, das er für Deutsch hielt, in dem auch immer wieder deutsche Wörter durchschimmerten, das aber keiner wirklich verstand. Dafür sprach er aber laut und kraftvoll mit einer tiefen und sehr wohlklingenden Stimme: „Amend!“

„Mullugole, Franz Muttman, Familie tot, ganglu imbowalla.“

Brav folgte die Trauergemeinde dem Sarg und dem Pastor zum Grab.
In ähnlicher Art und Weise hielt Pastor Jones am Grab noch eine kurze Andacht. Dann griff er zum Aspergill, tauchte ihn in das Eimerchen mit dem Weihwasser und besprengte die Gemeinde mit dem gesegneten Nass. Normalerweise machte der Pfarrer das so dreimal, dann war es wieder gut.
Aber Pastor Jones tauchte den Stengel mit der durchlöcherten Kugel immer wieder in den Eimer und war erst glücklich, als alle Anwesenden mehr Wasser aus einem Eimerchen abbekommen hatten, als vom dünnen Nieselregen.

Dann betete er mit den Anwesenden das Vaterunser.

„Battaunsa dadu bisti Immele
eilig Name
Steinreichkomm, Willi schehe
wimmele so auferdehn
Unsa tägischi Brott gippu heu
und vagipp unnaschult
wie au wi vagipp unnaschult
furunsinitt Vasuchumb
sonnalös Bös‘
Dir issi Reichundkraf
unti Hallisch kait inewisch Amend!“

Hätte Jens, der Enkel des verstorbenen Franz Muttmann das Ganze nicht auf VHS-Video aufgezeichnet, wäre es nicht überliefert worden. Gott sei Dank gab es damals noch keine sozialen Medien, in denen man das breittreten konnte.

Beim anschließenden Kaffeetrinken im Café Bauer waren sich alle Anwesenden einig, dass der neue Pastor soooooo schön gesprochen habe, als habe er den Toten persönlich gekannt. Und seine Rede sei ja so schöööööööön gewesen. So ein netter Mann!

Charisma nennt man das!

Bildquellen:

  • pastor-afrika: Peter Wilhelm KI

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