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Narhallamarsch

Erwin Pöttermann hat sich große Verdienste um den Karneval erworben. Unvergessen sein Auftritt als singende Putzfrau im Jahre 1967, bei dem er unter Weglassung jeglichen Reimes und unter konsequenter Nichtbeachtung der Melodie aber heftig im derben Dialekt über das Thema „Wir wollen ’ne Umgehungsstraße“ eine einmalig gut Büttenrede gehalten hat. 1968 war er dann wieder dabei. Diesmal zur großen Überraschung aller als singende Putzfrau ohne Reim und Melodie. Schon ein Jahr später galt die singende Putzfrau als traditionell feste Größe und Pöttermann als Urgestein der deutschen Fasnacht.

Immerhin 17 Jahre lang konnte er als singende Putzfrau für Furore sorgen, dann traf ihn und sein Traditionsprogramm ein herber Schlag, die besagte Umgehungsstraße wurde gebaut und Pöttermann war gezwungen, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Das ist jetzt leichter gesagt als getan und so kam es im „Komitee Alter Cameraden Karnevalsverein von 1900“ (KACK 00 e.V.) zu einer auch heute noch nicht vergessenen Krise.
Das Zugpferd Pöttermann nahm sich eine Saison Auszeit und die ganze Session musste ohne die singende Putzfrau stattfinden. Er brauchte dieses Jahr, um ein völlig neues Programm zu erarbeiten.

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Diese Sinnkrise wurde dann aber von einem Herzinfarkt überschattet, den Pöttermann erleiden mußte, was ihn zum Kürzertreten zwang.
Erst im Jahre 1992 setzte sich das Zugpferd des närrischen Treibens wieder an den blank polierten Wohnzimmertisch seines Reihenendhauses in der Dölkerstieger Straße 141 und schrieb sich eine neue Büttenrede. Dieses Mal forderte er in seinem Sprechgesang mit den Worten: „Drum lasst uns eine Mauer bauen, damit die Scheiße drüben bleibt“ eine Lärmschutzwand für die Umgehungsstraße.

Die Rückkehr der singenden Putzfrau wurde allgemein begrüßt und im Saal auf das Heftigste bejubelt. Viele hatten es versucht, doch keiner war ihr in den vergangenen Jahren auch nur nahe gekommen, so beliebt war Pöttermann. Doch geriet seine Büttenrede zum Skandal. schon nach den ersten paar Zeilen tobte der Saal, aber nicht vor Begeisterung, sondern vor Empörung. Was Pöttermann und der Elferrat nicht bedacht hatten: Die nahegelegene Schulkreidefabrik hatte in den letzten Jahren eine große Zahl von früheren Traktoristen und Melkern aus der ehemaligen DDR angezogen, die sich im Ort niedergelassen hatten und zu einem großen Teil an der Veranstaltung teilnahmen.
Gerade die Zeile: „Denn was da von Osten kommt, das stinkt, ist laut und nervt gewaltig. Drum lasst uns eine Mauer bauen, damit die Scheiße drüben bleibt!“ wurde von diesem Teil der Anwesenden vollkommen falsch verstanden. Sie kannten die Tradition der über die Umgehungsstraße schimpfenden singenden Putzfrau nicht und fühlten sich beleidigt.

Pöttermann ging nach der zweiten Strophe, von einem Bierhumpen an der Stirn getroffen, von der Bühne ab. Nur mit Mühe gelangt es dem beinbehaarten Männerballett, wieder eine fröhliche Stimmung in den Saal zu bringen.

Die singende Putzfrau war nach diesem Auftritt gestorben, das heißt, die Figur der singenden Putzfrau. Pöttermann, ausgezeichnet mit der goldenen Narrenkappe des Verbandes der Karnevalisten und Träger der goldenen Nadel des KACK 00 e.V. bekam einen Ehrenplatz im Elferrat.

Ja und eben jener Pöttermann, der seiner singenden Putzfrau immer nachtrauerte und sein niemals ausgesprochenes, aber faktisch existierendes Auftrittsverbot nie ganz überwunden hatte. Verstarb am letzten Samstag ohne viel Federlesens während der großen Prunksitzung seines Vereins einsam und verlassen beim Wasserlassen auf dem Herrenklo der Wilhelm-Steuberberg-Halle.

So und damit kommt dann der Bestatter ins Spiel. Wir erhalten also einen Anruf, von einem Handy aus, im Hintergrund lautes Gejohle, ein Tusch und wieder Gelächter. Da liege ein Toter und müsse abgeholt werden. Klar, das ist einer jener Scherzanrufe, getätigt in bierseliger Laune, nach einem langen Karnevalsabend.
Nein, Dr. Brockhagen sei doch auch schon dagewesen, hieß es und so versicherten wir uns durch einen Anruf bei besagtem Arzt, daß alles seine Richtigkeit hatte.

Nun kann man eine Veranstaltung, bei der sich etwa 700 bis 800 Leute schier um den Verstand saufen, nicht einfach mittendrin abbrechen, nur weil ein doch schon ziemlich alter Mann auf dem Klo in die ewigen Jagdgründe gegangen ist. Mal abgesehen davon, daß die Leute für einen bunten Abend bezahlt haben, würden sie sich sehr hinderlich zu einer riesengroßen Traube Neugieriger umformen und den Abtransport erheblich behindern.

Es hieß also, ganz unauffällig zu kommen, Pöttermann aus dem Klo zu bergen und mitzunehmen.

„Rohrbruch!“ hatte einer der Veranwtwortlichen verkündet und zwei uniformierte Gardisten leiteten alle Pinkelwütigen zu den Toiletten auf der anderen Seite der Wilhelm-Steuberberg-Halle um.
Durch die Halle, wo man Sekt und Würstchen verkaufte und wo sich die dem Nikotin Verfallenen um einen Tisch mit Aschenbechern sammelten, konnten wir mit der Trage auch nicht gehen. Uns wurde ein Fenster direkt gegenüber der Toilettenanlage zugewiesen. Wenigstens waren die Karnevalisten, die Pöttermanns Ableben mitbekommen hatten, hilfsbereit und packten beim Hineinschieben der Trage durch das Fenster, beim Aufladen des doch recht schwergewichtigen Mannes und beim Abtransport, wieder durchs Fenster, kräftig mit an.

Während sich die Klappe des Bestattungswagens leise schloß, tönte von drinnen der Narhallamarsch.
Ein würdiger Abgang für die singende Putzfrau.

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