Geschichten

Nazi-Hitze

Wabernd zieht sich die Hitze durch unsere Räume.
Der alte Bau hat dicke Mauern, es dauert im Winter ewig, bis wir die Hütte warm haben, aber dann halten die dicken Mauern die Wärme auch gut.
Leider tun sie das auch im Sommer. Vor dem Umbau, der uns eine schöne Klimaanlage bescherte, mußten wir so manchen Sommer leiden.
Und Frau Büser ist ja eben das, was der Name Frau Büser schon impliziert, nämlich eine Frau. Und das hat einige ganz besondere Auswirkungen auf das Betriebsklima. Hiermit ist aber tatsächlich das Klima im Betrieb gemeint und nicht etwa das Zwischenmenschliche.

Ihre Vorstellungen von warm und kalt sind vollkommen anders als meine. Wenn ich schwitze wie ein Ochse, der am Bratspieß mit Fett übergossen wird, zieht sie eine Strickjacke über und meint nur mit hoher Stimme: „Kalt, gell?“

So, sie sagt kalt. Ich habe ein anderes Wort zur Beschreibung von Temperaturen aus ihrem Munde noch nie vernommen. Es ist immer nur kalt. Allenfalls ist es mal kühl. Aber warm? Nein, warm ist es nie.
Sagen wir es so, wir könnten in unseren Büros dreimal im Jahr Auberginen ernten. Selbst im Winter hängen dicke Tropfen botanischer Ausdünstungsexkremente an der Zimmerdecke und über den Fußböden wabern flirrende Fata Morganas.

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Sommerhitze. Das bedeutet für mich: Frühmorgens alle Fenster aufreißen, die Kühle hereinlassen, dann die Luken zu und die Rollläden mindestens halb runterlassen, damit die ekligen Sonnenstrahlen draußen bleiben. Für die Helligkeit hat Thomas Alpha Edison einen Wolframdraht in ein gläsernes Vakuum gesperrt, wo er zur Strafe glühen muss, bis es ihn zerreißt.

So sitze ich in meinem noch nachtkühlen verdunkelten Büro und Frau Büser kommt rein.
Das muss man sich jetzt so vorstellen: Es ist nur eine einzige Bewegung. Anders kann ich es nicht beschreiben und deshalb bleibt mir auch keine Zeit, etwas dagegen einzuwenden.
Sie ist im Zimmer und gleichzeitig redet sie mit mir, legt mir etwas auf den Tisch, hat die Rollläden hochgezogen, die Fenster aufgerissen und das Licht ausgeschaltet. Bevor sie nach etwa 1,5 Millisekunden wieder raus ist, hat sie noch die Sätze: „Da kann ja kein Mensch was sehen. Sie ersticken mir ja. Das Geld für den Strom können wir sparen. Sie müssen ja auch mal frische Luft haben“ hinterlassen.
Und das alles geschieht nicht nur schnell, sondern mit eherner Konsequenz, so als würde ein Gesetz beschlossen, verkündet und in die Tat umgesetzt.

Durch das Fenster scheint die Sonne genau auf meinen Tisch, die Tischplatte erhitzt sich auf Spiegeleitemperatur (toll zu lesen dieses Wort) und ich schwimme in Schweiß.
(Achtung Konjunktivgebirge:) Würde ich nun das Fenster wieder schließen, forderte das nur einen abermaligen Auftritt der Büserin heraus, in dessen Verlauf sie das Fenster wieder öffnen und zur Untermauerung ihrer Allmachtsansprüche noch ein dickes Stück geknickter Pappe zwischen Fenster und Rahmen klemmen würde.

Sengende Hitze, früher Nachmittag, eine ältere Dame hat ihren Besuch angekündigt und als sie eintrifft, gehe ich zu ihr in eins der Beratungszimmer.
Dieser Raum war der büserschen Belüftung den ganzen Tag entgangen und ich erwartete, dort angenehme Temperaturbereiche vorzufinden.
Doch als ich in den Raum eintrete, sehe ich eine etwa 80 Jahre alte, sehr kleine Frau, die gerade ein Stück Pappe zusammenfaltet und zwischen Fenster und Rahmen klemmt. „Hier muss mal Luft rein, draußen ist es so schön!“

Nun kommt Wärme ja nicht wie kleine Schneeflöcklein ganz allmählich, still und leise, sondern Wäre, gar wenn sie Hitze ist, kommt mit der Eleganz eines mittleren Reisezuges: Wamm, ich bin da! Zack!

Antonia kommt, und fragt, was wir trinken möchten. Ich ordere ein eiskaltes Wasser und die alte Dame eine Tasse schön heißen Tee.

Beides kommt kurz darauf und bevor wir uns dem Geschäftlichen zuwenden, trinken wir jeder ein paar Schlucke. Dann blickt die Dame nachdenklich den Löffel an, mit dem sie ihren Tee umgerührt hatte.
Ich denke mir, sie ist vielleicht in Trauer und muss ihre Gedanken sammeln. Vielleicht starrt sie deshalb so auf den Löffel.
Dann schaut sie mich an, mustert mich von oben bis unten und meint dann: „Eigentlich sind Sie ja viel zu jung.“

„Zu jung für was?“

„Um in der Partei gewesen zu sein.“

„In der Partei?“

„Ja, in der NSDAP.“

„Ich wurde 14 Jahre nach Kriegsende geboren“, sage ich. Und die Dame deutet nur auf den Löffel.

Ich schaue mir diesen Löffel näher an. Und tatsächlich hinten oben auf dem Löffelstiel sind die Wörter „Rostfreier Stahl“ eingeprägt und ein Reichsadler mit Hakenkreuz sowie der Großbuchstabe M.

Jetzt muss ich erklären, dass Frau Büser, Antonia und Sandy im Verbund mit meiner Allerliebsten immer alles bei IKEA kaufen. Genauergesagt IN DER Ikea.
Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kottbullar-Schwenker auch Hakenkreuz-Besteck im Angebot haben.

Es ist bis heute eines der großen Geheimnisse des Dritten Reichs, wie dieser Löffel in unseren Fundus gelangt ist. Niemand hat auch nur die geringste Erklärung.
Nur Antonia meint, das sei eindeutig der Löffel von Hitlers Ehefrau! Mandy Braun. Das große M beweist es ja.

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 28. Juni 2019 | Revision: 3. Juli 2019

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    9 Kommentare
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    Suchmaschinenbediener
    5 Jahre zuvor

    Bei Google findet man dazu mit den Suchbegriffen Kriegsmarine Cutlery Teaspoons entsprechendes Bildmaterial – das „M“ steht also für Marine.

    War vielleicht ein Vorfahr/Verwandter, der zur Zeit von Adolf dem Unnötigen gelebt hat, Seefahrer?

    Der kleine Tierfreund
    5 Jahre zuvor

    …warum hat diese uralte Frau Augen wie ein Adler? Und warum muss ich Jungspund( Bj.63 ) eine Lesehilfe beanspruchen, um eine Tütensuppe adäquat zuzubereiten? Das Leben ist nicht fair… ( Zitat geklaut )

    josef
    Reply to  Der kleine Tierfreund
    5 Jahre zuvor

    @ Der kleine Tierfreund!
    Wir haben das selbe Baujahr, und beide schlechte Augen. Ich muss schon seit ich 16 war eine Brille haben, nun wir müssen es mit Fassung ertragen.
    Schielmann lässt grüssen! 🙂

    Reply to  josef
    5 Jahre zuvor

    Ohne Fassung halten die Gläser ja auch nicht 😀

    Mad Scientist
    5 Jahre zuvor

    Der Gast beim Betrachten des Bestecks:“ Ach, Ihre Frau ist eine geborene Lufthansa?“

    turtle of doom
    5 Jahre zuvor

    Der Löffel ist nur mit ostfriesischem Zucker kompatibel…

    hw
    5 Jahre zuvor

    Abgeschotteter dunkler Raum mit geschlossenem Fenster? Kachelmann übernehmen Sie!

    John
    5 Jahre zuvor

    Ich finde das in einem Beerdigungsinstitut gar nicht sooo unlogischn. Irgendwann geben halt auch Altnazis den Löffel ab. 🙂

    Sebastian
    Reply to  John
    5 Jahre zuvor

    Ba dum tss. Bitte einmal 5€ in die schlechte Wortspielkassa! 😉




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