Geschichten

Neumond

Unser Sarglager befand sich im Keller neben der Tiefgarage. Vom Hof aus war es gut über eine Rampe zu erreichen, nur ein Sarglieferant hatte immer Schwierigkeiten, sein LKW war einfach zu lang, um dort abladen zu können.
Särge müssen bei gleichmäßiger Luftfeuchtigkeit und Temperatur gelagert werden, sonst können sie sich verziehen.
Sonnenlicht beispielsweise kann für farbig lackierte Särge Gift sein, zu schnell verblaßt die Farbe.
„Genau deshalb heben Vampire ihre Särge immer im Dunkeln auf“, meinte Sandy einmal dazu.

„Schweig still, dummes Kind“, hatte ich geantwortet und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Tür. Wir waren nämlich gerade dabei, etliche Särge vom Ausstellungsraum ins Lager im Keller zu transportieren. Sie mußten anderen Modellen Platz machen, die ich neu bestellt hatte. Alle Särge aus unserem Katalog konnte ich sowieso nicht in die Ausstellung stellen, denn einerseits hätte dafür der Platz gar nicht gereicht und andererseits hatte ich ganz zu Anfang gelernt, daß eine zu große Auswahl die Kunden nur in ihrer Entscheidung hemmt.
„Was is’n mit dem Kindersarg?“, rief Antonia, die mit Abstauben und Polieren beschäftigt war: „Der ist schon so schäbig geworden, kann der nich‘ weg?“

„Der kann weg“, knurrte ich zwischen den Zähnen hervor, denn beinahe hätte Sandy mir zwölf meiner zehn Finger eingeklemmt.

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Ich weiß gar nicht, warum der Kindersarg überhaupt oben auf einem Schrank ein Schattendasein führte. Obwohl, Schattendasein war nicht das richtige Wort, er hatte Sonne abbekommen und war auf dieser Seite ganz gelb geworden.
Manni soll den neu streichen, dann gut einpacken und unten im Lager aufbewahren“, rief ich Antonia noch zu.

Kindersärge brauche ich nicht, Kindersärge will kein Bestatter, Kindersärge sollte es überhaupt nicht geben müssen.

Nach zwei Stunden waren wir fertig und zufrieden betrachtete ich das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Rechts in den Sargregalen standen die Standardmodelle, die jeder Bestatter wohl hat, und auf dem Boden, hinten durch kleine Podeste etwas erhöht, die neuen und etwas teureren Modelle. Dazwischen große Grünpflanzen und ein paar Gipssäulen mit antiker Anmutung, mit ausgewählten Urnen obendrauf.
Ich liebte diesen Geruch von Holz, Harz und Lack.

Ja, so konnte man die Sachen präsentieren, so würden die Kunden sowohl die günstigen Standardmodelle sehen, wie auch die für uns etwas lukrativeren besonderen Särge.

Unten im Keller sah ich ebenfalls nach dem Rechten und gemeinsam mit Manni hob ich vielleicht schon den vierzigsten Sarg an diesem Tag von einem Platz zum anderen, dann war ich auch dort mit der Situation zufrieden.

„Was soll ich mit dem Kindersarg machen?“, fragte Manni.

„Wie ich gesagt habe, neu anstreichen und dann zu den anderen, aber schön in Malerflies einwickeln.“

Kindersärge stellt man nicht in die Ausstellung und wir Bestatter haben sie auch im Lager nicht gerne vor Augen. Wenn Kinder sterben, ich schrieb das schon mal an anderer Stelle, dann ist das immer nur eine ganz große Scheiße. So etwas belastet auch uns.

„Mach ich morgen“, sagte Manni und verabschiedete sich in den wohlverdienten Feierabend.

Oben in der Wohnung legte ich mich an diesem Tag erstmal eine Stunde lang in die Badewanne, das warme Wasser tat den Muskeln und Gelenken gut, diese Sargschlepperei ist ganz schön anstrengend.

Ich hatte gerade mein üppiges Resthaar wieder in Form gebracht und mir bequeme Freizeitkleidung angezogen, da klingelte das Telefon. Ich hatte Bereitschaft und meldete mich. Ein gewisser Hubert Fritzmann war gestorben, sagte mir eine verweinte Stimme am Telefon, und man würde in einer Stunde oder so bei uns vorbei kommen, um alles zu regeln.“

Das kannte ich schon, da brauchte ich auch nicht damit zu argumentieren, daß der nächste Morgen auch noch früh genug sei, wenn die Leute kommen und alles besprechen wollen, dann muß man sie lassen.
Hubert Fritzmann, soviel war anhand des Namens klar, mußte ein alter Herr sein, vermutlich im Altersheim oder im Krankenhaus verstorben.
Ich hatte kaum aufgelegt, da klingelte das Telefon schon wieder und an der Nummer im Display erkannte ich, daß es das Hedwigius-Seniorenhaus war. War das schon der Abholungsbefehl für den alten Herrn Fritzmann? Die Leiterinnen von Sankt Hedwigius waren nämlich streng und sehr bestimmend, was diese Dinge anbetraf. Abholung von Verstorbenen nur bei Dunkelheit und nur hinten über den Hof durch die Kellergänge, damit ja niemand von den noch Lebenden Heimmumien mitbekommen konnte, wenn mal wieder jemand abgeholt werden mußte.
Wer dort starb, der fehlte dann halt morgens beim Frühstück, guten Appetit, schönen guten Morgen.

Aber nein, die Frau vom Heim hatte den Tod einer Vorsorgekundin zu melden, die bitteschön nach 21 Uhr, übern Hof und durch den Keller abgeholt werden müsse.
Jau, machen wir.
Ich rief Manni an und er und ein Kollege machten sich auf die Socken. In dieser Zeit hatte Manni häufiger den Bestattungswagen mit nach Hause genommen, damit er von dort schneller beim Einsatzort sein konnte.

In aller Ruhe zog ich mich um, als Bestatter muß man ja etwas Würde ausstrahlen und kann nicht in der bequemen Jogginghose seine Kunden bedienen.

Es war schon dunkel, als ich mich wartend vor die Tür unseres Hauses stellte. Der Neumond verabschiedete sich gerade und nur eine hauchdünne Sichel war am ansonsten sternenklaren Himmel zu sehen. Ich war gespannt, wer wohl zuerst eintreffen würde, die Angehörigen des alten Herrn Fritzmann oder die verstorbene Frau aus Sankt Hedwigius?

Die alte Dame machte das Rennen, ich blickte auf die Uhr und nickte. Darauf hätte ich mein letztes Pferd verwettet, wie Frau Büser immer zu sagen pflegte. Denn für später am Abend war noch eine Boxkampfübertragung angesetzt und wie ich meinen Manni kannte, würde er sich die nicht gern entgehen lassen. Ich wußte aber auch, daß er, weil’s ja eine Vorsorge war, die Verstorbene noch ankleiden und einbetten würde, das spart viel Zeit am nächsten Tag.
Gerade wollte ich runtergehen, um ihm zu sagen, er könne das auch bleiben lassen und solle nach Hause fahren, um den Kampf anzuschauen, da kam er auch schon mit dem Aufzug hoch: „Chef, hier sind die Papiere.“
Ich stand immer noch in der offenen Tür und drehte mich zu ihm um: „Manni, Sie brauchen nicht hier zu bleiben, fahren Sie nach Hause; die Verstorbene hat doch Zeit bis morgen.“

„Nee, nee, morgen früh hab ich noch drei andere zu holen, die Frau legen wir noch in den Sarg, falls wir nicht fertig werden, guck ich mit Willi den Kampf unten im Keller auf dem kleinen Fernseher, kein Problem.“

Ich schaute ihm in die Augen und war stolz auf diesen Mitarbeiter. Auf einmal sah ich in seinem Gesicht Blässe aufsteigen und langsam öffnete sich sein Mund. Tonlos formten seine Lippen einige Worte und Manni deutete mit dem Finger über meine Schulter auf die Straße.
Ich wandte mich um und sah, was er sah …

Im spärlichen Licht der Straßenlaternen kam ein Paar auf uns zu gelaufen. Das an sich war nichts Ungewöhnliches, jedoch trug der Mann ein totes Kind auf seinen ausgestreckten Unterarmen.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 9. April 2015

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9 Jahre zuvor

Na, das ist mal wieder ein Knaller zur Morgenzeit. Wie in besten Zeiten ein Cliffhänger mit Gänsehaut!

Held in Ausbildung
9 Jahre zuvor

Scheisse, keine toten Kinder! :-((

Takana
9 Jahre zuvor

Wie der Undertaker beim Umräumen wieder bemerkt hatte:

„Die kleinen Särge sind die schwersten.“

Ein kurzer Satz mit soviel Klos für den Hals….




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