Geschichten

Neumond II

Hubert Fritzmann war kein alter Mann, sondern ein acht Monate alter Knabe. Es scheinen wohl gewisse alte Männernamen wieder in Mode zu kommen.
Ich hätte nie damit gerechnet, und es war Bestandteil etlicher Bestatterwitze, daß mir mal jemand eine Leiche selbst bis direkt vor die Tür bringen würde.

Eine Viertelstunde später hatte ich alles aussortiert.
Manni und sein Kollege kümmerten sich im Keller um den Knaben, ich mich oben um die Eltern.

Sie hatten seit der Geburt gewußt, daß der Kleine vermutlich den ersten Geburtstag nicht erleben würde, sie hatten gehofft, sie hatten verdrängt, umsonst.

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Und ich, ich hatte einen Kloß im Hals. Meine beiden Kinder, damals 6 und 9 Jahre alt, saßen oben vor dem Fernseher und schauten Mr. Bean.

Scheiße, man darf in solchen Situationen nicht an seine eigene Familie denken, das sorgt dafür, daß man alles zu nah an sich heranläßt …

Beinahe hätte ich mitgeheult, nein, ich gebe es zu, ich habe mitgeheult.

Und doch mußt du funktionieren, mußt den Leuten erklären, was jetzt alles passieren wird, wie es nun weitergeht und was alles auf sie zu kommt.
Ich hatte Mühe, mich zu konzentrieren, Weinen geht mir immer so hinter die Stirn, macht mir den Kopf zu, lähmt meine Gedanken.
Na, Gott sei Dank, die hatten ordentliche Papiere, Leichenschauschein, Todesbescheinigung, wenigstens hatte der Hausarzt vorher das Kind gesehen. Was für ein Theater das gegeben hätte, wenn man um diese Zeit den Notart noch zum Bestattungshaus hätte kommen lassen müssen; und wahrscheinlich hätte der angesichts der Umstände auch noch „nicht natürliche Todesursache“ angekreuzt und mir die Polizei noch obendrein ins Haus geholt.

Klaus hieß der Mann und seine Frau nannte er Mausi.
Ich sag zu den beiden, daß wir nun einige passende Särge mal aus dem Keller holen, doch er winkt ab: „Wir gehen einfach mit runter, wir wollen doch den Hubert noch mal sehen.“
„Sie können den Kleinen besuchen, so oft und so lange Sie wollen“, sage ich und die beiden schauten mich an, als ob ich drei Nasen hätte. „Ja wirklich? Geht das? Wir dachten, Sie machen den Sarg gleich zu!“

Gemeinsam fuhren wir in den Keller und ich zeigte den beiden die Kindersärge.
Viel gibt’s da nicht zu sehen, die sind halt einfach nur kleiner als normale Särge und meistens weiß. Und ausgerechnet den, der noch etwas abseits steht und darauf wartet, neu lackiert zu werden, den wollten sie haben. „Der hat so schöne goldene Griffe!“

„Scheiß auf die goldenen Griffe“, dachte ich und haderte mit allem, mit dem man hadern kann, daß schon wieder ein Kind sterben mußte, wo doch in St. Hedwigius genügend alte Leute mit nur noch einem Rest von Verstand sabbernd vor sich hin vegetieren. Ich gönne den Alten jeden Tag ihres Lebens, jeden einzelnen! Aber wenn der Sensenmann schon jemanden holen muß, dann doch lieber einen der weit mehr als 80 oder 90 Jahre hatte leben dürfen …

„Der ist aber nicht mehr so schön“, sagte ich: „Bei Licht sieht man das besser, der ist auf einer Seite etwas von der Sonne im Ausstellungsraum vergilbt.“

Mausi und Klaus schauten sich an und barchten sogar so etwas wie ein Lächeln zustande. „Der ist perfekt!“, sagte Mausi: „Wir wollen den noch anmalen!“
„Haben Sie vielleicht Farben?“, fragte Klaus.

Manni kam aus dem Präparationsraum, hörte das und nickte: „Jau, Farben haben wir, Plaka-Farben und Sprühlack.“

Ein paar Minuten später standen Manni, sein Kollege Gerwin, Klaus, Mausi und ich um den kleinen weiß-vergilbten Sarg herum, jeder mit einem Pinsel in der Hand und wir malten unten herum eine grüne Wiese auf den Sarg, während Mausi begann, oben Marienkäfer und Blüten und eine kindliche Sonne aufzupinseln.

Zwei Stunden lang hatten wir zu tun. Ich hatte schon ewig keine Blumen mehr gemalt …

Dann war er fertig, der perfekteste Sarg aller Zeiten. Genau der Sarg, den ein kleiner Hubert haben muß, wenn er denn schon einen haben muß.

Manni hatte Hubert in den Sarg gelegt, Mausi hatte ihn zugedeckt, dann waren alle nach Hause gegangen und ich habe die ganze Nacht im Keller auf einem Ballen Hobelspäne gesessen und geheult.

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