Menschen

Nur geträumt

Ich bin ja ein notorischer Frühaufsteher; anders bekomme ich mein Tagwerk nicht geschafft und mich hält auch nichts lange in den Federn. Meine Frau, die gerne etwas länger in ihrem Nest herummumifiziert und meine Kinder, die solche Feiertage und Wochenenden gerne dafür hernehmen, um etwas länger aufzubleiben und dann am anderen Morgen tüchtig auszuschlafen, sie sprechen hinter nur sehr oberflächlich vorgehaltener Hand und von mir deutlich wahrnehmbar davon, daß ich an präseniler Bettflucht leide.
Aber erstens fließt in mir Bestatterblut und andererseits habe ich so viele Pläne und Ideen, deren Umsetzung meinen Kopf nicht zur Ruhe kommen lässt.
Ganz gleich, wie lange man den Bestatterberuf ausübt, und im Übrigen hat er da gewisse Gemeinsamkeiten mit allen Berufen, die eine nächtliche Bereitschaft mit sich bringen, man schläft immer mit einem Ohr am Telefon und diese Angewohnheit kriegt man auch nicht mehr weg.

Hinzu kommt, daß ich nicht nur deshalb einen leichten Schlaf habe und recht leicht aufzuwecken bin. Wir haben Kinder, wir haben Tiere und wir haben ein Haus, in dem es nachts auch schon einmal Geräusche gibt, die auf irgendwelche eintretenden Schäden hindeuten. Das alles macht alert und irgendwie gibt es da ein steinzeitliches Gen in mir, das nicht durch die Zivilisation erstickt wurde und mich dazu bringt, immer irgendwie auf alles zu achten, zu horchen, zu lauschen und aufzupassen; auch im Schlaf.

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So sitze ich oft, und aufmerksame Leser wissen das, weil sie es an den Zeiten sehen, zu denen ich häufig etwas hier veröffentliche, schon um 4.30 Uhr am Rechner. Irgendwas, und sei es die altersschwache Blase, hat mich aufgeweckt und ein Blick auf die Uhr hat mir dann gesagt: „Wenn Du Dich jetzt hinsetzt und ein Kapitel vom Buch, einen Dialog des Stückes oder einen Artikel schreibst, dann hast Du heute Mittag mehr Zeit, um eventuell den so geliebten Mittagsschlaf einschieben zu können.“

Nun ist es aber Weihnachten und Weihnachten ist das Fest der Völlerei, der Trunksucht, der kommerziellen Begehrlichkeiten und all dieser Trubel, geschürt auch durch die durchaus verständlichen Begehrlichkeiten der Kinder, führt dazu, daß die Tage länger als gewöhnlich sind und ich durchaus morgens so ein halbes bis doppeltes Stündchen länger schlafen würde.

Gestern Morgen, es war der erste Weihnachtsfeiertag und in mir verdaute schlafenderweise das von mir selbst zubereitete Weihnachtsmenü, das von allen meinen Lieben, bis auf die sogenannte Schwiegermutter, mit heftigem Beifall anerkannt und dann vertilgt wurde, noch so vor sich hin und Morpheus hielt mich noch fest in seinen Armen, da drang durch die Wolken von Schläfrig- und Müdigkeit ein Geräusch an mein Ohr: Schraaaatz, Dragatz!
Sofort fand das Geräusch Eingang in den gerade geträumten Traum und vor meinem inneren Auge sah ich meine Schwiegermutter mit dem für sie typischen leicht säuerlichen und dauerbeleidigten Gesicht, wie sie mit einem überdimensionalen Tapetenmesser, gleich einer Urwald-Machete aus dem Kongo, meine hervorragende Spragelcremesuppe (mit frischem Rahm geschäumt!) vom Teller in einen Schweinetrog kratzt: Schraaaaaatz, Dragaaaatz!
Ich träume, daß ich über ihr beschwingt und leicht an der Zimmerdecke kreise, jedoch nicht adlergleich zu ihr herabstoßen kann, um ihr meine Krallen in den dürren Hals zu schlagen. Irgendeine Kraft verhindert, daß ich von der Decke wegkomme, so als ob ich magnetisch nach oben gezogen würde oder als ob die Gravitation andersherum wirken würde.

Schraaaaatz, Draaaaagatztztztz!

Sie hat statt der Machete nun einen Fuchsschwanz, also eine Säge, in der Hand und säbelt damit an meinem ganz ausgezeichnet gelungenen Rinderfiletbraten herum. Aus ihrem Mund tönen echohallend die Worte: „Der ist aber hart und zäh!“ und alle anderen am Tisch, da sitzt im Traum meine Familie, drei von den Beatles, Barbara Schöneberger, Kim Fischer oben ohne und Lady Gaga geknebelt und gefesselt, sowie General DeGaule, Konrad Adenauer und Papst Paul VI., schütteln mit ihren Köpfen und beteuern alle unisono auf Esperanto, wie gut ihnen mein Braten schmecken würde.
Aber der Salat sei mit Mayonnaise gemacht und liege bestimmt nachher ganz schwer im Magen, sagt die Schwiegermutter, macht Schraaaaaaatz, Radagatz, diesmal mit einer blutigen Sense und schabt den Salat von ihrem Teller in den besagten Schweinetrog, um den sich einige kleine fette Ferkel versammelt haben, die alle abwechselnd so aussehen wie Guido Westerwelle und Angela Merkel, aber nur im Gesicht, ansonsten sehen sie schöner aus, geradezu niedlich.
Ich würde die Alte so gerne würgen, denn an meinem Salat ist keine Mayonnaise dran, doch ich schwebe an der Decke und im Traum sind unsere Zimmer sechs Meter hoch.
Irgendetwas kitzelt mir am Genital und ich hoffe, daß es die Schöneberger oder die Fischer ist, und zwar Kim und nicht Ottfried, denn Fischfred Otter, äh Ottfried Fischer hat sich inzwischen ebenfalls zu meiner geträumten, illustren Weihnachtsmahlgesellschaft hinzugesellt und den Platz von Konrad Adenauer eingenommen, der auf einmal eine Livré trägt und den Nachtisch serviert. Doch niemand kitzelt mich, es ist der Harndrang und ich wache auf. „Schraaatz, Dragadatz, Gadatz, Schraaatz“, macht es wieder und vom Schlaf noch leicht benebelt und umwolkt wanke ich ins Bad, erledige, was zu erledigen ist und werfe dann zunächst einen Blick auf die Uhr, die 5.05 Uhr zeigt und dann einen Blick aus dem Fenster.
Schraaaatz, Schraaaaaatz, Schaaaaab, Radatz, es ist Nachbar Nasweis-Lästig, der mit einem hölzernen Schneeschieber, der vorne eine stählerne Kante hat, den Neuschnee mühsam von seinem Gehweg kratzt: „Schaaaab, Schradaaaaatz, Grtzadatz!“

Er sieht mich am Fenster, hält kurz in seinem Schabendasein inne, winkt mir fröhlich zu und ruft: „Frohe Weihnachten, Herr Nachbar! Nicht wahr, Sie haben’s auch nicht leicht mit ihrem Beruf, Sie müssen auch immer früh raus. Hat jemand angerufen? Müssen Sie jetzt los? Naja, gestorben wird ja immer.“

Ich murmele so in den Bart: „Du bist es, der gleich stirbt!“ und winke zurück. „Schraaaaadaaaaatz, Schab, Kratz“, macht er und ist schon wieder in Ohrenschützer und Schal versunken und schabt im Schweiße seines Angesichts den Gehweg.

Was tue ich? Lege ich mich nochmals hin oder bleibe ich auf?
Ach komm, ich bleibe auf und schreibe diesen Quatsch hier auf.

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(©si)