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Olugulade -8-

Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist kurz nach zwei hier eingelaufen. Sie wollte es überhaupt nicht glauben, daß Daniel jetzt bei uns bleibt. Übers Wochenende hat sie bereits ein Kinderzimmer bei sich eingerichtet und bei den übrigen Mitgliedern der Afrika-Gruppe Spielzeug und Kleidung für das Kind gesammelt.

„Das kann ich jetzt gar nicht ab“, sagt sie und zückt ihr Handy, um mit ihrem Mann zu sprechen und vor allem, um dann noch Dr. Raps anzurufen. Sie ist entrüstet.

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Während sie telefoniert habe ich Gelegenheit, sie mir näher anzuschauen. Sie ist eigentlich eine exakte Kopie von Heidi Klum, nur rund 15 cm größer und 100 Pfund schwerer und auch sonst ganz anders. Sie ist nicht schön, aber auch nicht unhäßlich. Ihr Hals ist etwas zu kurz, aber man soll ja nichts auf Äußerlichkeiten geben.

Offenbar sagt ihr Mann etwas zu ihr, was ihr so gar nicht paßt, denn sie meint aufgebracht: „Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein, sowas aber auch!“ Dann stiefelt sie mit dem Telefon nach draußen in die Halle.

In der Zwischenzeit klingelt mein Telefon. Es ist die Klinik in Bonn, diesmal eine Schwester Barbara, die eine etwas unangenehm hohe Stimme hat, aber sonst sehr sympathisch klingt. Das Kind sei geboren, ein Junge, 3.420 Gramm, 55 cm. Ich kenne Frau Olugulade zwar nicht, freue mich aber wie ein Schneekönig. Da wär‘ aber noch was, sagt Schwester Barbara: „Jemand hat hier heute Mittag angerufen und wollte mit der Frau sprechen, von einem afrikanischen Verein war die Dame.“

„Von der Afrika-Gruppe?“ frage ich; „Eine Frau Birnbaumer-Nüsselschweif?“

„Afrika-Gruppe stimmt, an den genauen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das was sie da gesagt haben, kommt schon hin.“

„Ja und was wollte die?“

„Die wollte der Frau Olugulade erzählen, daß ihr Mann gestorben ist und daß sie ein Schreiben per Fax haben möchte, damit sie auf das andere Kind aufpassen darf.“

Während in mir mein Blutdruck beschließt, sich jenseits der 300 zu 300 aufzuschaukeln, beschwöre ich die Schwester, Frau Olugulade abzuschirmen. „Machen Sie sich keine Gedanken“, sagt die Schwester, „wir haben der Frau jetzt was gegeben, die braucht jetzt sehr viel Ruhe.“

„Und sie hat keine Ahnung, was passiert ist?“

„Nein, nicht die geringste. Der verstorbene Mann scheint sowieso ein bißchen sehr afrikanisch gewesen zu sein, wenn Sie wissen, was ich meine.“

Ich weiß zwar nicht genau was sie meint, aber mir soll das im Moment recht sein. Ich sage Schwester Barbara noch, daß ich morgen kommen möchte und einen Pfarrer von hier mitbringe. Das findet sie gut, der Krankenhauspfarrer sei schon fast 80 und auch nicht bei bester Gesundheit.

Die Nüsselschwein kommt wieder herein und ich beende mein Gespräch, um mich der Afrika-Tante zuzuwenden. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, in der Klinik anzurufen?“

„Es kann ja wohl nicht sein, daß man der Frau einfach ihr Kind wegnimmt“, wehrt sie sich.

„Ja, wer will das denn? Ich habe selbst drei Kinder, ich brauche weiß Gott kein weiteres Pflegekind mehr, nicht mit aller Gewalt. Kein Mensch will der Frau ihr Kind wegnehmen. Wir kümmern uns um den Kleinen, weil der hier fremd ist, niemanden hat und Kinder irgendjemanden brauchen. Sobald die Frau dazu in der Lage ist, kann Daniel doch wieder zu ihr.“

„Bis dahin aber ist er hier untergebracht“, sagt Heidi Klums fette Schwester und und zeigt angewidert im Raum herum: „in diesem, diesem Etablissement!“

„Sie haben Recht, Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, das ist hier ein Bestattungshaus und unsere Kinder müssen sich jede Nacht das Bett mit einer kalten Leiche teilen und nachmittags spielen sie mit Totenschädeln Fußball. Zu essen gibt es bei uns nur Leichenmaden und frische Innereien.“

„Sagen Sie mal, wollen Sie mich jetzt zu meinem ganzen Unglück auch noch auf den Arm nehmen?“

Ganz bewusst lasse ich meinen Blick über ihren massigen Körper schweifen und schüttele langsam den Kopf: „Nein, das glaube ich kaum.“

„Damit gehe ich ganz und gar nicht konform! Der einzige sinnvolle Platz für den Jungen ist bei mir, bei einer richtigen Mutter, einer Frau und nicht irgendwo bei irgendwelchen Leuten.“

„Sie gehen mir sowas von auf den Sack, das glauben Sie gar nicht. Wenn Sie was Sinnvolles tun wollen, dann trollen Sie sich jetzt und kümmern Sie sich darum, daß Frau Olugulade eine Unterkunft hat. Wir wissen zwar nicht, ob sie überhaupt hierhin kommen will, aber es besteht doch immerhin die Möglichkeit, oder?“

Entrüstet packt die Afrika-Helferin ihre Sachen zusammen und zieht wie eine Fregatte unter Volldampf ab. Ich begleite sie zur Tür und winke ihr nicht hinterher, als sie mit ihrem Sharan um die Ecke biegt.

Innerlich koche ich!

Schon wieder geht das Telefon. Ein Mann namens Jussip ist am Apparat und ich höre sofort, daß es ein Afrikaner ist. Er spricht ein gutes Deutsch mit starkem Akzent, für mich aber viel zu schnell. Ich mahne ihn, langsamer zu sprechen, dann verstehe ich ihn. Er ist der allerbeste Freund der Familie und hat heute erfahren, was passiert ist. Unsere Polizei hat in Duisburg ermittelt und ist auf ihn gestoßen. Er ist kein Nigerianer sondern aus Ghana und ist vollkommen erregt und traurig. Ob das alles stimme und was denn jetzt sei.
Ich erzähle ihm alles, was er wissen will und er bittet darum, eine Weile darüber nachzudenken, dann würde er sich wieder melden. Noch bevor ich was sagen kann, hat er aufgelegt. Im Display stand nur „unterdrückte Nummer“.

Ja, Jussip sei ein ganz guter Freund bestätigt Daniel. Der sei ein guter Mann. Na denn, dann warte ich mal auf den Anruf von Jussip.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#olugulade

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