Geschichten

Opa Kleiber -II-

In allen städtischen Einrichtungen ist das Rauchen verboten. Das hat so mancher Bürger schon recht teuer erfahren müssen, wenn er sich gedankenverloren eine Zigarette angesteckt hat und dann von den aus der Hartz-IV-Misere erlösten städtischen Bediensteten des kommunalen Ordnungsdienstes zur Zahlung einer deftigen Strafe genötigt wurde.

Das heißt, es gibt immer eine Stelle, an der das Rauchen nicht verboten ist und diese Stelle ist genau da, wo die Qualle arbeitet.

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Mich selbst zitierend beschreibe ich die Qualle einmal so:

Eigentlich heißt der Mann Gustav, wird von allen Gustl genannt, aber wir sagen „die Qualle“. Die Qualle, das ist ein Mann von mittlerweile etwa 43 Jahren, dick, stiernackig, Doppelkinn, eine durch und durch unsympathische und ungepflegte Erscheinung. Die wenigen Haare über den Ohren hat er sich so lang wachsen lassen, daß er sie morgens mit Wasser über seine große Glatze kämmen und kleben kann. Was mich aber persönlich am meisten stört, sind seine großen, gelben, etwas auseinanderstehenden und ungepflegten Zähne, die voller „Schmand“ und Essensreste hängen.
Den Namen, „die Qualle“, hat unsere Sandy ihm verpasst und sie spielt damit auf seinen Schmerbauch und seinen Hüftspeck an, die beim Laufen schwabbeln wie ein billiges Wasserbett.

Lange hat die Qualle am städtischen Krematorium gearbeitet und war dann mal eine Weile verschwunden. Weil gerade in dieser Zeit überall in der Stadt gemunkelt wurde, irgendein Mitarbeiter des städtischen Friedhofwesens habe seine nekrophilen Neigungen an mehreren weit über 80 Jahre alten weiblichen Verstorbenen ausgelebt, hatten manche diesem Gustl das einfach zugesprochen. Es wurde nämlich weiter gemunkelt, die ganze Sache wäre sowieso unter den Teppich gekehrt worden und das plötzliche Verschwinden des dicken Wabbelmannes hatte zeitlich auch zu gut zu den ebenso wabbeligen Vorwürfen gepasst.
Später hatte sich dann herausgestellt, daß Gustl es bloß langwierig am Knie gehabt hatte und noch nicht einmal eine Ahnung von den umgehenden Gerüchten hatte.
Ich will es mal so sagen: Im Grunde ist der einfach zu doof, um diese ganzen Zusammenhänge überhaupt kapiert haben zu können.

Diese Art von Gerüchten gibt es übrigens in jeder Stadt und sie kommen in schöner Regelmäßigkeit exakt alle vier Jahre und sieben Monate, fünf Tage und drei Stunden wieder hoch. Da habe es mal einen gegeben, der habe doch tatsächlich…
Ja ja, alles nur Gerede.

Auf jeden Fall ist es so, daß es die Qualle nicht ohne Zigarre gibt und dort wo der Wabbel-Gustl arbeitet, dampft und raucht es wie selbstverständlich. An irgendwelche Rauchverbote hält er sich grundsätzlich nicht, was ihn aber andererseits nicht davon abhält, anderen das Rauchen vehement zu verbieten. Da heutzutage kaum noch jemand Zigarre raucht, erntet jeder, der protestierend seine Zigarette ausdrückt und auf die Zigarre der Qualle verweist, die Antwort: „Zigarre is‘ was anders‘.“

Seit dem Monatswechsel ist die Qualle nun an unserem Friedhof tätig. Das Krematorium wird ja seit zwei Jahren von einer Krematoriums-Betriebsgesellschaft mbH betrieben, bei der ganz zufälligerweise die Schwägerin des Leiters des hiesigen Friedhofsamtes Geschäftsführerin geworden ist. Im Zuge der darauf folgenden „Umorganisation der Betriebsabläufe“ sind alle Alten, Faulen und Kranken unter den Mitarbeitern versetzt worden und so kam es, daß die Qualle dritter Hallenaufseher an der Trauerhalle auf dem Hauptfriedhof wurde.

Der erste Hallenaufseher sitzt den ganzen Tag in einem winzigen Büro und liest Zeitung, der zweite Hallenaufseher macht die Tür zur Trauerhalle auf und zu, wenn seine Mannschaft einen Sarg hinein- oder hinausschiebt, der dritte Hallenwart öffnet den Bestattern die Tür, wenn Särge angeliefert oder abgeholt werden.

Das alles könnte gut ein Mann ganz alleine machen, aber dann wäre das ja auch so etwas ähnliches wie Arbeit…

Nun ist also die Qualle befördert worden und hat einen eigenen Friedhof. Daß Gustl ausgerechnet Friedhofsaufseher auf unserem Friedhof hier geworden ist, wurde bei uns in der Firma mit unterschiedlichen Reaktionen aufgenommen.

„Hauptsache, der will mir nicht die Hand geben“, sagte Sandy, die den feuchtwarmen Händedruck des Dicken nicht leiden kann. „Das ist so ein Gefühl, als ob man in einen warmen, öligen Hefeteig greift, eklig.“

Antonia findet Gustl eigentlich ganz nett, sie habe ihn schon zweimal morgens beim Bäcker, dann beim Metzger und dann am Pralinengeschäft getroffen, offenbar verstehe der Mann doch was vom Essen und sehe so gemütlich aus.

Manni tippt sich bei der Nennung von Gustls Namen nur an die Stirn und meint lakonisch: „Faule Sau!“

Ich habe mir zunächst gedacht, das sei doch eine ganz gute Gelegenheit, sich einen neuen Mann gleich so zu erziehen, daß unsere Arbeit besonders reibungslos ablaufen könnte. Die Betriebsabläufe in einem gewerblichen Betrieb und die Abläufe in einem Ausläufer der städtischen Verwaltung sind nämlich naturgemäß vollkommen inkompatibel und wenn wir es hinbekommen könnten, den Dicken davon zu überzeugen, daß er am Besten auf seinem fetten Hintern in seinem Kabuff hocken bleibt und uns einfach machen lässt, das wäre schon eine Arbeitserleichterung erster Güte.

Doch meine Hoffnungen auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Zahnfauligen wurden jäh zunichte gemacht, als ich am letzten Dienstag auf den Friedhof kam und feststellen mußte, daß Opa Kleiber nicht da war.

„Ist Opa Kleiber krank?“ erkundigte ich mich bei der Qualle und der glotzte mich kuhäugig an. „Wer?“

„Opa Kleiber, der alte Mann, der immer hier vorne auf der Bank sitzt.“

„Den hab ich weggejagt. Der kann wohl die Friedhofsordnung nicht lesen. Da steht schließlich drin, daß Herumlungern auf den Friedhöfen verboten ist.“

„Meine Güte, der alte Mann hat doch immer nur so da gesessen.“

„Nee, der hat sich sogar ein Sitzkissen mitgebracht.“

„Ja und? Es ist doch auch schon kühl um diese Jahreszeit.“

„Nix da, der sitzt da rum und das will ich nicht. Sowas gibt’s bei mir nicht, dem hab ich gesagt, der soll abhauen und bloß nicht wiederkommen.“

„Seine Frau liegt hier begraben…“

„Der kann ja jeden Tag ans Grab und sich meinetwegen auch ein bißchen auf die Bank setzen, aber dann weiter hinten, nicht hier vorne, wo jeder vorbei muß. Hier ist nur für Trauergäste.“

„Wer sagt das denn?“

„Ich! Und wenn der nochmal kommt, ruf ich die Polizei. Das ist doch ein alter Penner.“

„Sie können doch so einen alten Mann nicht vertreiben, der sitzt da schon ewig.“

„Mir egal, wenn der mir auf den Sack geht, dann lass ich den Antonio die Bank abschrauben und in den Schuppen stellen. Bei mir wird nicht herumgelungert.“

Seitdem hat sich was verändert. Es fehlt einfach irgendwas, wenn man auf den Friedhof kommt. Gut, um diese Jahreszeit war Opa Kleiber nur stundenweise da, weil ihm die Kälte doch zu schaffen machte. Aber er war eben doch irgendwie immer da.
Jetzt ist sein Platz auf der Bank leer und stattdessen liegt der Geruch von billigen Zigarren in der Luft.

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(©si)