Geschichten

Opa Kleiber -VII-

Die Birnbaumer-Nüsselschweif lag mir noch innerlich quer vor der Würgehemmung, da schlupfert die schon wieder über meinen Weg. Neuerdings bekomme ich immer einen trockenen Mund, wenn sie mir begegnet – kein gutes Zeichen…
Ich meine ja, daß dieses trockene Mundgefühl ein Anzeichen für eine gewisse Form der Aufregung ist, meine Frau meint ja in ihrer allerliebsten Art, ich hätte dann den Blick eines Serienmörders.
Gut, ich weiß jetzt nicht so genau, wie Serienmörder so gucken, mir ist ja vermutlich noch keiner begegnet, also jetzt mal zumindest nicht in Ausübung seines Hobbys. Jedoch schließe ich hier und jetzt nicht aus, daß ich die Birnbaumer-Nüsselschweif irgendwann mal serienmördere.

An sich bin ich ja eher ein Gemütlicher, aber bei so schweifrüsseligen Bleichfetteln in zu kurzen, weiten Wallewallemänteln entdecke ich tief in mir eine ganz starke Liebe zu Skalpellen und Pfeifferschen Hautabziehern.

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Sie hat Opa Kleiber hinter so ein Fahrgestell gezwungen. Schimpfend tappert er hinter seinem Gehfrei-Apparat her, schubst diesen immer so einen Meter vor, läuft dann freihändig hinterher und mosert, daß er noch fit sei und so etwas nicht benötige.

„Was schimpfen Sie denn so, Herr Kleiber?“ frage ich ihn, als ich ihn neulich auf dem Gehweg vor unserem Haus treffe.

„Ach, ich soll jetzt immer dieses dämliche Gefährt hier mit herumschieben. Kann mir mal jemand sagen, wofür ich das brauche? Schaffen Sie mir bloß die blöde Dicke vom Hals! Ich kann noch sehr gut alleine gehen, schauen Sie mal!“ sagt er, stupst das Fahrgestell einen Meter weit weg und tanzt auf einem Bein im Kreis. Er wackelt zwar etwas dabei, aber man sieht, daß er sicher auf den Beinen steht, genauergesagt auf einem Bein.

„Um Gottes Willen! Was machen Sie denn da? Mein Gott, mein Gott! Jetzt dreht er völlig durch, den müssen wir bald wegbringen! Nein sowas!“ zetert es auf einmal hinter mir und die Rüselschweifige kommt angewalzt: „Da ist man eben mal einen Moment abgelenkt und schon kriegt der einen Anfall.“

„Herr Kleiber hat mir doch nur gezeigt, daß er noch gut zu Fuß ist“, nehme ich den alten Mann in Schutz, doch die Birnbaumer hat schon wieder den Gehfrei herbeigeholt und versucht den alten Mann an die Griffe des Fahrwägelchens zu drängen: „So, schön die Griffe festhalten und immer nur einen kleinen Schritt nach dem anderen!“

Hinter ihrem Rücken zeigt Opa Kleiber der Dicken einen Vogel und streckt ihr die Zunge heraus.

Ich frage die Birnbaumer-Nüsselschweif: „Sagen Sie mir mal, Frau Brunzeimer-Mistelkuß, warum schieben Sie den alten Opa eigentlich hier durch die Gegend? Ich meine, der alte Herr ist doch immer vollkommen alleine klar gekommen und hat niemanden gebraucht. Wer hat Ihnen eigentlich den Auftrag gegeben, sich um ihn zu kümmern?“

„Herr Kleiber ist Mitglied unserer Gemeinde und wir kümmern uns halt noch.“

„Ja und wenn er gar nicht will?“

„Der will aber!“ beharrt die Birnbaumer, doch Opa Kleiber ruft sofort:

„Nee, willer nich‘!“

„Na also, Frau Bürzel-Schweifhuber, dann lassen Sie den Opa Kleiber jetzt mal schön seinen Spaziergang machen. Sie nehmen jetzt das tolle Vehikel da und schieben ab und ich geh‘ mit dem Opa spazieren. Und wenn Herr Kleiber was von Ihnen will, dann ruft der sie an.“

„Nee, mach ich nich, ganz bestimmt nicht!“ ruft Opa Kleiber entgeistert und fügt hinzu: „Die hat mir meine ganze Küche umgeräumt und im Fernseher die ganzen Kanäle verstellt. Außerdem macht die meine Post auf und kommt jeden Tag vorbei. Ich will „Sturm der Liebe“ gucken und kein Memory spielen.“

„Memory ist gut gegen Alzheimer“, schmollt die Birnbaumer laut auf, doch Opa Kleiber unterbricht sie: „Dann spielen Sie es doch, ich will jedenfalls meine Ruhe. Wissen Sie, was ich wirklich will? Ich will auf den Friedhof gehen, auf meiner Bank sitzen und das Grab meiner Gundel angucken. Wenn ich meinen Pfefferminztee habe, dann bin ich glücklich, ihren scheiß Rotbuschtee können Sie sich sonst wo hinstecken, jawoll!“

„So geht das ja nicht!“ schimpft Frau Birnbaumer-Nüsselschweif und bekommt allmählich einen hochroten Kopf. „Ich gehe mit! Ich kann Sie doch nicht alleine lassen, ich muß mich doch um jemanden kümmern und jetzt sind Sie das. Die anderen Damen im Mütterkreis haben auch jemanden zum Kümmern und ich kümmere mich eben um Sie.“

„So geht das wirklich nicht“, sage ich: „Der Mann ist doch nicht entmündigt, Sie sind nicht seine Betreuerin und offenbar will er Ihre Betreuung und Hilfe doch auch gar nicht. Sie können sich doch nicht irgendeinen alten Menschen heraussuchen und dann beschließen ‚So, den betreue ich jetzt mal‘. Das kann man doch nicht machen.“

„Natürlich geht das. Wenn einer nicht mehr weiß, was er macht. Der ist ja jeden Tag auf den Friedhof gegangen und hat da herumgesessen, das ist doch nicht normal. Das habe ich auch dem Friedhofswärter gesagt und beim Friedhofsdirektor habe ich auch angerufen. Ich habe gesagt, daß die was machen sollen, daß da nicht immer so alte Männer auf den Bänken herumsitzen. Die könnten sich ja den Tod holen und außerdem ist das gegen die Ordnung, daß man da herumlungert.“

„Ich glaube, Sie haben im Kopf etwas, das ich nicht näher benennen darf, sonst verklagen Sie mich“, sage ich zu ihr und schüttele den Kopf.

„Was? Haben Sie gerade versucht mich zu beleidigen?“

„Nein, nicht doch. So etwas würde ich nicht versuchen, das tue ich einfach.“

„Na, dann haben Sie ja nochmal Glück gehabt, mein Schwippschwager ist nämlich Anwalt.“

„Wie schön für ihn; und nun gehen Sie einfach Ihres Weges, nehmen Sie das Wägelchen da mit und lassen Sie Opa Kleiber und mich in Ruhe.“

„Nein, hier ist ein öffentlicher Gehweg und da darf ich gehen.“

„Ach, ist Ihnen die Bedeutung des Wortes Gehweg noch nie in den Sinn gekommen?“

„Was?“

„Das kommt von ‚geh weg!‘ und genau das sollten Sie jetzt tun, einfach weggehen, sonst…“

„Sonst was?…
… Kommen Sie mir nicht zu nahe! Sie werden mich doch nicht etwa hauen wollen? Mein Gott, Ihre Augen, die sind ja ganz rot…“

Opa Kleiber klatscht und hüpft auf einem Bein als die Dicke fluchtartig mit ihrem Schiebewägelchen davonrennt.

„Das haben Sie prima gemacht, wirklich prima! Seit drei Wochen ist die fast rund um die Uhr bei mir und nervt mich. Ich will die nicht, ich will lieber meine Gundel wiederhaben.“

„Wissen Sie was, Opa Kleiber, wir gehen jetzt mal Ihre Gundel besuchen.“

„Aber der Friedhof ist doch wegen dem vielen Schnee gesperrt.“

„Gucken Sie mal hier, ich habe einen Schlüssel.“

„Sie haben einen Schlüssel?“

„Ja aber sicher doch.“

„Für das große Tor vom Friedhof?“

„Ja klar, den brauche ich doch, damit meine Mitarbeiter jederzeit auf den Friedhof können.“

„Jederzeit?“

„Ja.“

„Auch nachmittags, wenn der dicke Friedhofswärter Feierabend hat?“

„Gerade dann!“

„Sagen Sie mal, könnten Sie nicht so auf Ein-Euro-Basis oder für ganz umsonst so’n alten Kerl wie mich einstellen?“

„Wie bitte?“

„Na ja, sagen wir mal, ich würde in Ihrem Auftrag jeden Tag so ein bißchen nach dem Rechten sehen, ob noch alle Holzkreuze da sind oder ob die Kränze verwelkt sind. Ich hätte dann einen Schlüssel, wissen Sie, und dann könnte ich meine Gundel besuchen und ein bißchen auf einer Bank sitzen…“

„Kommen Sie, Opa Kleiber, ich gebe Ihnen den Schlüssel von unserem pensionierten Werkstattleiter, dem alten Huber, und lassen Sie sich von unserer Frau Büser einen Mitarbeiterausweis geben!“

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