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Otto-Bezahlung

Um kurz vor zehn Uhr war ich bei einer Familie, die mir alle ihre Probleme auf’s Auge drücken wollte.

Die Siedlung kenne ich zu gut, 30% Arbeitslosigkeit, ehemals genossenschaftlich gebaut, heute eher trüb und verwahrlost. In dieser Siedlung hat der Gerichtsvollzieher ein Außenbüro und bietet „Kundenberatung“ direkt vor Ort. Einfache Leute wohnen da, aber ich habe dort am wenigsten Ärger. Die Menschen sind nicht besonders kapriziös und dankbar für das was man leistet.

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In diesem Fall ist die Mutter gestorben, die im Parterre wohnte und jetzt im Stadtkrankenhaus liegt. Die Kinder, also Sohn und Schwiegertochter leben im 2. OG rechts und warteten schon recht unaufgeregt auf mich. Kleinkind Kevin war gerade dabei, mit einem Kugelschreiber die „gemütliche Wohnwand mit jugendlichem Flair“ zu zerkratzen, Papa Mirko daddelte mit einem Konsolenspiel und Mutter Sonja zappte zwischen einem Shopping- und einem Gewinnspiel-Sender hin und her, während sie sich Bestellnummern notierte und immer mal wieder mit dem Handy eine der Gewinnspielnummern wählte.

Sechs Flaschen Bier Bierflaschen und ein Tablett mit Tabak, Hülsen und einer Stopfmaschine waren liebevoll zur weiteren Dekoration des Wohnzimmertischs drapiert.

Trotzdem habe ich mir Platz schaffen können, um meine Unterlagen abzulegen. Viel Aufmerksamkeit schenkte man mir aber nicht. So ganz nebenbei wollte man das erledigen. Er warf nur einen kurzen Blick auf den Katalog mit den Särgen und sagte nur: „Der da!“ und wählte damit einen mittleren Sarg. Ich nahm das mal zur Kenntnis und notierte es, runterhandeln kann man die später immer noch.

Alles in allem wollten die beiden für 4.800 Euro Leistungen in Anspruch nehmen, wo dann noch ein Grabstein und jede Menge Blumen hinzukommen würden.

Na ja, ich kenne das ja. Deshalb kam ich dann auf die Bezahlung zu sprechen, mit dem Ziel, hier nicht ohne Vorkasse rauszugehen.

Das empfinden die beiden aber als ungeheure Zumutung und Papa Mirko legt sogar seine Konsolensteuerung aus der Hand: „Da müssen Sie beim Sozialamt gucken, meine Mutter hat ja gearbeitet und wir haben nichts, wir kriegen auch kein Hartz IV.“

Ich belehre die beiden, daß ich ihnen gerne behilflich sein werde, mit ihnen gemeinsam eine tragbare Lösung zu finden, daß es aber in erster Linie jetzt mal an ihnen liegt, zu kläre, wo denn das Geld herkommen soll.
Ja nee, damit wollen beide nichts zu tun haben. Er hat immer Geld von der Mutter bekommen, die Oma bezahlt die Miete und die junge Frau bekommt jeden Monat Geld von ihrem Stiefvater. So bringen es die beiden, inklusive der Mietzahlung durch die Oma, auf 1.300 Euro, die gingen aber komplett drauf.
Warum sie denn kein Hartz IV beantragen würden, will ich wissen. Fast schon zornig fährt mich Papa Mirko an: „Wir sind doch keine Bittsteller, wir nehmen doch nichts vom Amt.“

„Ja und wie soll das hier jetzt weitergehen?“

„Kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit Arbeit, ich habe nichts gelernt und für 800 Euro im Monat lege ich mich nicht krumm. Da macht man sich doch nur kaputt.“

Die junge Frau kann ja unmöglich arbeiten gehen, sie hat ja das Kind und bis der mal eines Tages aus dem Haus ist, muß sie den betreuen, da kann man natürlich nicht arbeiten, klar.

Jetzt ist es doch aber so, daß man nicht einfach Leistungen für eine Menge Geld bestellen kann und dann von mir erwarten kann, daß ich nun meinem Geld hinterherlaufe. Schon gar nicht, wenn die Auftraggeber so gar nicht mitwirken wollen.

„Also, Sie gucken, wo Sie das Geld herbekommen, dann rufen Sie wieder an.“

„Ja, wie jetzt?“, mault Mama Sonja: „Soll das heißen, daß Sie das mit der Mutter jetzt nicht machen?“

„Wenn Sie’s bezahlen…“

„Man kann doch überall heute was bestellen und dann guckt man, wie man das auf Raten bezahlt.“

„Oder auch nicht“, sage ich.

„Ja, okay, das geb ich zu, manchmal klappt das auch nicht so.“

„Und wie denken Sie, daß das mit uns läuft? Ich soll das alles vorstrecken und wenn Sie mal Lust haben, bezahlen Sie was?“

Jetzt meldet sich der Konsolenkönig zu Wort: „Mann, irgendwann kommt eben der Gerichtsvollzieher und dann kriegen Sie Ihr Geld schon. Ist doch klar, oder? Bei Otto geht das auch immer so.“

„Nee, das war bei Neckermann“, verbessert sie ihn.

„Sie schauen, ob Sie vielleicht in der Verwandtschaft noch was auftreiben können. Ich rechne inzwischen mal alles in einer etwas günstigeren Ausstattung aus und dann denke ich, daß wir mit 1.900 Euro hinkommen“, sage ich, um guten Willen zu zeigen.

Er daddelt gelangweilt, sie hat schon wieder das Handy am Ohr. Nebenbei erklärt sie mir, daß das normale Telefon abgestellt sei. Na toll.

Ich lasse mir zwar alles unterschreiben, schreibe denen aber auf Ihre Kostenübersicht: „ANGEBOT, Auftragsannahme erfolgt erst gegen angemessene Anzahlung bzw. Vorkasse durch ausdrückliche Erklärung der Firma XYZ.“

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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#Lektorin A #otto-bezahlung

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(©si)