Geschichten

Parasiten und Schmarotzer

Du unterschreibst da aber jetzt nichts, Mutter!“, schallte es auf einmal durch den Raum und Frau Twages und ich zuckten zusammen.
Ich hatte die 71-jährige Rentnerin an diesem Tag zum zweiten Mal besucht, weil sie bei uns eine Bestattungsvorsorge abschließen wollte.
Weil sie nicht mehr gut zu Fuß war, hatte sie mich schon einige Wochen zuvor zu sich nach Hause gebeten und mir eine erstaunlich detaillierte Liste mit ihren Wünschen zur Bestattung vorgelegt.
Seit Jahren hatte sie in eine Sterbegeldversicherung einbezahlt und auch eine recht hohe Summe dort versichert. „Deshalb muß ich jetzt an nichts sparen, ist doch auch mal gut, wenn man weiß, daß die Versicherung in so einem Fall keine Schwierigkeiten machen kann. Tot ist tot, da gibt es nichts dran zu rütteln und dann müssen die auch zahlen.“
Wo sie Recht hatte, da hatte sie Recht, denn das ist wirklich so.

Wie immer hatte ich Frau Twages gebeten, doch noch einmal alle Dokumente und auch die berühmte Schublade voller Papiere durchzuschauen, ob sich nicht doch noch irgendwo weitere Policen verstecken, die man längst vergessen hatte.
Ihr Mann war nämlich erst ein Jahr zuvor verstorben und wie das oft so ist, war er derjenige gewesen, der sich um den ganzen Papierkram gekümmert hatte.

„Nee, nee, seien Sie mal unbesorgt“, hatte Frau Twages gesagt, „wir hatten nie was übrig, um viel zu sparen.“

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Aber ich kenne das und es war mir immer ein Anliegen, daß wir den Hinterbliebenen helfen konnten, alle Angelegenheiten zu regeln. „Bringen Sie mir die Papiereschublade und am besten auch noch die Kontoauszüge“, hatte ich immer gesagt und war immer fündig geworden. Wenn es auch keine großen, versteckten Gelder irgendwo gab, es ließen sich aber immer Mitgliedschaften in irgendwelchen Vereinen oder Parteien finden, die man abmelden konnte. Heute müßte man ja fast sagen: „Bringen Sie den PC vorbei, damit wir alle Accounts löschen können.“

Nach dem ersten Besuch hatte ich alles soweit vorbereitet und war dann also an einem dunklen und regnerischen Tag zu Frau Twages gefahren, die mir selbstgebackene Waffeln und heiße Himbeeren in Aussicht gestellt hatte. Woher nur jeder weiß, daß ich auf solche Sachen recht gut zu sprechen bin, ist mir bis heute verborgen geblieben; vielleicht habe ich so einen süß-lüsternen Blick, wer weiß?

„Sie haben ja so recht gehabt!“, waren ihre ersten Worte und dann erzählte sie mir, daß sie tatsächlich in einem dünnen Schnellhefter eine Lebensversicherungspolice entdeckt hatte, von der ihr Mann ihr nichts gesagt hatte.
„Stellen Sie sich vor, der hat die schon vor über 10 Jahren abgeschlossen, da ist er gerade in Rente gegangen. 500.000 Euro soll ich bekommen. Da sehen Sie, da steht es Schwarz auf Weiß: ‚Bezugsberechtigte Person im Todesfall: Frau Hannelore Twages, Ehefrau.‘ Ist das nicht der absolute Wahnsinn? Jetzt werde ich auf meine alten Tage doch noch reich. Holen Sie das Geld für mich ab? Sie haben doch gesagt, daß sie so etwas machen.“

Eigentlich hatte ich gesagt, daß wir bei ihrem Tod dann alle Versicherungen erledigen, aber es würde uns keine Mühe bereiten, auch diese Versicherung zu beantragen, obwohl wir den Sterbefall ihres Mannes gar nicht bearbeitet hatten.

„Na, was machen Sie denn mit dem vielen Geld, jetzt wo Sie reich sind?“, fragte ich jovial, während ich mir die tatsächlich angebotenen Waffeln einverleibte.
Sie hatte Äpfel geraspelt und der Waffelmasse beigemengt, das machte sie sehr saftig und locker, herrlich!

„Ach Gott, was soll ich alte Frau denn mit soviel Geld. Und außerdem, ist man mit 500.000 Euro denn wirklich reich?“

„Das ist immerhin eine halbe Million“, sagte ich.

„Das stimmt auch wieder. Aber ich muß ehrlich sagen, daß ich eigentlich gar keine Wünsche habe. Mein Mann und ich haben dieses Haus hier gebaut, wir haben viele Reisen unternommen, wir waren noch ein Jahr vor seinem Tod in Mexiko, und wir haben uns schön eingerichtet. In der Garage steht ein teurer und im Grunde viel zu großer Wagen, den ich fahren kann, was will ich denn mehr? Gut, wir hatten noch einige Reisen vor, zu denen ist es aber nicht mehr gekommen, weil er gestorben ist, eigentlich schade.
Ein schöner Pelzmantel würde mir gefallen, aber obwohl das die älteste Kleidung ist, die die Menschheit kennt, kann man ja sowas heute nicht mehr anziehen, ohne Angst haben zu müssen, daß irgendwelche Tierschützer einem das Ding auf offener Straße zerschneiden oder mit Farbe besprühen. Und ich würde gerne mal nach Australien, ich liebe Känguruhs und Koala-Bären, die würde ich gerne mal in echt sehen und den Ayers-Rock, den würd‘ ich doch ganz gern mal sehen. Ach, und das Empire State Buidling in Amerika und da diese Felswand wo man die amerikanischen Präsidenten reingehauen hat.“

„Na sehen Sie, Sie haben doch noch Wünsche. Und warum erfüllen Sie sich die nicht?“

„Ach wissen Sie, ich bin schon zu alt für sowas. Alleine kann ich das nicht mehr und ich wüßte niemanden, der eine alte und lahme Frau begleiten würde.“

„Da findet sich bestimmt jemand.“

„Das sagen Sie so. Aber ich werde das Geld meiner Enkelin geben, das ist ein ganz braves Mädchen, die könnte davon studieren und bräuchte sich keine Sorgen zu machen.“

Die Police hatte ich mitsamt einer Sterbeurkunde ihres Mannes in meine Unterlagenmappe geschoben und dann mit Frau Twages noch ihre Blumenwünsche für die Trauerfeier besprochen. Eine halbe Stunde später, nein es war eine ganze Stunde, denn es gab noch eine Sorte Waffeln, diesmal mit eingebackenen Rumrosinen, hatte ich alles ausgefüllt und genau in dem Moment war ein Mann von etwa 50 Jahren ins Zimmer gestürmt und hatte gerufen: „Du unterschreibst da aber jetzt nichts, Mutter!“

Wir waren zusammengezuckt und schon war der Mann bei mir, riß den Vorsorgevertrag von meiner Schreibunterlage, zeriss ihn in lauter Fetzen und schrie mich an: „Sie Aasgeier! Schämen Sie sich nicht, eine alte Frau so über den Tisch zu ziehen! Ja, ja, das kennt man ja, kaum hat es sich herumgesprochen, daß irgendwo Geld zu holen ist, schon kommen die Parasiten und Schmarotzer aus ihren Löchern!“

Mein Schrecken hatte sich schnell gelegt, ich bin keiner, der leicht aus der Ruhe zu bringen ist. Ziemlich gelassen, auch etwas ruhegetrieben durch den Genuß von drei bis zwölf Waffeln, sagte ich nur: „Schmarotzer und Parasiten sind dasselbe.“

„Hä, was?“

„Dasselbe, Parasiten und Schmarotzer.“

„Was?“

„Ja.“

„Nee.“

„Doch!“

„Aha. Äh, äh, äh…“

Ich hatte ihn aus dem Konzept gebracht und Frau Twages entschuldigte sich: „Das ist mein Sohn Tobias, dem habe ich vorgestern von der Police erzählt.“

Ich nickte nur und schaute den Mann mit einem Blick an, von dem ich hoffte, daß er Gelangweiltsein, Überlegenheit und Ablehnung gleichermaßen ausdrücken würde. Meine Frau hat so Muskeln im Gesicht, die kann so gucken, ich nicht…

„Sie werden meine Mutter nicht ausnehmen, Sie nicht!“

„Das will ich ja auch gar nicht. Ich bin Bestatter und Ihre Frau Mutter hat bei mir eine Bestattungsvorsorge abgeschlossen, die durch eine Sterbegeldversicherung sogar schon bezahlt ist. Sie will Ihnen nur eine Sorge mehr abnehmen.“

„Was?“

„Tobias, das heißt ‚wie bitte'“, tadelte Frau Twages ihren Sohn.

„Kommen Sie mir bloß nicht so“, beharrte der aber auf seinem Standpunkt: „Kaum ist mal Geld irgendwo zu holen, da tauchen Sie hier auf und zocken meine Mutter ab. Gut, daß ich gekommen bin!“

„Also, Tobias, ohne den Mann hätte ich gar nicht nach der Police gesucht und die Ordner wahrscheinlich irgendwann weggeworfen, dann wäre das ganze Geld futsch gewesen. Der Herr möchte gar nichts von meinem vielen Geld.“

„Nichts da, wenn Du jetzt anfängst, das Geld aus dem Fenster zu werfen, dann werden Jutta und ich Dich entmündigen lassen, Jutta hat sich da schon erkundigt.“

Frau Twages lehnte sich zurück, ein Schmunzeln huschte über ihre Lippen, dann schaute sie versonnen an die Decke und sagte eine Weile gar nichts mehr. Dann aber begann sie zu sprechen: „Du hast das mit Jutta schon besprochen? Du hast Dich jahrelang nicht um Papa und mich gekümmert, Deine Jutta hatte nicht einmal Zeit zu Papas Beerdigung zu kommen, weil sie mit ihrer Klasse einen Ausflug machen mußte, und nun meinst Du, hier große Töne spucken zu können?“

„Ich erbe ja sowieso mal alles.“

„Aber nicht, wenn ich es vorher verschenke. Simone, Deine Tochter und meine Enkelin, ist ja jetzt schon volljährig. Ihr werde ich das ganze Geld schenken, und eins, lieber Tobias, verspreche ich Dir, die paar Jahre die man braucht, bis diese Schenkung von Dir nicht mehr zurückverlangt werden kann, die bleibe ich ganz bestimmt am Leben und wenn sie mich die ganze Zeit an einer Maschine künstlich beatmen müssen!
Simone will sowieso weg von Euch, schon lange, und das werde ich ihr jetzt ermöglichen.“

„Du hast Kontakt zu Simone?“

„Ja sicher, das ist doch mein Enkelkind.“

„Davon wissen Jutta und ich ja gar nichts.“

„Das war auch besser so.“

„Die wird sich was anhören können, wenn ich nach Hause komme!“

„Weiß Du, Tobias, ich habe bald 500.000 Euro. Vielleicht gebe ich Dir und Deiner Jutta ja doch was davon, verspiele Dir nicht auch noch die letzte Chance auf ein bißchen Geld!“

Ohne ein weiteres Wort verließ Tobias das Haus und knallte die Haustüre zu.

„Was war das denn?“, fragte ich nur.

„Das war mein feiner Herr Sohn. Eigentlich ist das ein ganz Lieber, aber er steht bei seiner Frau unterm Pantoffel. Der Frau Lehrerin waren wir nicht fein genug und sie hat uns immer schon geschnitten. Irgendwann hatte sie Tobias so weit, daß er den Kontakt zu uns abgebrochen hat. Ich werde ihn nicht hinten runterfallen lassen, er soll seinen Teil bekommen. Aber den Löwenanteil kriegt trotzdem Simone, basta!“

Ungefähr ein Vierteljahr später, bei uns war es mitten im Winter, erreichte mich ein Brief, dem einige Fotos beilagen. Frau Twages hatte mir geschrieben, aus Australien. Auf den Bildern sah man eine vor Glück strahlende Frau vor dem Ayers Rock, auf einem anderen Bild war sie mit ihrer Enkelin Simone vor dem Chrysler Building in New York zu sehen, das sie -wie man der Aufschrift auf der Rückseite ‚ich und Simone vor dem Empire State Gebäude‘ entnehmen konnte, mit dem Empire State Building verwechselt hatte. Auf weiteren Bildern sah man sie an einem weißen Strand an einem unglaublich blauen Meer und im Brief schrieb sie, daß noch Kanada -wegen der Schlittenhunde- und Sankt Petersburg auf dem Plan stünden.

Das hat sie ganz richtig gemacht, die Frau Twages.

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(©si)