Geschichten

Petra – keine Ahnung

Das Mädchen ist dick und häßlich. Seine Unterlippe ist durch immerhin stolze acht Piercingringe entstellt, es glotzt durch dicke, ewig nicht geputzte Brillengläser und kaut unablässig ein nicht vorhandenes oder sehr winziges Kaugummi, während sie mit herunterhängender Unterlippe, was ihr einen grenzenlos dämlichen Gesichtsausdruck verleiht auf ein quer gehaltenes Handy starrt, auf dem sie mit dicken Fingern mit bis zum Gehtnichtmehr abgekauten Fingernägeln irgendwelche Frösche antippt.
Sie trägt ein verflecktes, speckiges T-Shirt in Schweinchenrosa mit der Aufschrift „Ich hab auch Titten, also glotz mir nicht immer in die Augen!“

Als Anhänger der Testosteron-Klasse kann ich nicht anders, als dieser blöden Aufschrift Folge zu leisten und schaue enttäuscht wieder weg. Das bißchen was da an sekundären Geschlechtsmerkmalen weniger hervorsticht als vielmehr zwischen Doppelkinn und Wampe verschwindet, ist eher unspektakulär.
Ohne aufzuschauen greift das etwa 22-jährige Mädchen mit der bloßen Hand auf eine vor ihr auf dem Küchentisch stehende Kuchenplatte und nimmt sich ein reichlich lang schon der Küchenwärme ausgesetztes Stück Schwarzwälderkirsch.
Zwei-, dreimal gestopft, dann schmatzend die dicken Fingerchen abgelutscht und anschließend am Bezug der Eckbank trockengewischt, bleiben erhebliche Sahnespuren rechts und links der Mundwinkel.

„Muttiiiii!“

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„Ja, Petra?“

„Luuuft!“

„Ach Gottchen, mein Kindchen – kommt sofort.“

Ich verstehe den Dialog zunächst nicht, lerne dann aber recht schnell, daß das Kommando ‚Luft‘ in etwa bedeuten soll: „Liebe Mama, ich bin gerade so mit Kuchenessen und Handyspielen beschäftigt und nun ist dummerweise meine Tasse leer, würdest du mir bitte noch etwas Kakao nachschenken?“

Petra, das ist die unverheiratete und noch zu Hause wohnende Tochter von Frau Brinkmann.
Frau Brinkmann ist etwa 1,60 m groß, zierlich und hat langes graues Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Das graue Haar und ihre etwas dunkle Hautfarbe geben ihr, auch wegen ihrer etwas herben Gesichtszüge, ein wenig das Aussehen eines alten Indianderhäuptlings. Sie ist nicht dumm, eloquent und sehr betrübt; erst vor einigen Tagen hatte sie erfahren, daß sie an Krebs erkrankt ist. Den Namen der Krankheit spricht sie, wie viele Krebskranke, nicht aus, sondern sagt nur ‚die Krankheit‘ oder ‚das was ich da habe‘.

Sie möchte gerne eine Bestattungsvorsorge bei mir abschließen, will das alles geregelt ist, „damit sich da dann keiner mehr kümmern muß und überfordert ist“. Das sagt sie mit einem deutlichen Seitenblick auf ihre Tochter Petra, die schon wieder „Luft“ ruft und dieses Mal bedeutet das Kommando: „Liebe Mutter, die ehemals gut bestückte Kuchenplatte ist leer und ich möchte noch mehr in mich hineinstopfen.“
Frau Brinkmann unterbricht das Gespräch mit mir nicht, sondern schiebt wortlos, ohne hinzublicken eine Schale mit Weihnachtsgebäck direkt vor Petra hin; das Mädchen hätte das Gebäck auch selbst erreichen können, dazu wäre aber der Ansatz einer Bewegung nötig gewesen und außer den Lippen und den Fingern bewegt das Mädchen nichts. Stattdessen läßt sie laut und auch ansonsten vernehmbar einen fahren, entschuldigt sich nicht einmal dafür und Mutter Brinkmann zieht nur die Augenbrauen hoch, wedelt kurz mit der neben ihr liegenden Apotheken-Umschau durch die Luft und fährt fort, mir zu erklären, wie sie sich ihre Bestattung vorstellt.

Eine einfache Feuerbestattung wünscht sie sich, damit sich niemand (wieder der Seitenblick auf das schmatzende Mädchen) um das Grab kümmern muß. „Eine einfache Steinplatte mit meinem Namen drauf und fertig.“
Bezahlen will sie das alles mit einer kleinen Sterbegeldversicherung, die aber nicht ausreicht und deshalb hat sie über Jahre hinweg jeden Monat noch einen kleinen Betrag beiseite gelegt.

„Erb ich dann was?“ fragt Petra unvermittelt ohne ihr Spiel zu unterbrechen.

„Aber sicher, mein Kind, alles was mir gehört, gehört dann Dir. Es gibt doch sonst keinen. Wir zwei haben doch nur uns, seit Papa gestorben ist.“

„Bei dem hab ich aber nichts geerbt„, sagt Petra in motzigem Ton.

„Da war ja auch ich die Erbin. Wir haben doch sowieso nicht viel, was hätte da noch an Dich fallen sollen. Aber die paar Sachen von Wert, die Papa hatte, die sind doch noch da, das bekommst Du doch eines Tages auch alles.“

„Hauptsache ich kann hier wohnen bleiben und der Fernseher bleibt hier. Ich hol mir dann Kabelfernsehen.“

Sie holt sich dann Kabelfernsehen…
Sie hätte auch sagen können: „Wegen Dir haben wir jetzt noch kein Kabelfernsehen, ist gar nicht schlimm, wenn Du mal tot bist.“

Nur, wer soll dann auf „Luft“ reagieren.

Petra furzt noch einmal, grinst, steht dann doch auf und geht mit watschelndem Gang zur Küchentür: „Ich geh mal einen abseilen.“

Als Frau Brinkmann und ich alleine sind, kann ich nicht anders und frage: „Kommt Ihre Tochter denn alleine zurecht?“

„Die? Ja sicher! Die kann alles, die ist bloß zu bequem. Petra ist mit dem Tod ihres Vaters nicht zurecht gekommen und deshalb kümmere ich ich ganz besonders um sie. Aber die kann, wenn sie will.“

Ich habe den Eindruck, daß Frau Brinkmann den Verlust ihres Mannes auch nicht wirklich verarbeitet hat und seitdem alle Fürsorge und Energie in das Mädchen investiert hat, wodurch dieses zu einer bequemen, stets umsorgten Faulsau geworden war.

Frau Brinkmann und ich unterhalten uns noch etwa eine halbe Stunde, Petra ist nicht zurückgekommen, sondern der inzwischen laut aufgedrehte Fernseher im Wohnzimmer verrät ihren derzeitigen Aufenthaltsort.

Es vergehen drei Monate, ich hatte Frau Brinkmann ihre Unterlagen zugesandt und dann nichts mehr von ihr gehört. So ist es mir am liebsten, es soll ruhig viel Zeit vergehen, bis ich die Vorsorgekunden eines Tages kalt und starr auf meinem Tisch liegen habe.

Doch dann steht eines Tages Petra bei uns in der Halle, trägt das gleiche Titten-Shirt wie vor drei Monaten und wirkt durch rosafarbene, fellbesetzte Moonboots ein wenig lächerlich.
„Was muß ich jetzt machen? Bei Ihnen ist doch alles. Die Mutti ist jetzt tot.“

Das erste Gespräch hatte Mitte November stattgefunden und inzwischen war es Mitte Februar. Ich biete der jungen Frau einen Platz in einem der Beratungsräume an, hole mir die Akte und erkundige mich dann nach Frau Brinkmann.
„Sach ich doch! Die ist tot!“

„Ja, aber wann und wo und wie ist sie gestorben?“

„An Weihnachten.“

„Wie an Weihnachten?“

Vor meinem geistigen Auge sehe ich eine durch Heizungsluft aufgedunsene und halb verweste Leiche im heimischen Ehebett liegen, Schrecken kriecht in mir hoch.

„Also an Weihnachten ist’se umgefallen und ins Krankenhaus gekommen.“

„Und dann?“

„Keine Ahnung, ey.“

„Wie keine Ahnung?“

„Ja was weiß ich denn? Die war dann im Krankenhaus, ich hab ihr Nachthemd und Kulturbeutel gebracht und dann hatte ich ja so jede Menge zu tun.“

„Was denn?“

„Na, alles Mögliche. Neuer handyvertrag, gucken Sie mal, das hier hat einen größeren Bildschirm.“

„Und ihre Mutter?“

„Die war ja in gute Händen und so. Die machen da doch im Krankenhaus alles. Krankenhäuser sind nicht so mein Ding.“

„Aber Sie haben Ihre Mutter doch besucht?“

„Ja, sach ich doch! Als ich ihr das Nachthemd, den Morgenmantel und den Kulturbeutel gebracht habe.“

„Danach nicht mehr?“

„Nee.“

„Wie jetzt, nee?“

„Ja nee eben, keine Ahnung, wozu denn, die sorgen da schon für sie. Ich hab doch keine Ahnung von Medizin. Ich kenn nur Sarkoidose, weil das bei Dr. House immer vor kommt. Und das hatte sie ja nicht. Ich hab immer gewartet ob die irgendwann nach hause kommt, aber dann kam gestern der Anruf, daß die tot ist. Wann ist denn die Beerdigung?“

„Das müssen wir jetzt erst alles einmal in Ruhe besprechen.“

„Ja, dann aber schnell, ich will noch in die Stadt, ich muß zu Kabel-Ultra, wegen dem Anschluß.“

„Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt! Zuerst bringen wir mal Ihre Frau Mutter anständig unter die Erde, das Kabelfernsehen hat wohl noch etwas Zeit.“

„Okay, Sie haben ja Recht, die machen erst um sieben zu.“

Viel zu besprechen gab es nicht. Das Meiste hatte Frau Brinkmann selbst verfügt und Petra interessierte sich nicht weiter für meine Vorschläge und auf Fragen antwortete sie fast ausschließlich mit dem Satz: „Machen Sie das so, wie Sie meinen, mir ist das egal, keine Ahnung.“

„Sind Sie traurig, daß Ihre Mutter gestorben ist?“ frage ich schon ein wenig in provozierender Absicht.

„Ich kenn das doch noch vom Papa. Viel Aufregung und es kostet einen Haufen.“

„Ja aber, trauern Sie?“

„Och, schon, ist natürlich doof, so ganz alleine.“

„Und wovon leben Sie jetzt? Hartz IV?“

„Was? Nee, ich kann jetzt ans Geld vom Papa ran. Das ist festgelegt, da krieg ich jeden Monat 2.000 Euro. Das reicht für ewig.“

„So viel Geld hat Ihr Vater hinterlassen?“

„Der hatte doch diese Gießerei und die hatte er verkauft.“

„Na, dann kommen Sie ja gut ‚rum.“

„War’s das dann?“

„Ja.“

„Und das mit der Beerdigung machen Sie alles?“

„Ja, ich sage Ihnen später noch den Termin durch.“

„Termin? Muß ich da etwa irgendwo hin?“

„Na ja, ich meine, Sie werden doch zur Beerdigung wollen.“

„Ist doch eh nur ne Feuerbestattung. Nee, wenn dann das Grab später mal fertig ist, dann geh ich mal hin. Aber doch nicht zu dem Trallala mit Pastor und so.“

„Das ist die Beerdigung Ihrer Mutter!“

„Ich trauere in meinem Herzen, glaub ich. Des Drumherum will ich nicht. Machen Sie das so, wie Mutti das bestellt hat und gut ist’s.“

„Muß ich dann noch irgendwas bezahlen?“

„Nein, das ist alles abgedeckt.“

„Bleibt da was übrig?“

„Kann sein.“

„Okay, ich komm dann in drei Wochen und hol mir das. Tschüß!“

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(©si)