Francis Miller ist gestorben.
Er wurde 119 Jahre alt.
Nach 70 Jahren in seinem Beruf als Produktredakteur bei Amazon, das seit 20 Jahren zum größten Konzern der Welt, zu Google, gehört, war er mit 87 Jahren in den Ruhestand gegangen.
Dank der Altersversorgung von Google konnte er sich, im Gegensatz zu Millionen anderer Menschen, sein Leben ganz nach seinen Wünschen gestalten.
Mit 88 Jahren hatte geheiratet, was ja vorher von Google aus Karrieregründen verboten war.
Mit seiner 2 Jahre jüngeren Frau Elisa hatte er in der Kölner Bucht das Wellenreiten erlernt und die beiden waren begeisterte Mitglieder der Fallschirmtruppe „The Highlanders“ geworden.
Im Alter von 89 Jahren war Francis Miller Vater geworden. Elisa gebar ihm drei genetisch identische Söhnen. Drei war das von Google vorgeschriebene Minimum.
Mit ihrer Geburt waren Henry, Tom und Florian schon bei der „Mario-Barth-University“ in Berlin eingeschrieben worden, wo sie 10 Jahre später ihr Studium der Peguinistik aufnahmen.
Ihre Arbeitsverträge mit Google hatten sie im Alter von 3 Jahren schon zugeschickt bekommen.
Francis Millers Vitalscan hatte zwar ergeben, daß er 145 Jahre alt werden würde, doch ist es auch heute noch so, daß Menschen einfach sterben, auch wenn sie noch so jung sind.
Dieser sogenannte „plötzliche Menschtod“ ist nach wie vor eines der großen Rätsel der Menschheit. Krebs, Alzheimer und alle Arten von Kreislauferkrankungen gehören längst der Vergangenheit an, man kennt sie nicht mehr. Aber warum viele Menschen auf einmal von Mattigkeit und Gliederschmerzen befallen werden und dann einfach eines Morgens nicht mehr aufwachen, das ist und bleibt rätselhaft.
Einige wenige Menschen können sogar 200 oder 300 Jahre alt werden, was aber nur der Fall ist, wenn sie zur Kaste der Politicians oder der C-Proms gehören.
Die letzten drei Wochen hatte Francis Miller im Hospital in Köln zugebracht. Dort war er letzte Nacht gestorben.
Sein Leichnam war von zwei männlichen „Nurses“ in eine dafür vorgesehene Öffnung am Ende des Krankenhausflures geschoben worden.
Mit flüssigem Stickstoff wurde der Leichnam binnen Sekunden schocksteif gefroren. Kurz darauf versetzten Ultraschallwellen den gefrorenen Körper in Schwingungen, sodaß dieser wie das Sicherheitsglas einer Windschutzscheibe in tausende kleiner Krümel zerfiel. Mikropulsstrahlung verdampfte in einem weiteren 3-minütigen Prozess alle ehemals flüssigen Bestandteile des Körpers und übrig blieben 1,2 Kilogramm gräulich-weißer Substanz, die von den Menschen „Stoda“ genannt wurde. Das Wort Asche paßte nicht mehr und in einer weltweiten Abstimmung über Google-Vote, mit dem ja auch die Menschheitsregierung und zum 24. Mal Angela Merkel zur MIMI (Most Important Menkind Instructor) gewählt wurden, war das Wort Stoda als passender Begriff ausgewählt worden.
Tom, Henry, Florian und Elisa erfahren durch eine Einblendung in ihre Google-Glasses vom Tod des Verwandten. Tom übernimmt die Abwicklung. Er blinzelt mehrere Male, scrollt durch Augenbewegungen durch einige Menüs und erteilt dem weltweit agierenden Bestattungskonzern „Pietät Eichenlaub – Oakleaf Int. Inc.“ den Bestattungsauftrag.
Eine Stunde später setzt wirbelnd eine Frachtdrohne in glänzend schwarzer Farbe auf dem Hof des „Donald Trump Memorial“-Krankenhauses auf und an der Frontseite blinkt ein QR-Code auf.
Mit 14 Betten und zwei OP-Räumen gehört das „Donald Trump Memorial“ zu den größten Krankenhäusern der Region.
Gelangweilt richtet ein Security-Mann seinen Blick auf die Drohne und blinzelt kurz. Seine elektronische Brille scannt den QR-Code ab und übermittelt die Daten an den Zentralrechner, der 6.528 Kilometer entfernt steht.
Dieser gibt den passenden Steuerbefehl und eine graue Kapsel mit der Stoda von Francis Miller wird von einem Luftkissenwägelchen in den Laderaum der Drohne geschoben.
Kurz heulen die Propeller auf und die Drohne ist auf 1.000 Fuß Höhe. In einer weiten Schleife fliegt sie weit hinaus in die Kölner Bucht, dort wo früher einmal die Niederlande waren, und zischend öffnet sich die Frachtluke und die Kapsel mit der Stoda von Francis Miller fällt trudelnd hinab in die Nordostsee.
Francis Verwandte, seine Google+-Freunde und alle von Google ausgewählten Personen erhalten 10 Minuten später via Einblendung in ihre Googlebrillen die Benachrichtigung. Am Abend um Punkt 19 Uhr wird die Trauerfeier stattfinden.
Elisa und ihre drei Söhne sitzen um zehn vor Sieben, jeder in seiner Wohnung, erwartungsvoll vor ihren Rechnern. An vielen Orten der Erde tun es ihnen viele der Menschen gleich, die eine Benachrichtigung erhalten haben.
Die flach in Augenhöhe in die Wand eingelassenen Displays werden allein durch die Google-Glasses gesteuert.
19 Uhr. Ein grüner Palmzweig erscheint auf grauem Hintergrund. Es ertönt das seit Jahrzehnten beliebteste Trauerstück „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ und Reverend Paris Hilton wird eingeblendet.
Religionsgruppen gibt es seit den antiislamischen Kriegen nicht mehr, die Menschen können sich nur noch für „religiös“ oder „nicht religiös“ entscheiden.
Elisa wischt mit dem Zeigefinger über den Bügel ihrer Brille, sie wählt die religiöse Variante.
Das virtuelle Bild von Paris Hilton verändert sich. Aus dem geblümten Strandkleid wird eine mintgrüne Soutane. Eliza schüttelt den Kopf, die Soutane wird von einem langen schwarzen Mantel abgelöst und der Zentralrechner verpaßt Paris Hilton einen langen, weißen, gelockten Bart, sowie einen großen schwarzen Sombrero.
Das erscheint Elisa würdig genug und sie blinzelt zustimmend.
Mit einem Lächeln auf den Lippen und etwas kuhäugig dreinblickend verliest Paris Hilton den Googlepedia-Eintrag von Francis Miller und endet mit den Worten: „Viel zu früh ist er heute von uns gegangen, voll krass, schon heftig, echt jetzt.“
Elisa weint, als sie diese Worte hört und bedeckt kurz mit beiden Händen die Gläser ihrer Brille. Auf allen Monitoren erscheint die Meldung „Francis Miller for ever offline“ und weltweit verneigen sich die anderen Teilnehmer als Zeichen ihrer Anteilnahme.
Von nun an wird in den nächsten 30 Jahren an immer diesem Tag morgens kurz eine virtuelle Kerze mit dem Namen Francis Miller in die Brillen der Angehörigen eingeblendet. Wenn ihnen danach ist, genügt jederzeit ein Blinzeln und Paris Hilton findet dann ein paar passende Worte…
Bild Paris Hilton (Face): Von Toglenn – Eigenes Werk, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16380045
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Francis, Miller, Millers
Wat? 😀
Hmm, Orson Welles in Bestform…
Sitze in der Uni und alle anderen fragen sich, warum ich glucksend hier sitze. Danke Tom, DAS ist Humor auf höchstem Niveau.
Ich lasse mich einschläfern…………………….. :-O
Schriebst Du nicht mal sinngemäß. „Ich schreibe ersteinmal alle Geschichten fertig bevor etwas neues kommt“.
Schonmal daran gedacht in die Pokitik zu gehen?
@Glückauf:
„Glückauf“ ist schon mal gut.
Besser als „Glückab“.
Oder?
Dann meine Frage zu Deiner Frage:
Meinst Du Po-Kritik oder Po-Litik?
Po-Kitik war mir bisher unbekannt.
Kleine Scherze versüßen den Alltag???
LG Ulrike
Wuha. Dann lieber Peter Wilhelm als Hotelbesitzer 😛
Lese gerade – nach gefühlten 119 Jahren die Brave New World zum zweiten Mal. Bin gerade am Ende des Buches angekommen und dachte, ich finde hier den Fortsetzungsroman. Wow!
LG Ulrike
Penguinistik ist doch tatsächlich ein Studienfach, ach was, ein Wort, das die heutige Version von Google gar nicht kennt – Respekt!
Lieber Peter,
feier schön und habe einen tollen Tag heute!