Geschichten

Röschen und Kalli 7

Das Gespräch mit Kallis Vaters ist höchst unangenehm losgegangen.

Fünf Minuten vor der Zeit, so wie es meine Art ist, kam ich in das Café und weil außer einigen älteren Damen nur ein Mann anwesend war, schaute ich diesen fragend an. Er winkte mich mit seinem Stock zu sich.

„So, Sie sind das also, der hier so einen Zirkus veranstaltet“, waren die Worte, mit denen er mich begrüßte.

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Es ist ein älterer Herr mit polierter Glatze, er trägt einen dreiteiligen dunklen Anzug und eine randlose Brille. Insgesamt eine vornehme Erscheinung. Mit den Worten: „Nehmen Sie Platz!“ deutet er auf den freien Stuhl ihm gegenüber. Danach gab er mir unmißverständlich zu verstehen, daß er seine Anwälte beauftragt habe, um die Sache prüfen zu lassen und daß ich mit zivil- wie strafrechtlichen Folgen zu rechnen habe. „So, und jetzt kommen Sie“, sagte er dann, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, wie ein Lateinlehrer, der einen aufgerufen hat und genau weiß, daß man nichts weiß.

Ich versuchte, ihm klar zu machen, daß wir nur ein Dienstleister sind und einen ordnungsgemäßen Auftrag vorliegen haben, den wir -ganz nach Kundenwunsch- so gut wie möglich erfüllen. Außerdem sagte ich: „Ich habe vollkommen Verständnis dafür, daß Sie auch auf Ihre Weise von Ihrem Sohn Abschied nehmen möchten und wir würden gerne alles tun, damit das möglich wird.“

Was dann folgte, will ich nur auszugsweise wiedergeben:

„…hat es bei UNS früher nicht gegeben…“
„…Männer müssen hart sein wie Krupp-Stahl…“
„…gehören alle kastriert…“
„…hätten ihn totschlagen sollen wie einen räudigen Hund…“

und abschließend:

„Sowas wie der darf ja sowieso nicht in geweihter Gotteserde bestattet werden. Meinetwegen können Sie ihn hinter der Friedhofsmauer verscharren, da wo die Kinderschänder und Selbstmörder hinkommen. Ich hätte ihn anonym verbrennen lassen, keine Anzeige, keine Feier, nichts!“

In diesem Moment wird mir erst klar, daß es dem Mann gar nicht darauf angekommen war, seinen Sohn selbst bestatten zu wollen, etwa um ihm eine besondere Bestattungsfeier zukommen zu lassen, sondern er wollte einfach den „Schandfleck seines ganzen Lebens“ beseitigen und verscharren lassen.

Da ist mir Röschens Variante lieber…

Ich wünschte, ich könnte meinen Lesern jetzt eine rührselige Geschichte erzählen, wie ich ihn dann doch noch dazu gebracht habe, sich mit Röschen zu versöhnen und wie beide dann vielleicht gemeinsam Abschied nehmen… Aber nein, dazu wird es nicht kommen.

Er sitzt mir gegenüber, in seinen Mundwinkeln hat er weiße Flöckchen vom aufgeregten Sprechen und er funkelt mich durch seine Brille an.

Vielleicht sollte ich versuchen, ihn auf die altmodische Art zu kriegen, so nach dem Motto „Blut ist dicker als Wein“ oder mit der Geschichte vom verlorenen Sohn, aber während ich das noch denke, fragt er: „Ist da eine Zeitungsanzeige erschienen?“

Ich schüttele den Kopf, Röschen hat alle Freunde und Bekannten selbst eingeladen. Kallis Vater blickt mich mit zusammengekniffenen Augen prüfend an und sagt: „Besonders beeindruckt scheinen Sie nicht zu sein.“

„Weshalb sollte ich beeindruckt sein? Sie erstaunen mich zwar etwas, aber um mich zu beeindrucken, dazu gehört schon etwas mehr.“

„Wenn Sie mir versprechen, daß unser Name nicht in die Zeitung kommt und ich in dieser Sache nicht weiter belästigt werde, will ich davon absehen, Sie zu belangen. Sie machen ja auch nur Ihre Arbeit. Es würde zu weit führen, Ihnen alle Hintergründe zu erläutern, aber seien Sie versichert, ich habe meine Gründe.“

Er steht auf, zieht eine Visitenkarte aus der Westentasche und sagt: „Die Rechnung geht hierhin!“

„Tut mir leid, aber der Auftraggeber…“

„Das interessiert mich nicht. Wenn Sie mir keine Rechnung schicken wollen, dann lasse ich Ihnen heute Nachmittag einen angemessenen Betrag zukommen. Sorgen Sie nur dafür, daß der Name meiner Familie nicht in die Zeitung kommt!“

Damit steht er auf und im Weggehen dreht er sich nochmals um und sagt: „Ich möchte dann von dieser ganzen Sache nichts mehr hören, nichts mehr, haben Sie verstanden?“

Er wartet keine Antwort ab und überlässt es mir, die Rechnung im Café zu bezahlen.

„Arschloch“, denke ich und schaue auf die kleine Visitenkarte: Richter am Landgericht a.D.

Naja…


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 24. Oktober 2007 | Revision: 26. Januar 2025

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