Geschichten

Röschen und Kalli 8

Um Punkt drei Uhr kam Herr Rose in unser Haus. Zwar hatte ich Anweisung gegeben, ihn gleich zu mir zu bringen, aber ich war dann doch mal wieder am Seuchenknochen (Telefon) und so wartete er auf dem Sofa in der Halle. Als ich dann nach knapp 10 Minuten zu ihm kam, sah er nur kurz auf, grüßte nickend und blätterte dann in einem kleinen Fotoalbum: „Schauen Sie mal hier, das ist er. Sind das nicht schöne Bilder?“

Ich setzte mich neben ihn, betrachte das kleine Plastikalbum und sehe zwei Männer, die irgendwo, wo Palmen wachsen, in Urlaub sind.

Röschen blättert weiter um, hat zu jedem Foto etwas zu sagen und dabei fallen mir seine gepflegten Hände auf. Sieht man selten bei Männern, entweder sind die Nägel mit irgendwas poliert oder klar lackiert. Übrigens riecht der Mann gut und zwar keineswegs süßlich blumig, sondern ich würde auf „Fahrenheit“ tippen, das nehme ich auch. Bloß bei ihm riecht man das, bei mir nie! Obwohl, die Frauen im Büro sagen ja immer ich würde gut riechen, vielleicht riecht man das selbst nicht…
Angezogen ist Röschen übrigens mit einer weißen langen Lederhose, einem hellblauen Satinhemd und einem gelben Seidenschal mit einem unglaublichen Blumenmuster. Ich weiß nicht, wie ich diesen Mann beschreiben soll. Vielleicht kennt noch jemand die Sendung „Der blaue Bock“, da ist sehr häufig das „Medium Terzett“ aufgetreten und da war so ein langer Dünner dabei. So ungefähr sieht Herr Rose aus, nur älter.. obwohl, der Mann aus der Fernsehsendung muß ja jetzt auch schon alt sein; ob der noch lebt?

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Wohin schweifen meine Gedanken da? Warum vertrödelt Röschen seine Zeit mit diesen Alben?
Kaum 20 Meter entfernt, in der größeren Aufbahrungskabine, wartet doch sein Kalli auf ihn. Na klar, er hat Angst, will den Zeitpunkt des Abschieds noch etwas hinauszögern. Ich raffe mich auf, sage zu ihm: „Wollen wir dann?“

„Zwei Herzen wohnen mir inne!“ juchzt Röschen und so einen Augenaufschlag bekommt nichtmal ein 16-jähriger Backfisch hin.

Das größere Aufbahrungszimmer ist fast doppelt so groß wie die anderen. Es ist zweigeteilt, der hintere Teil kann durch ein Rolltor von oben geschlossen und gekühlt werden, vorne gibt es Teppichboden. Das Rolltor war gar nicht zu, die Kühlung nicht an, heute ist es nicht warm.
In den vorderen Teil kann man Stühle stellen oder was man sonst so für richtig hält. Da ich wußte, daß sich Herr Rose eine Weile dort aufhalten möchte, habe ich den Sarg selbst ganz quer gestellt und einen der dicken Sessel aus der Halle geholt. (Mann was sind die Dinger schwer!) Außerdem habe ich ein Tischchen hineingestellt, die Öllampen an den Wänden angezündet und eine Mitarbeiterin hat aus der Gärtnerei drei Rosen geholt, deren rote Blütenblätter ich über die Decke gestreut habe. Dann sieht es nicht so kalt aus.

„Los jetzt“, sage ich zu Herrn Rose und gebe ihm einen kleinen Stoß. Er nickt, schluckt schwer, nimmt eine große orangefarbene Reisetasche, die neben dem Sofa stand, und folgt mir zum Aufbahrungsraum.
Ich merke schon, wie seine Schritte langsamer werden, je näher wir dem Raum kommen. Schließlich bleibt er im Gang neben der Tür stehen. Ich trete zur Seite und mache eine einladende Handbewegung. Röschen macht einen Giraffenhals und guckt einmal ganz vorsichtig um die Ecke in den Aufbahrungsraum.
Dann tritt er einen Schritt vor, schlägt die Hände vor das Gesicht und schluchzt: „Ach Gott, ist das schön!“ Im selben Moment tippelt er mit kleinen Schritten vor, schaut sich minutenlang seinen verstorbenen Partner an, dreht sich dann um und ehe ich es mich versehe, habe ich links und rechts einen Kuß auf der Wange. „Er ist so, so, so wunderschön.“

Ich deute auf das Telefon an der Wand und sage: „Falls Sie irgendetwas brauchen, nehmen Sie einfach den Hörer ab, ja?“
Keine Ahnung, ob er mich verstanden hat, denn er fängt an, seine Tasche auszupacken und ich gewähre ihm seine Privatsphäre und gehe. Die Tür lehne ich an.

Nach einer halben Stunde gehe ich nachschauen, das heißt, ich will nachschauen gehen, aber als ich in den Gang komme, der zu den Aufbahrungsräumen führt, höre ich leise Musik und die Stimme von Röschen. Er erzählt seinem Kalli irgendwas, ich kann nicht verstehen was er sagt. Ich gehe wieder.

Es hat bis 17 Uhr gedauert, fast zwei Stunden hat Röschen bei Kalli zugebracht, dann kommt er mit seiner Reisetasche wieder in die Halle. „Ich habe ihm seinen Schmuck angezogen und da hätte ich noch eine Bitte.“

„Ja?“

Er schaut sich um und sagt mit dem Unterton eines Verschwörers: „Nehmen Sie ihm den bitte wieder ab, bevor er eingeäschert wird, ja? Sonst kommen die guten Stücke noch um.“

Ich weiß was er meint und nicke. Dann frage ich: „War alles zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Ja, ich habe Kalli seine Musik vorgespielt, seine Hände gestreichelt, er hatte so schöne Hände… Dann habe ich ihm so ein paar Sachen erzählt, die nur ihn und mich etwas angingen, die ich ihm aber nie gesagt habe. Dabei habe ich seine Hände gehalten. Die waren so kalt und so steif, aber wie ich sie so gehalten habe, wurden sie wärmer und weicher, das war sehr schön. Ich liebe diesen Mann.“

Dann setzt sich Röschen und erzählt mir von seinen Gefühlen, ich gebe es hier nicht wieder, man wird das verstehen. Ich habe schon viele Menschen weinen sehen, aber daß es jemanden so schütteln kann…
Ich bin ja nun wirklich nicht weinerlich, aber wenn jemand so herzzerreißend heult, drückt es mir dann doch auch schon ein bißchen die Tränen in die Augen.

In meiner Tasche vibriert mein Handy, ich entschuldige mich bei Röschen, mir kommt das jetzt ganz recht, sonst heule ich auch noch. Aus dem Büro wird gemeldet, daß ein Taxifahrer einen Briefumschlag abgegeben hat, in dem sich 2.000 Euro befinden. Aha, der Herr Landgerichtsrichter a.D. …
Ich klappe das Handy zu und erzähle Röschen von dem Treffen mit Kallis Vater, die unangenehmen Punkte lasse ich weg, weise aber auf das eingegangene Geld hin.

Was wird Röschen jetzt tun? Wird er aufspringen und das Geld entrüstet von sich weisen? Oder wird er es vor der Hand annehmen und dann spenden?

Er steht auf, geht auf und ab, bleibt nach fünf Metern jeweils stehen, wippt auf die Zehenspitzen, dreht sich wie eine Primaballerina, geht wieder fünf Meter… Dabei hat er die Hände, hinter dem Kopf verschränkt, macht einen spitzen Mund und wiegt den Kopf hin und her.

Plötzlich bleibt er vor mir stehen und sagt: „Ich habe da mal was gehört. Man kann doch auch heute Totenmasken abnehmen oder?“

Ich nicke, natürlich kann man das. Wir haben eine Adresse in der Kartei, von einem Mann aus den neuen Bundesländern, der sowas macht, der ist richtig gut.

„Dann machen wir das! Schicken Sie dem Herrn XYZ ruhig die Rechnung, dann kann ich mir das mit der Totenmaske leisten. Geht das?“
Er steht vor mir, hält meine Hände fest umklammert und ich sehe, wie seine Nasenflügel beben.

„Natürlich geht das“, sage ich und insgeheim überlege ich, wie wir das zeitlich alles unter einen Hut bekommen, es dürfte aber gehen, wenn ich sofort anrufe und wir die Maske noch heute Nacht abnehmen. Besser wäre es, das morgen, nach der Trauerfeier zu machen; nachher will doch noch jemand schauen und bei der Abnahme bleiben erfahrungsgemäß Rückstände vom Gips an Augenbrauen und Haaransatz. Wir entfernen das zwar, aber ein bißchen sieht man es immer.

„Das geht auch mit Händen?“

Ich überlege fieberhaft, das hat noch keiner gefragt und deshalb sage ich: „Wir machen das so, ich gehe jetzt mal kurz telefonieren, dann sage ich Ihnen Bescheid.“

Herr Rose nickt heftig, setzt sich ganz schnell hin, und wippt mit den Knien. Der Mann ist richtig aufgeregt.

Der Mann im Osten ist nicht da, aber seine Frau geht ans Telefon und die kennt sich auch aus. Sie erklärt mir nochmals wie wir die Maske abnehmen sollen und will mir ein kompliziertes Verfahren mit Wachs und heißem Wasser für die Hände erklären; ich breche das ab, übergebe den Hörer an Sandy und mache mich wieder auf den Weg zu Herrn Rose.

Es ist nämlich so, daß wir die Masken -man hat es schon herauslesen können- selbst abnehmen und dann das so entstandene Negativmodell an den Künstler senden. Der fertigt dann damit die eigentliche Maske. Angeboten hat der uns das schon vor Jahren, aber bis jetzt ist es erst zwei Mal vorgekommen, daß das wirklich jemand wollte.

„Und?“ fragt Röschen und ich unterrichte ihn über den Stand der Dinge. Er sagt: „Das wäre das Schönste auf der Welt für mich, wenn das klappen würde.“

Ich muß ihm sagen, daß das nicht sehr einfach ist und daß es keineswegs sicher ist, daß das Ergebnis zufriedenstellend wird. Durch Erschlaffung und andere umständebedingte Dinge ist nämlich nicht sicher, ob die abgenommene Maske hinterher auch dem Menschen -wie man ihn kannte- wirklich ähnlich sieht, es wird halt der Tod konserviert, nicht das Leben.

Eben noch hat Röschen geheult wie ein Schloßhund, jetzt tirriliert er wie eine Haubenlerche.

„Ich kann heute Nacht nicht schlafen, Sie machen mich zum glücklichsten Röschen der Welt!“

Er geht und ich habe den Eindruck, daß er wirklich ganz glücklich ist und sich über die Entwicklung freut.

Und wir? Wir haben jetzt Arbeit, denn Sandy meint, und damit hat sie Recht, wir müssten sofort an die Arbeit gehen.


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 24. Oktober 2007 | Revision: 26. Januar 2025

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