Geschichten

Schluckauf

Schluckauf

Frau Wölpert ruft erzürnt: „Nein, ich schweig jetzt nicht still, ich habe lange genug geschwiegen, jetzt muss auch mal gesagt werden, was gesagt werden muss…“

„Du musst gar nicht still schweigen, es reicht, wenn Du einfach nur schweigst“, entgegnet ihr Herr Wölpert und sein Sohn Karlheinz fügt hinzu: „Und außerdem sind es die Sachen, die vermeintlich unbedingt gesagt werden müssen, die man am besten gar nicht sagt.“

Doch die Schwiegertochter Ursula zieht die Muskeln über den Wangenknochen hoch, sodass sie ganz schmale Augen bekommt und fragt spitz: „So? Was willst Du denn sagen? Sag es ruhig! Es sollen alle ruhig mal hören, was für eine wirre Alte Du bist.“

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„Wirre Alte? Ich glaube, ich höre nicht recht! Es ist ja immer noch so, dass ihr in unserem Haus mit wohnt und keine Miete zu bezahlen braucht, da habe ich wohl etwas mehr Respekt verdient.“

„Du sagst es, Respekt muss man sich verdienen!“

Karlheinz legt seine rechte Hand auf die Hände seiner Frau, um so beruhigend auf sie einzuwirken und meint: „Nein, das wollen wir jetzt alles gar nicht wissen, Schatz. Vor allem der Herr vom Bestattungshaus interessiert sich ganz bestimmt nicht für diese Geschichten.“

Tue ich auch nicht. Ehrlich gesagt bin ich immer an interessanten Geschichten interessiert, und was kann interessanter sein, als die vielen kleinen Streitigkeiten und Gemeinheiten innerhalb anderer Familien. Führt einem das doch auf höchst eindrucksvolle Weise vor Augen, dass man mit Streit, Zwist und Hader nicht alleine dasteht und dass es in anderen Familien noch sehr viel schlimmer zugeht als in der eigenen. Aber im Laufe der Jahrzehnte sind so viele Familiengeschichten vor mir ausgebreitet worden, dass mein Bedarf im Grunde mehr als gedeckt ist. Und sind wir doch mal ehrlich: So groß unterscheiden sich die Streitigkeiten gar nicht voneinander, als dass es sich lohnen würde, jede einzelne Variante davon zu erfahren. Am Ende ist es immer und überall der gleiche schäbige und sinnlose Mist.

Außerdem sind wir im Beratungszimmer eines Bestattungshauses und Familie Wölpert ist gekommen, um den Bruder von Frau Wölpert beerdigen zu lassen. Dieser Bruder, ein gewisser Max Brotzelkamp, so steht es auf dem Pappzettel, den im Krankenhaus jemand an seinen großen Zeh geknotet hat, ist bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Wobei… Unter einem Jagdunfall stellt man sich ja gemeinhin vor, dass ein Jäger einen anderen Jäger versehentlich für jagbares Getier gehalten und gänzlich absichtlos erschossen hat. In diesem Fall war das etwas anders. Herr Brotzelkamp hatte vor fünf Tagen einen hölzernen Hochsitz erklommen und sich droben im offenen Kabäuschen mit einer Flasche Schnaps und einer Flinte bewaffnet auf die Lauer gelegt. Der Schnaps und eine dicke Decke über den Beinen sollten es ihm ermöglichen, der jahreszeitlich bedingten Kühle zu trotzen.
Der Rest erklärt sich am besten, wenn man einen Blick auf den Laufzettel wirft, der vom Rechtsmedizinischen Institut mitgekommen war: „Genickbruch nach alkoholintoixiniertinduzierten Sturz aus 6 Meter Höhe„.
Ich hätte das Adjektiv ja mit einem „m“ am Ende geschrieben, aber derjenige, der dieses Fremdworttriplett niederschrieb, war wohl so sehr damit beschäftigt, möglichst viele wichtig klingende fremwdörtliche Silben aneinanderzuknüpfen, dass ihm dieses winzige Detail der deutschen Grammatik entgangen ist. Aber zugegeben, dieses Triplett klingt wirklich besser als „besoffen vom Hochsitz gefallen“ und es verbrämt auch ein bißchen die solcher Tragik für gewöhnlich innewohnende Komik.

Bruder Max liegt nur wenige Meter von den vier Wölperts entfernt im Kühlraum in einem Zinksarg und die Familie soll nun entscheiden, wie es mit ihm weitergeht.

„Also, was haben Sie denn für den verstorbenen Herrn Brotzelkamp geplant?“, frage ich, ganz auf die Klärung von Sachfragen konzentriert. Doch keiner der Anwesenden mag meine Frage beantworten.

Herr Wölpert ist ein etwa 70-jähriger ehemaliger Gymnasiallehrer, seine Frau Ilse hatte auf die Frage nach ihrem Beruf geantwortet: „Na hören Sie mal! Mein Mann ist Oberstudienrat!“ und ihr Sohn Karlheinz hatte sich als Verwaltungsfachangestellter mit seit sechs Jahren erfolgreich gepflegtem Burnout eingeführt. Ursula, seine Frau, hatte die Frage mit folgenden Worten beantwortet: „Nachdem mein Mann es ja vorzieht, seit Jahren den sterbenden Schwan zu geben, muss ja einer in der Familie das Geld herbeischaffen. Der edle Herr ist sich ja zu fein zum Arbeiten.“
Das konnte ich aber als Berufsbezeichnung nicht auf das Formular fürs Amt schreiben, also hakte ich nach und Ursula machte einen ganz spitzen Mund und sagte: „Ich bin Lebensberaterin“.

„Aha, das klingt interessant“, sagte ich und schrieb es so nieder. Mehr aus persönlicher Neugier fragte ich: „Was macht man denn da so?“
„Na, ich sage meinen Klienten, was so auf sie zukommen wird.“
„Ach, das ist ja interessant, wie machen Sie das denn?“
Sie räusperte sich, denn ihr war der skeptische Unterton in meiner Frage wohl nicht entgangen, und sagte: „Ich habe das zweite Gesicht.“
„Sieht man gar nicht.“
„Wie bitte?“
Ich sagte: „Kenn ich gar nicht.“

„Das funktioniert wirklich und ich habe schon vielen Menschen geholfen. Ich gebe Suchenden Orientierung in einer sich immer schneller drehenden Welt voller Fragen.“

„Aha, und das tun Sie, indem Sie in die Zukunft schauen?“

„Jawoll! Und glauben Sie nicht, dass ich nicht merke, dass sie keiner von denen sind, die die Hilfe des Universums annehmen.“

„Und, wie geht’s jetzt weiter? Sie müssen es doch wissen.“

„Wie bitte?“

„Ich meinte: So, jetzt geht es weiter, Sie wollen ja vieles wissen.“

„Ach so.“

„Genau!“

Mutter Ilse meldet sich zu Wort: „Das mit dem Brotzelkamp können Sie gleich streichen. Mein Bruder heißt Charles de Hoquet.“

Die drei anderen seufzen laut und Ursula nahezu hörbar mit den Augen. Herr Wölpert knurrt zwischen den Lippen hervor: „Jetzt geht das schon wieder los.“

„Nein“, beharrt Frau Wölpert, „mein Bruder war ein Künstler und er hatte sich den Namen Charles de Hoquet gegeben.“

„Künstler! Wenn ich das schon höre!“, empört sich Ursula, „Nur weil der Onkel Max seit 20 Jahren an einer Stadtchronik von Proppendorf in Ostpreußen schrieb, ist der doch lange kein Künstler.“

„Immerhin hat er auch einen hübschen kleinen Gedichtband veröffentlicht“, wirft ihr Mann ein und erntet einen zornigen Blick dafür.

„Halt doch die Klappe, Karlheinz! Dieses stümperhafte Gestammel von Herz, Schmerz und wogenden, korngelben Feldern kann doch kein Mensch ertragen. Und Proppendorf gibt es sei Sechsundvierzig nicht mehr, das hieß dann Protzolezce und nachdem alle von dort fortgezogen sind, besteht es nur noch aus drei winzigen Häusern, in denen fast hundertjährige Leute wohnen, die den Schuss nicht gehört haben.“

„Wie redest Du über meinen Bruder?“, schimpft Frau Wölpert: „Seine schönen Reime haben uns immer viel Freude gemacht. Wenn ich nur an dieses eine Weihnachten denke, ja, wenn ich nur an dieses Weihnachten denke…“

Herr Wölpert seufzt und will den entgleisten Zug sozusagen wieder auf die Gleise setzen: „Können wir uns jetzt mal wieder um die Beerdigung von dem Alten kümmern?“

Auch sein Sohn ist diese von hohen Frauenstimmen ausgetragene Diskussion leid und tippt mit dem Finger auf den Sargkatalog: „Der hier sieht doch hübsch aus, schönes Holz, schlicht und ohne Gedöns und guckt mal, der kostet auch nicht so viel.“

Ohne auch nur hinzuschauen kräht Frau Wölpert: „Kommt gar nicht in Frage! Wenn der nicht aus Eiche ist, nein, wenn der nicht aus Eiche ist, dann kommt der für einen Charles de Hoquet nicht in Betracht. So ein Dichter hat was Besseres verdient.“

Der pensionierte Oberstudienrat schaut mich mit müde aussehenden Augen an und sagt: „Wäre der Bruder meiner Frau nicht durch den Verkauf eines Patentes in jungen Jahren zu einem großen Vermögen gekommen…, von seinem schriftstellerischen Schaffen jedenfalls hätte er nicht leben können.“

Ich nicke und versuche, die Anwesenden geistig wieder im gemeinsamen Thema zu versammeln: „Also, Sie haben eine Erdbestattung in einem Wahlgrab vorgesehen. Ein Wahlgrab möchten Sie obwohl es sonst niemanden gibt, der in dieses Grab für vier Personen mit hineinkommt, richtig? Und das möchten Sie, damit es immer wieder verlängert werden kann.“

„Mein Bruder darf nicht weg! Nein, mein Bruder sein Grab darf nicht weg! Da kommen in Jahrzehnten noch begeisterte Leser seiner Werke und werden vor dem Grab stehen und sagen: Ach, schau hier, da liegt der große Charles de Hoquet. Weg darf das nicht!“

„Okay, dann schauen wir jetzt doch mal nach dem Sarg, dann besprechen wir die Trauerfeier und den Rest.“

Ursula scharrt die ganze Zeit innerlich schon mit den Hufen, das ist mir nicht entgangen und nun bricht es aus ihr hervor: „Der irre Alte! Der hat nur Scheiße geschrieben! Was der zu Papier gebracht hat, wollte kein Mensch lesen. Alles nur Müll! In der Druckerei Besendorf hat er auf eigene Kosten fünfzig Exemplare seines Gedichtbands „Schamvolle Vollmondnächte“ drucken lassen. Und seine Gedichtsvorträge, die er immer auf allen Familienfeierlichkeiten zum Besten gegeben hat, sind sowas von zum Kotzen, dass das niemand ertragen hat. Die haben alle nur immer lieb und nett getan, weil Onkel Max Kohle hat. Fette Kohle. Der hat gelebt wie ein Eremit und allein von den Zinsen gelebt. Und jetzt sag‘ ich Ihnen was: Wir, also ich und der da, wir haben den Onkel zuletzt aufopferungsvoll betreut. Wir haben ihm ja alles abgenommen, wir haben jeden Weg für ihn gemacht und der brauchte nur zum Telefon zu greifen und schon war Karlheinz da! Da ist es ja wohl klar, dass uns auch das Erbe zusteht. Genau!“

Karlheinz schüttelt mit dem Kopf: „Du bist doch vorgestern gleich ins Haus vom Onkel und hast nach dem Testament gesucht, und weil es Dir nicht gepasst hat, was da drinsteht, wolltest Du es wegschmeissen.“

Herr Wölpert mischt sich ein: „Das hätte doch alle nur zum Schlechten für Euch geändert! Der Max hat alles seiner Schwester vermacht. So steht es in seinem Testament. Und Euch hat er 100.000 Euro zugedacht, das ist doch eine Menge Geld und ein sehr netter Zug von ihm, will ich meinen. Und wenn er gar kein Testament gemacht hätte, wäre sowieso alles an Ilse gegangen und ihr hättet gar nichts bekommen, so ist das nämlich mit der gesetzlichen Erbfolge.“

Ich tippe mit dem Kugelschreiber auf den Sargprospekt und sage: „Entweder jetzt hier aussuchen oder wir gehen nach nebenan in den Ausstellungsraum, aber ausgesucht wird jetzt, wir müssen ja mal voran kommen.“

„Wenn das keine Eiche ist, nein, wenn das keine Eiche ist…“

„Hier“, sage ich und blättere um: „alles Eiche.“

„Ach, der ist doch schön.“ „Nein, der ist zu groß.“ „Der ist zu hell.“ „Der ist zu dunkel.“ „Der ist es.“ „Kommt gar nicht in Frage.“ „Aber der hier!“
Zehn Minuten geht das so, dann hat man sich auf einen Buchensarg geeinigt. Soviel zum Thema ‚wenn das keine Eiche ist‘.

Um den Text der Traueranzeige entspinnt sich eine erneute Diskussion. Ilse will für ihren Dichterbruder am liebsten eine ganzseitige Anzeige in der Tageszeitung. Als sie hört, was das kostet, ist sie mit einer Viertelseite zufrieden. Natürlich steht nicht Brotzelkamp in der Annonce, sondern Charles de Hoquet. Und oben drüber müssen Verse aus der Feder des großen Lyrikers stehen:

Auf der Wiese des Lebens wird täglich geerntet.
Der Schnitter geht um und zieht seine Kreise.
So wie Ihr es von den Alten schon lerntet.
Der Himmel steht auf und ist immer weise.

Einladen möchte die Schwester des Verstorbenen ins Gasthaus „Zur letzten Träne“ und fragt: „Passen denn da auch 300 Leute für das Kaffeetrinken rein?“

Und wie aufs Stichwort kommt meine Angestellte Antonia herein und fragt: „Möchte jemand eine Tasse Kaffee?“

Herr Wölpert zeigt auf und bestellt: „Für mich schwarz bitte.“
Ursula möchte einen Latte macchiato mit Hafermilch, Frau Wölpert mag einen Cappuccino mit Sahnehäubchen aber laktosefrei und Karlheinz fragt, ob es auch Rüdesheimer Kaffee gibt.
Ich finde es ja ziemlich vorlaut, aber Antonia hat eigentlich Recht als sie mit allergrößter Freundlichkeit sagt: „Wenn Sie so etwas wollen und dass ich noch ihren Vornamen auf die Tassen schreibe, dann müssen Sie zu Starbucks gehen. Wir haben Kaffee, Milch und Zucker. Ach ja: Und Süßstoff. Und Espresso kann ich auch noch machen.“

Ich will mich gerade aufregen, weil Antonia so schnippisch ist, aber es gibt zwei Gründe, weshalb ich meinen Ärgerquotienten sogleich wieder herunterschraube:
Erstens kenne ich Antonia seit vielen Jahren, und wenn sie sich so benimmt, dann hat das seinen Grund. Und diese Leute waren vor unserem Gespräch eine ganze Weile mit Antonia in der Halle, sodass es gut möglich sein kann, dass die sich da schon so verhalten haben, dass das Antonias Ton jetzt rechtfertigen könnte. Zweitens fällt Ursula buchstäblich das Kinn herunter und ihr Mund versucht Wörter zu formen, es kommt aber nur ‚Hu, ha, ähm‘ heraus. Das alleine ist es wert.

Es reduziert sich dann urplötzlich alles auf vier Tassen Kaffee, Milch und Zucker.

„Und überhaupt, wo sollen denn die 300 Leute herkommen?“, will Karlheinz von seiner Mutter wissen.

„Na, der literarische Zirkel, seine Burschenschaft, die ganzen Kameraden und natürlich die vielen Leser und Leserinnen von überall her.“

Ursula tippt sich an die Stirn: „Du spinnst ja, Du gehörst in die Klapse. Jawoll, sieht das denn hier keiner, dass die Alte spinnt? Solche Personen sind erbunwürdig und gehören weggesperrt! 300 Leute, so’n Quatsch!“

Herr Wölpert räuspert sich, zeigt mit dem Zeigefinger auf seine Schwiegertochter und meint dann trocken: „Contenance, bitte!“

Frau Wölpert bleibt dabei: „Es werden bestimmt noch viel mehr kommen, aber wir können ja nicht jeden Verehrer und jede Verehrerin des literarischen Werkes meines Bruders zu Kaffee und Kuchen einladen. Wir brauchen die ganz große Trauerhalle auf dem Friedhof, da können ja alle hinkommen und zum Kaffeeschmaus nehmen wir nur die Wichtigsten mit.“

Ich kläre die Familie darüber auf, dass in die Trauerhalle bei bestem Willen nur 120 Leute reinpassen und der Rest eben draußen vor der Halle der Zeremonie am Lautsprecher folgen muss.
Außerdem biete die Gaststätte „Zur letzten Träne“ nur rund 60 Personen Platz, erwähne ich noch so nebenbei.

„Dann muss ein Video her, so eine Leinwand vor der Trauerhalle und ein Lautsprecher, damit die Leute auch vor der Halle etwas mitbekommen. Was meinen Sie, wer da alles kommt! Das muss übertragen werden“, verlangt Frau Wölpert und sie fügt noch hinzu: „Dann buchen Sie den Bürgersaal und der Wirt von der Träne soll dann Kaffee und Kuchen dorthin bringen.“

„Das wird teuer“, sage ich und will gerade in meinen Unterlagen nach Preisen aus der Vergangenheit suchen, als Frau Wölpert mit der flachen Hand auf den Tisch schlägt, sodass die Kaffeetassen scheppern: „Schluss jetzt! Mir reicht’s! Max, äh, Charles de Hoquet bekommt die Beerdigung, die er verdient hat, mit Video, mit Lautsprecher und mit Kaffeeschmaus im Bürgersaal! Wo muss ich unterschreiben?“

Es dauert weitere zwanzig Minuten bis ich grob alle Wünsche aufgelistet habe und Frau Büser im Vorzimmer alles getippt hat. Dann ordert Frau Wölpert mit den Worten: „Geld ist ja genug da“ das große Gesamtpaket mit Trallala und Futter für 300 Leute.
Herr Wölpert zuckt nur hilflos mit den Achseln, Karlheinz will noch was sagen, aber seine Mutter schaut ihn ernst an und er schweigt. Ursula sitzt seit geraumer Zeit schon mit verschränkten Armen und geschürzten Lippen da und starrt nach oben rechts an die Decke. Ihre Nasenflügel beben.

Der Veranstaltungstechniker will zwei große Fernseher aufstellen und zwei Lautsprecher. Mit den Mikrofonen und dem ganzen Drumherum soll sein Einsatz auf 1.870 Euro kommen.
Der Wirt von der „Letzten Träne“ fährt selbst noch einmal zum Ehepaar Wölpert und lässt sich den Auftrag für 300 Kuchengedecke nebst Catering bestätigen. 4.820 Euro.
Das Grab kaufen die Wölperts für 30 Jahren und bestellen bei der Gärtnergenossenschaft auch gleich die Grabpflege für die ganze Zeit, alles zusammen 11.200 Euro.
Für die Zeitungsanzeige und 300 „Trauerautogrammkarten“ gibt die Familie über 3.000 Euro aus.
Geradezu bescheiden nehmen sich da unsere Kosten aus, die sich alles in allem auf knapp 3.000 Euro belaufen.

Da alle Zulieferer uns die Rechnungen zur Weiterleitung schicken, sehe ich, dass mit Blumen und Zinnober gut 25.000 Euro für diese Beerdigung ausgegeben werden sollen.

Der Tag der Beerdigung ist gekommen. Es nieselt. Der Veranstaltungstechniker lässt die wetterfesten Schutzhauben über seinen Fernsehern und Lautsprechern: Vor der Halle ist niemand, der da zuschauen oder zuhören möchte.
In der Halle sitzt die erste Reihe brechend voll: Ilse, Herr Wölpert, Ursula und Karlheinz. Sonst sind noch acht andere Personen gekommen, aber die sehen so aus, als würden sie sich nur in der Trauerhalle vor dem Nieselregen schützen wollen.

Es wird wie wild georgelt, der Techniker muss noch Lieblingslieder des Verstorbenen abspielen und der freie Trauerredner liest eines der Gedichte von Charles de Hoquet vor. Es ist nicht nur grauenvoll, es ätzt einem förmlich Synapsen aus dem Hirn.

Zwei Wochen später kommt Ursula, um die gesamten Rechnungen zu bezahlen. Sie hat über 30.000 Euro in bar in einem Umschlag dabei. Das verblüfft mich und sie merkt das. „Ich will den Quatsch nicht bezahlen, aber ich mache es.“
Ich erkundige mich, weshalb nicht ihre Schwiegermutter gekommen ist. Sie grinst, aber nur ganz kurz, dann macht sie wieder spitze Lippen und sagt: „Das hat sich alles ganz wunderbar gefügt, ganz wunderbar.“

Antonia kommt herein: „Darf’s ein Tässchen Kaffee sein?“

Ursula erstarrt und spitzzüngelt: „Wenn in meiner Gegenwart noch einmal jemand die Worte Kaffee oder Kuchen erwähnt, flippe ich aus! Ich flippe aus!“

Ich kenne den Grund, weshalb sie so reagiert. Nachdem im Bürgersaal niemand erschienen war, selbst die Wölperts nicht, hatte der Tränenwirt rund 500 Stücke Kuchen und vermutlich ein paar Hektoliter Kaffee zur Wölpert’schen Wohnadresse bringen lassen.

Ich lasse die Frau unsere Rechnung bezahlen und gebe ich eine Kostenaufstellung, die ganzen Rechnungen und bitte sie, das direkt an die anderen zu überweisen.

Soweit ich das erfahren habe, hat sie das auch anstandslos alles erledigt. Mich hätte aber doch zu sehr interessiert, wie und warum sich alles für sie so ganz wunderbar gefügt hat.

Bildquellen:
  • woelpert: Peter Wilhelm KI


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 21 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 18. Oktober 2024

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