Wenn jemand stirbt, kommt man um die Beauftragung eines Bestatters nur schwer herum. Dass Beerdigungsinstitute ihre Dienste nicht gerade zu Schleuderpreisen anbieten, ist weithin bekannt.
Klug handelt derjenige, der auch im Trauerfall Preise vergleicht und von vornherein mit offenen Karten spielt, was seine finanziellen Möglichkeiten und seine Bereitschaft, etwas auszugeben, anbetrifft.
Ein guter Bestatter nimmt nämlich auch Aufträge mit, die keinen großen Gewinn versprechen. Er muss es halt nur wissen, sonst tut er das, was alle guten Kaufleute tun: Er versucht seine Dienste und Waren so an den Mann oder die Frau zu bringen, dass ein möglichst großer Gewinn dabei herausspringt.
Das ist überhaupt nichts Verwerfliches. Wenn man eine Hochzeit plant und mit der Aussage „Geld spielt keine Rolle“ einen Wedding-Planer beauftragt, wird auch der ordentlich was zusammenstellen, was dann ganz schön ins Geld gehen kann.
„Butter bei die Fische“ ist also die Devise, wenn es darum geht, dem Bestatter zu sagen, wie viel man auszugeben bereit ist.
Frau Kürschner kam zu uns ins Bestattungshaus, um ihren Herrn Großvater beerdigen zu lassen. Der 81-jährige ehemalige Betriebsdirektor war sanft eingeschlafen. Der sparsame Witwer hatte ein schönes Vermögen zusammengespart, das eigentlich zur Begleichung selbst einer hohen Bestattungsrechnung ausreichend gewesen wäre.
Das alles erzählte Frau Kürschner auch beim Beratungsgespräch. Beim Aussuchen des Sarges schlug ich ihr einen sehr schönen Sarg aus Pappelsperrholz vor, der in einer sehr edel wirkenden Mahagonioptik verarbeitet war.
Solche Särge sehen nach mehr aus, als sie sind. Aber für eine Einäscherung sind sie vollkommen ausreichend und, wie ich finde und bereits sagte, sehr schön.
Die 32-jährige Frau empfand den Vorschlag aber als Zumutung. „So einen billigen Scheiß wollen wir nicht. Mein Großvater war Betriebsdirektor. Wenn da die Abordnung vom Werk kommt, soll was Schönes da vorne stehen und nicht so eine Apfelsinenkiste für 799 Euro. Haben Sie nicht was anderes?“
Hatte ich nicht gerade gesagt, dass der von mir empfohlene Sarg wirklich sehr schön aussieht?
Deshalb traf mich die Bezeichnung Apfelsinenkiste ein bißchen ins Mark.
1.499 Euro für einen Sarg aus Nadelholz, antik Eiche gebeizt mit umlaufender Schnitzung und Deckelkreuz.
Bei der Auswahl der Sargdekoration, bestehend aus Kissen, Innenausschlag, Matratze und Decke, durfte ich mir anhören: „Was geht Sie das denn bitteschön an, ob der Sarg geschlossen bleibt? Ich weiß ja schließlich, in was mein Opa gebettet wird, und da möchte ich nicht nachts mit der Vorstellung wachliegen, dass Sie dem nur so Sozialhilfelumpen mitgeben wollen.“
299 Euro für eine Herrensargausstattung in grauer Atlas-Seide, Mäandermuster gesteppt, mit passendem Talar.
„In so ein schmales Hartz-IV-Grab kommt mein Vater nicht rein. Das ist doch wohl eher was für die, die vom Amt und meinen Steuern leben. Es gibt doch solche breiten Gräber, wo auch ein ordentlicher Grabstein draufkommt.“
Ich erkläre der Frau, dass sie von einem Familiengrab spricht, in das dann mehrere Personen in Särgen beigesetzt werden können. Für eine einzelne Urne sei das doch viel zu üppig und würde übers Ziel hinausschießen.
„Das lassen Sie doch mal meine Sorge sein, Sie müssen es ja nicht bezahlen.“
3.980 Euro, zahlbar an die Stadtverwaltung, zuzüglich Grundgebühr der Stadt in Höhe von 1.922 Euro, Gesamtkosten mit Halle und Dekoration 5.223 Euro.
Die Frau war mir anfangs gar nicht so unsympathisch gewesen, wurde es aber im Laufe des Beratungsgesprächs immer mehr. Ich fühlte mich angegriffen und war etwas beleidigt. Da sagt man den Bestattern so alles Mögliche nach, und Du versuchst, vernünftig und kostenorientiert zu beraten. Und dann kommt diese (Entschuldigung) dumme Pute und stellt Dich hin, als habest Du keine Ahnung von dem, was Du tust und sagst.
Auf jeden Fall war es nicht meine Schuld, dass am Ende dieses Vormittags ein vorläufiger Rechnungsbetrag von 17.290 Euro auf dem Zettel stand. Allein für den Grabstein hatte sie mal eben 8.000 Euro ausgegeben. Hinzu kamen unsere Kosten, allein schon Blumen für über 1.200 Euro und eine große Zeitungsanzeige, Hallendekoration, Tenöre und ein großes, auf Leinwand gedrucktes Portrait des Verstorbenen.
„Ich bin froh, dass ich das alles hier gleich aussuchen kann, und nirgendwo sonst noch hin muss. Diese Lauferei kann ich mir zeitlich nicht erlauben.“
So, die Trauerfeier ging ordentlich und sehr feierlich vonstatten. Die zwei Tenöre vom Männergesangsverein Eintracht 1888 leisteten ganze Arbeit. Die Dekoration der Trauerhalle war wunderschön gestaltet worden, und überhaupt hätte alles den Trauergästen sehr gut gefallen können, wenn denn welche gekommen wären.
Na ja, so ganz ohne Trauergesellschaft ist der Großvater nicht gefeiert worden, seine Enkelin, ihr Gatte und zwei kleine Mädchen waren gekommen.
Von den erwarteten Arbeitskollegen und Betriebsangehörigen war schon allein deshalb keiner erschienen, weil die selbst alle schon tot waren. Bei über 80-jährigen Verstorbenen keine Seltenheit.
14 Tage später hatte Frau Kürschner unsere Rechnung erhalten. Anders als sonst hatte ich nur unsere Kosten und die Zeitungsanzeige, sowie die Blumen mit aufgenommen. Steinmetz, Stadtverwaltung und alle anderen habe ich eigene Rechnungen schicken lassen. Das machen wir manchmal so, damit bei so vielen Zusatzkosten, von denen wir nichts haben, es am Ende nicht heißt, unsere Rechnung sei so furchtbar hoch gewesen. Die Leute unterscheiden dann nämlich nicht mehr, was unsere Kosten sind und was nur als durchlaufende Posten von uns ausgelegt worden ist.
Außerdem muss ich dann nicht für irgendwelche Fremdkosten, und sei es nur vorübergehend, einstehen, falls die Kunden nachher anfangen zu spinnen.
Und die fing an zu spinnen.
Erste Tendenzen nahm ich am Tag, nachdem sie die Rechnung bekommen hatte, wahr.
Am Telefon raunzte sie mich an, in der Zeitungsanzeige habe eine falsche Uhrzeit gestanden, und nur deshalb seien so wenig Leute gekommen.
Dort stand aber völlig richtig 10.15 Uhr. „Die Trauerfeier findet am Donnerstag, dem 21.10.20xx um 10.15 Uhr auf dem Ostfriedhof statt.“
„Das hätten Sie richtig schreiben müssen, nämlich viertel elf.“
„Wie bitte?“
„Als erfahrener Bestatter hätten Sie berücksichtigen müssen, dass es in Süddeutschland üblich ist Viertel elf zu sagen statt Viertel nach 10.“
„Niemand hat Viertel nach zehn gesagt, in der Anzeige steht 10.15 Uhr und das kann dann jeder so aussprechen, wie er will.“
„Wissen Sie was? Ich übergebe das jetzt meinem Rechtsbeistand. Sie hören von mir.“
Eine Woche später steht Frau Kürschner bei mir im Büro. Ich biete ihr einen Platz an, und sie erklärt mir: „Sie wissen ja, dass wir in einem schwebenden Verfahren sind. Das wird ein Gericht klären müssen, wie viel ich am Ende von ihrer Wahnsinnsrechnung überhaupt bezahlen muss. Wenn da das Schmerzensgeld gegengerechnet wird, bleibt wohl kaum was für Sie über.“
„Was denn für Schmerzensgeld?“
„Weil ich mich so aufgeregt habe. Ich bin nämlich sehr schwer belastet, das wird das Gericht auch anerkennen, ich habe nämlich ein Kann-Kind, um das ich mich kümmern muss.“
Ach Gott, die arme Frau, sie hat ein krankes Kind, womöglich mit einer lebenslangen Behinderung. Das tut mir natürlich in diesem Moment leid, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass sie meine Rechnung bezahlen muss.
Als sie wieder weg ist, gehe ich rüber zu Frau Büser, Antonia und Sandy. Ich frage sie, ob sie nicht wissen, was ein Kann-Kind für eine Krankheit hat.
Frau Büser legt den Stift weg, sieht mich an, als hätte ich gerade gefragt, ob die Erde tatsächlich rund ist, und sagt trocken: „Ach Chef, … ein Kann-Kind. Das ist keine Krankheit. Das ist kein Syndrom. Da müssen Sie keine Spendenaktion starten.“
Sie lacht und genießt meine Ahnungslosigkeit. „Ein Kann-Kind ist einfach ein Kind, das kann, aber nicht muss. Das sind Kinder, die um den 3. Oktober herum geboren worden sind und bei denen gewählt werden kann, ob sie schon mit fünf Jahren oder erst ein Jahr später mit sechs eingeschult werden. Wenn die Eltern meinen, es sei ein Wunderkind, das schon mit fünf den Sinn des Lebens begriffen hat, können sie es also ein Jahr früher zur Schule schicken. Oder weil die Mutter gern erzählen möchte, dass ihr Kleines dem Rest der Welt um ein Jahr intellektuell voraus ist.“
Sie macht eine bedeutungsvolle Pause.
„Es ist also im Grunde ein völlig normales Kind. Nur eben mit sehr ambitionierten Eltern.“
Antonia kichert. Sandy rollt mit den Augen.
Frau Büser fährt fort: „Das Einzige, was ein Kann-Kind wirklich hat, ist ein erhöhtes Risiko, dass seine Mutter es als Druckmittel benutzt. Beispielsweise, um Rechnungen nicht zu bezahlen oder Schmerzensgeld zu fordern, weil sie sich beim Denken übernommen hat.“
Jetzt lächelt sie mich warm an – dieses typische Frau-Büser-Lächeln, das gleichzeitig tröstet und spottet. „Keine Sorge, Chef, so ein Kann-Kind ist nicht gefährlich. Höchstens für Ihre Nerven.“
Die Rechnung hat die Mutter des Wunderkindes aber trotzdem nicht freiwillig bezahlt. Wir mussten einen Mahnbescheid und später sogar einen Vollstreckungsbescheid beantragen. Erst als der Gerichtsvollzieher bei Frau Kürschner war, hat sie an ihn die volle Summe überwiesen, zuzüglich der Vollstreckungskosten.
Bildquellen:
- kann-kind: Peter Wilhelm ki
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Echt jetzt? Ein Kann-Kind? Sowas gibt es? Man lernt nicht aus…
Ja, bei den Kosten für eine Bestattung kann man schon Schnappatmung bekommen. Deshalb hatten meine Eltern und ich jetzt auch, das alles schon zu Lebzeiten geregelt. Macht es für alle Beteiligten viel einfacher.
Was soll man dazu sagen?
Wie lange liegt der Opa auf edlem Zwirn? Und ein doppelbreites Grab für 1 Urne? Teurer Sarg zum „verheizen“?
Alles ok, jeder wie er will, kostet halt unterschiedlich.