Menschen

Shangri-La

Horst ist weg, Lena hat gewonnen, der Lead-Sänger der Temptations ist gestorben und in meinem Büro sitzt eine bunte Mischung aus allen Dreien.
Gut, von Mr. Woodson hat Eleonore Dürr nicht so arg viel, dafür ist sie aber, so wie ihr Name es schon andeutet, so schlank wie Lena und hat die Physiognomie des gescheiterten geschiedenen Bundespräsidenten.
Ich sag‘ jetzt mal nicht, daß sie häßlich ist, das kann man wirklich nicht sagen, das wäre auch geschmeichelt.
Elli, so nennt sie eigentlich jeder, nur ich nicht, ich bevorzuge es, ihren Namen extensiv auszukauen und stets deutlich auf dem zweiten „o“ zu betonen, einfach so, weil es mir Spaß macht, also, Elli-Eleonooore ist Bestatterin, hat ein kleines Institut namens „Abschiedshaus Shangri-La, vormals Pietät Himmelsfrieden A. Meyer“ und schlägt sich mehr schlecht als recht durch den Dschungel des Bestattungsgewerbes.

Im Grunde genommen ist Eleonore eine ganz Nette, sie gehört zu den Menschen, die immer gute Laune haben und ganz arg höflich und bemüht sind. Deshalb helfe ich ihr auch gerne und Eleonore braucht immer Hilfe, immer.
Mal ist ihr altersschwacher Bestattungswagen kaputt, mal fehlt es ihr an einem passenden Sarg, mal sind ihr die Kerzen, die Leuchter, die Lorbeerbäumchen oder die Kunden ausgegangen.
Ganz besonders häufig fehlt es ihr an geeignetem Personal, weshalb Manni und Kollegen in der letzten Zeit beinahe den kompletten Überführungs- und Fahrdienst für Shangri-La übernommen haben.

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Insgesamt schuldet Eleonore uns dafür einen beinahe fünfstelligen Betrag, aber immerhin zahlt sie heute vierstellig an, der Rest komme dann ganz bald, versprochen, ehrlich.
Solche Kooperationen gibt es im Bestattungsgewerbe immer mal wieder, sie sind aber dennoch eher selten, in der Regel gönnt man dem anderen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.
Dabei könnte vieles einfacher und rationeller gestaltet werden, etwa wenn man einen gemeinsamen Bereitschaftsdienst im Bereich Telefon und Fahrdienst unterhalten würde.
So stehen bei angenommenen sechs Instituten in einer Stadt auch sechs Fahrzeuge, sechs Mannschaften und sechs Telefon- und Beratungsbereite rund um die Uhr bereit, obwohl es in den meisten Fällen ausreichen würde, wenn es eine zentrale Rufnummer, eine zentrale Leichenaufbewahrung und einen gemeinsamen Fuhrpark gäbe.

Aber keiner traut dem anderen (was zu), kaum einer will auf sein Statussymbol, den dicken Benz-Leichenwagen, verzichten und jeder hat Angst, die anderen könnten das bessere Geschäft machen…

Bei Eleonore brauche ich in dieser Hinsicht zumindest keine Angst haben, sie führt nämlich alternative Bestattungen durch, für die sich offen gestanden nur eine ganz besondere Klientel interessiert.
So gehört es bei „Shangi-La“ unabdingbar dazu, daß ein alter Schwarzwälder Rutengänger, den es vor Jahren in unsere Gegend verschlagen hat -und zwar vor so vielen Jahren, da hat Wim Thoelke noch gelebt-, die vorgesehene Grabstelle mit seiner Rute untersucht.
Ganz genau habe ich nicht verstanden, welche Kriterien nun dafür ausschlaggebend sind, ob ein Grab geeignet ist, denn Eleonores Antworten sind da wachsweich. Mal sind es Erdverwerfungen, mal sind es Wasseradern und mal Kreuzlinien oder Energiefelder. Ich will ja nix behaupten, aber mir kommt das so vor, als ob man da schon ganz arg dran glauben muß und eigentlich alles reiner Zufall ist.
Aber bitte, es mag ja Sachen geben, die ich aufgrund meiner pragmatischen Veranlagung nicht besonders gut verstehe und die alte Schwarzwälder mit Wünschelruten aufspüren können.

Jedenfalls muß jedes Grab „gerutet“ werden und ich kassiere einen sehr vorwurfsvollen Blick als ich Eleonore frage, ob es nicht schon einen drahtlosen WLAN-Ruter gäbe, dann müsse der alte Mann nicht immer bei nasskaltem Wetter mit seiner kleinen Astgabel nach draußen…

Die Traueransprachen hält bei Shangi-La grundsätzlich eine pensionierte Bibliothekarin aus Göttingen, die auf ihr reine Hochdeutsch besonders stolz ist und alles sehr akzentuiert und manchmal etwas überbetont ausspricht.
Sie trägt bei ihren Ansprachen eine lange graue Robe, die sie sehr würdig erscheinen lässt. Hebt sie die Arme, um die Allmacht anzuflehen, sieht man wie weit die Ärmel geschnitten sind und es wirkt fast, als würde sie ihre Flügel ausbreiten und gleich abheben – wären da nicht die Birkenstocksandalen, die beim Armeheben immer sichtbar werden, in denen sie barfüßig steckt, die sie auf wundersame Weise erden und am Wegfliegen hindern.

Das Wasser für die Leichenreinigung strudelt Eleonore mit einem fast schon magischen Apparat. Man füllt da einige Liter ganz normales Leitungswasser ein, dann muß man eine Kurbel drehen und das Wasser wird in eine strudelnde, rotierende Bewegung versetzt, die dann immer mehr gesteigert wird.
Solchermaßen gedrehtes Wasser habe dann eine ganz enorme und natürlich besonders gut Wirkung auf alles mögliche, sogar auf Leichen.
Trinken tut Eleonore dieses Wasser allerdings nicht, dafür hat sie eine Osmoseanlage in ihrer Küche eingebaut, die dem Leitungswasser noch bevor es dem Wasserhahn entfliehen kann durch membrale Wirkung so ziemlich alles entzieht, was nicht ins Wasser hineingehört und vermutlich nebenbei auch alles entfernt, was eigentlich doch ins Wasser gehört. So ganz genau weiß ich das nicht, mir ist jedoch aufgefallen, daß Eleonore krummer und knochiger geworden ist, seit sie vor drei Jahren damit angefangen hat, sich quasi ausschließlich von diesem Wasser zu ernähren. Doch halt, sie ißt natürlich auch richtige Sachen, Tofu zum Beispiel und eine Paste aus Gemüse, die wie Teewurst schmecken soll und die man ohne Butter auf Reisplätzchen schmiert. Davon hat mir Elli mal eins angeboten und ich muß offen eingestehen, daß das gar nicht so schlecht geschmeckt hat. Zumindest habe ich jetzt eine vage Vorstellung davon, wie diverse Isolierbaustoffe schmecken könnten und kann leider immer noch nicht verstehen, warum Eleonore ausgerechnet darauf hinarbeitet, eines Tages wiedergeboren zu werden.

Also wenn schon Wiedergeburt, dann als Pascha von Sangiristan und nicht als Styroporfresser, oder?

Gut, ich fange an, Eleonores Bemühungen um ihr eigenes Wohl und das ihrer Kunden, etwas ins Lächerliche zu ziehen; obwohl ich es ja nur schildere. Aber ich muß zu meiner Verteidigung sagen, daß ich meine diversen Bedenken bezüglich ihrer wundersamen Methoden und deren vermeintlicher Wirkung, auch immer mit Eleonore bespreche und keinen Hehl daraus mache, daß ich vieles davon nicht verstehe und eher etwas belustigend finde.
Elli kann damit leben, hat keinen missionarischen Eifer, was ich sehr schätze und erklärt mir dann stets geduldig den feinstofflichen Bereich. Tja, leider bin ich zu grobstofflich, ich weiß -trotz aller intellektueller Bemühungen- meistens gar nicht, was sie von mir will, was sie mir da erklärt und wie das alles zusammenhängt.
Vermutlich ist ein umfangreiches Spezialwissen eine der Voraussetzungen, um das alles verstehen zu können.

So spielt zum Beispiel die Stellung des Mondes bei allem was Eleonore tut, eine ganz besondere Rolle. Bei bestimmten Mondstellungenn darf beispielsweise die Scholle nicht gewendet werden. Natürlich ist hier nicht von Plattfischen, sondern von der Erdkrume die Rede. Steht also der Mond ungünstig, darf ein Grab nicht ausgehoben werden.

Man kann sich vorstellen, daß die Männer auf dem Friedhof der guten Eleonore schon des öfteren einen Vogel gezeigt haben. Aber Elli nimmt das in ihrer gutgelaunten Art nicht persönlich und schafft es immer wieder, die Friedhofsleute dazu zu bewegen, es so zu machen, wie sie und der Mond es haben wollen.
Vielleicht droht sie ihnen ja mit ihrem gedrehten Wasser oder den Tofu-Reistalern, wer weiß?

Manche Kollegen schauen mich merkwürdig an, weil ich mit Eleonore zusammenarbeite und einer hat mich mal in die gleiche Ecke gestellt und gemeint, wir wären ja auch so ein „Pyramidenhaufen“; das stimmt aber nicht. Ich kann mit Ellis Ideenwelt nichts anfangen, aber ohne sie wäre mein Leben einfach ärmer.

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(©si)