Menschen

So!

Halt! Ich muß da mal kurz die Wogen glätten. Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen Niemand hat die Absicht, mich zu verklagen oder einzusperren.

Ich will noch einmal kurz zusammenfassen:

Da hat also jemand über viele Jahre eine kranke Mutter gepflegt und diese Mutter ist inzwischen schon lange tot.
Über diesen Schicksalsschlag ist man nicht hinweggekommen und ist hinsichtlich diverser Vorkommnisse -sagen wir es mal vorsichtig- etwas verbohrt. Dazu gehört zum Beispiel, daß man für die damals Verstorbene ein anonymes Grab erworben hat, nun aber nicht einsehen will, daß die Behörden dort keinen Blumenschmuck und keine aufgestellten Devotionalien gestatten.
Aus solchen und ähnlichen Geschichten entwickelt man nun für sich selbst eine Situation, die einen glauben lässt, man sei schwer vom Schicksal geschlagen, statt zu erkennen, daß man sich im Grunde nur selbst im Wege steht.

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Solche Schicksale habe ich schon ganz oft miterleben müssen.
Ich denke an den Mann, der sich vor vielen Jahren in seinem Kleingarten verbarrikadiert hat und monatelang selbstgemalte Transparente an Bohnenstangen aufhängte „Mörder! Staatsterror! Behördenwillkür“, weil ihm jemand wegen einer nicht bezahlten Wasserrechnung die Wasserversorgung abgestellt hatte. 40-seitige Telegramme an den Papst und Franz-Josef Strauß sollten ihm die erhoffte Rettung bringen, Gnadengesuche an die Staatsoberhäupter nahezu aller zivilisierter Nationen sollten ihm internationalen Rückhalt bieten…

Es gab da auch noch die Frau, die sich seit 1966 (!), als ihr Mann sie verlassen hat, von der Gestapo verfolgt fühlte und glaubte, im Praktizieren einer übersteigerten katholischen Frömmigkeit einen Ausweg zu finden. Beinahe wöchentlich mußte sie vom Dach irgendeines öffentlichen Gebäudes geklaubt werden, weil sie dort stundenlang ausharrte, erst alle Leute kirre machte und sich dann immer bereitwillig retten und einweisen ließ. Der „Herr“ habe ihr befohlen zu „fliegen“.

Egal ob die hier in Rede stehende Person nun in dieses Schema passt oder nicht, sie hat in einem Kommentar hier im Bestatterweblog von sich aus die Öffentlichkeit gesucht, wie sie es offenbar auf vielen Seiten getan hat und tut.
Nur ist das Bestatterweblog kein Forum für solche Problematiken.
Das Bestatterweblog ist mein Problembewältigungsforum, wenn überhaupt.
Das heißt, ich arbeite hier selbst das Erlebte ab, ich leiste aber auch -und das in einem für den durchschnittlichen Leser nicht zu ermessenden Umfang- Hilfe bei Problemen rund um das Thema Tod, Trauer und Bestattung.

Ich habe mir in meinem Leben so viele Schicksalsgeschichten anhören müssen, daß ich heute an einem Punkt bin, daß ich mir nicht mehr jede Geschichte anhören will, weil ich zu der Erkenntnis gekommen bin, daß es Menschen gibt, die nur immer wieder ihr Schicksal erzählen wollen, aber jeglichen Rat und jegliche Hilfe verweigern.
Ich sitze dann manchmal da und in mir brodeln die Ideen und der Gedanke, wie leicht das Problem doch zu beheben wäre, muß aber einsehen, daß bei diesen Leuten das Problem an sich der einzige Lebensinhalt geworden ist.
Schade drum, denn auch diese Leute haben nur etwa 80 Jahre auf dieser Welt, aber ich will mir meine vielleicht 80 Jahre nicht mit ihrem Dauerproblem verknappen lassen.

Also halte ich solche Leute üblicherweise aus dem Bestatterweblog raus. Kommentare von solchen Menschen, immer getarnt als angeblicher Hilferuf oder ein Gesuch um Rat, dienen letztlich nur dazu, mehr Aufmerksamkeit zu erlangen, wodurch sie sich in ihrer Märtyrerrolle bestärkt fühlen.

Und wieder also: Also habe ich den hier tätigen Kommentarredakteur den Kommentar der „Engelsburg“ auch nicht freischalten lassen.
Das allerdings rief die Verfasserin auf den Plan, die mich dann angerufen hat und sich über das Nichterscheinen des Kommentars beklagte. Hastig, fast ohne Luft zu holen (wohl merkend, daß ich wohl höflich zuhöre, ihr aber nicht lange genug zuhören würde) schilderte sie mir ihre Situation. Sie erzählte z.B. von einer über 80jährigen Nachbarin, die an ihre Tür klopfe, wenn sie nach 22 Uhr noch Klavier spiele und davon, daß die Polizei damit drohe, ihr das Klavier irgendwann mal wegzunehmen…
Ein wahrlich schweres Schicksal. Leute, ich bin es müde, sowas zu hören, ehrlich.

Dennoch besprach ich ausgiebig mit der Betroffenen, daß ich ausnahmsweise bereit sei, den Kommentar nun als eigenständigen Artikel ins Weblog zu stellen. Und zwar genau aus diesem Grund:
-Ich kann Ihnen nicht helfen.
-Ich mag Ihnen darüberhinaus nicht helfen.
-Vielleicht gibt es da draußen jemanden, der das kann und der das mag.

Ich wies sie eindringlich darauf hin, daß es mit Sicherheit Leute geben wird, die hämisch, zynisch und oberflächlich reagieren, daß es aber auch Menschen geben wird, die sich ihre ganzen langen Sachen durchlesen werden und eventuell Kontakt aufnehmen, um sich ihre Geschichte anzuhören.

Das war dann alles. So hat sie es gewollt und so habe ich es gemacht.
Es kamen dann auch Kommentare und die waren, genau wie ich es vorhergesehen hatte, aus beiden Lagern.
Die einen schrieben „Spinnerin“, die anderen „arme Frau“…

Und dann ging das hier los (Auszug auf dem Posteingang allein in dieser Nacht):

Auszug aus der Telefonliste:

Auf so eine Dauerberieselung habe ich auch keine Lust, wirklich nicht.

Auf den Inhalt der Mails will ich gar nicht näher eingehen…

Nun haben sich aber einige so in die langen Texte der Betroffenen vertieft, daß sie eine Gefährdung herauszulesen meinten. Daraus resultierte eine Online-Meldung an die Polizei, man möge sich um die Betroffene mal kümmern, es könne u.U. auch Suizidgefahr bestehen…
Als Beleg dafür führte man fälschlicherweise den Engelsburg-Artikel in meinem Weblog und nicht die Seiten der Betroffenen an. Das wiederum führte dazu, daß man der Auffassung war, ausgerechnet ich wäre der Anlass dafür, daß er der Frau so schlecht geht.
Gut, das konnte ich ausräumen, aber einen Schrecken hat mit das dann doch eingejagt.

Deshalb war meine erste Reaktion, daß ich solche Artikel in Zukunft nie wieder hierhin übernehmen werde und es bestärkt mich darin, daß ich gut daran tue, einen Kommentarredakteur über alle Kommentare schauen zu lassen.
Wenn alles stehen bleiben würde oder alles veröffentlicht würde, was da so im Filter hängen bleibt, es würden Euch Augen und Ohren übergehen!

Es ist dieses ganze Geschehen für mich auch der Beweis dafür, daß ich es vollkommen richtig mache, daß ich Erlebnisse aus der Vergangenheit und aktuelle Informationen in den Zuckerguss der anonymisierten Erzählform packe. So kann niemals einer der Betroffenen ähnlich reagieren, wie die Dame in diesem Fall hier.

Ich wollte nur helfen, mehr nicht. Der Schuss ist nach hinten losgegangen, was mir eine Lehre sein wird.
Mea culpa, mea maxima culpa.

Aber abgesehen davon, daß man mir jetzt wieder einmal einen Tag geklaut hat, den ich wahrlich für wichtigere Dinge hätte gebrauchen können, muß ich sagen, daß mich die vielen Solidaritätserklärungen sehr motiviert haben.
Im allerersten Moment wollte ich tatsächlich den ganzen Mist hinwerfen. Da müht man sich, da versucht man durch ganz viel Arbeit was Vernünftiges auf die Beine zu stellen und hofft, daß das den Menschen Freude macht und man vielleicht ein paar Euro fürs Hobby dazuverdient und dann scheißt einem da jemand rasant mal auf den Teller schießt einer da übers Ziel hinaus und verdirbt einem den Spaß.

So, aber nun ist das verraucht und ich lasse mich nicht weiter verdrießen. Die andere Leitung des Telefons steht nicht still, ich werde also noch eine Weile was tun müssen.
Morgen geht’s wie gewohnt weiter.

Danke für alles!

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(©si)