In meiner Familie gibt es recht schwierige Verhältnisse.
Mein Vater hat sich vor vielen Jahren von meiner Mutter getrennt und in der Folge den Kontakt zu gesamten restlichen Familie abgebrochen.
Nun ist ein Verwandter gestorben, zu dem mein Vater früher immer ein sehr enges, fast Vater-Sohn-, Verhältnis hatte.
Vor dem Tod dieses Verwandten hat sich ein anderes Familienmitglied in dessen Vertrauen geschlichen und dessen Werte „in Sicherheit gebracht“.
In den Augen der restlichen Familie gilt dieses Familienmitglied als Erbschleicher.Nun ist also der Verwandte gestorben und ich stehe vor der Entscheidung, ob ich zu der Beerdigung hingehen soll oder nicht.
Ich begreife Beerdigungen als Veranstaltungen, die den Angehörigen helfen sollen. Ich fühle mich schuldig, nicht selbst mehr getan zu haben und würde mich gern wenigstens richtig verabschieden. Zumal ich seit Tagen durch meine Wohnung tigere und über selbstgemachte Abschiedsrituale nachdenke. Auf der anderen Seite werde ich auf der Beerdigung meinen Vater und den Erbschleicher treffen und glaube nicht, dass ich mich auf die Trauer und den Abschied einlassen kann. Die Trauerfeier erscheint mir überhaupt nicht der richtige Rahmen für so eine Konfrontation zu sein. Ich befürchte aber auch, dass mir der Abschluss zu diesem Kapitel Familiengeschichte fehlen würde, wenn ich nicht hingehe. Haben Sie einen Rat, welche von beiden die bessere Entscheidung sein könnte?
Aufrichtigen Dank und liebe Grüße
Sehr oft hatte ich es mit dieser Situation zu tun.
Ich kann gar nicht zählen, wie oft Familien bei mir waren, die sagten, dieser oder jener Verwandte habe auf der Beerdigung nicht zu suchen.
Dann wiederum hatte ich immer wieder Besuch von Angehörigen, die mit dem Verstorbenen oder der übrigen Familie in Streit lebten.
Auch kamen Menschen zu mir, die einfach den Kontakt verloren hatten und nun unsicher waren, wie sie sich verhalten sollen.
All diesen Menschen gebe ich immer folgenden Rat:
Es ist vielleicht nur eine romantische Verklärung der Geschichte, wenn heute erzählt wird, daß in den Kriegen an Heiligabend auf beiden Seiten die Waffen schwiegen und die gegnerischen Soldaten gemeinsam den Klängen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ lauschten.
Aber egal: Es ist dies doch ein Zeichen dafür, daß es Situationen gibt, wo man besser Zwietracht, Streit und Konflikte außen vor läßt und sich auf das Wesentliche konzentriert.
Und das Wesentliche bei einer Beerdigung und Trauerfeier ist die Abschiednahme von einem lieben, verstorbenen Menschen.
Da müssen dann eben auch einmal die innerfamiliären Waffen schweigen.
Die einen müssen es ertragen, daß der andere kommt und der der hingeht, der muß es ertragen können, daß auch die anderen da sind.
In einem solchen Moment steht, vielleicht zum letzten Mal, der Verstorbene im Mittelpunkt.
Ganz konsequent sollte man es vermeiden sich nebenbei in ein Gespräch verwickeln zu lassen, das die alten Wunden aufreißen könnte. Kurz und freundlich sagen: „Das ist heute nicht das Thema, heute sind wir wegen Onkel Franz hier.“
Man muß ja in der Trauerhalle nicht direkt nebeneinander sitzen und kann sich ja auch sonst weitestgehend aus dem Weg gehen.
Wenn man sich daran hält und sich bewußt macht, um was es geht, dann bekommt man zumeist auch die richtige innere Einstellung, um trotz der widrigen Umstände seine Trauer ausleben und Abschied nehmen zu können.
Bild: © Peter Hebgen / pi xelio.de
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Ich möchte mich Tom seinem Rat anschliesssen.
LG Mona
Ist zwar etwas off-topic, aber: ich bin erstaunt, dass ich das Bild oben kenne. Das ist eine Bronze-Skulptur von streitende Gôgen im Lammhof in Tübingen. Kurze Erklärung: Gôgen sind die einfachen Schwaben, die in der Unterstadt in Tübingen wohnten. Handwerker, Winzer, Bauern, etc..
Ob die besonders streitwütig sind? Auf’n Mund gefallen sind ’se auf jeden Fall nicht . . .
wo in Tübingen stehen die? Oder lauf ich mal wieder mit Tomaten auf den Augen rum…… Danke
wo in Tübingen stehen die? Oder lauf ich mal wieder mit Tomaten auf den Augen rum…… Danke
Offenbar ja, denn Nadia erwähnt ja „im Lammhof“ 🙂
http://www.tuepedia.de/index.php/Lammhof
Fotografisch dokumentierte Vorfälle mit 100.000 beteiligten britschen und deutschen Soldaten würde ich nicht als „romantische Verklärung der Geschichte“ bezeichnen. Siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/Christmas_truce
und für diejenigen, die es lieber auf Deutsch lesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtsfrieden_%28Erster_Weltkrieg
Danke, dass ist wesentlich einfacher. 🙂
Ich habe das geschichtliche Ereignis ja auch nicht durch die Inzusammenhangsetzung mit der Formulierung „romantische Verklärung“ in irgendeiner Weise in Abrede gestellt. So viel Kenntnis der Geschichte darfst Du mir durchaus zutrauen.
Ich habe geschrieben: „Es ist vielleicht nur eine romantische Verklärung der Geschichte, wenn heute erzählt wird, daß…“
Das soll bedeuten, daß heute von diesem Vorkommnis häufig romantisch verklärt erzählt wird.
Krieg ist brutal und menschenverachtend und daran ändert sich auch nichts, wenn es zwischen Blut, Leichen und Haß auch einmal einen Moment des Innehaltens gibt.
Danke Tom, ich wollte mich gerade schon aufregen. Es ist nämlich wirklich einer dieser Momente, wie auch das frontenübergreifende Hören von „Lili Marlen“, die gerne genommen werden um so zu tun, als sei das alles ja gar nicht so schlimm gewesen.
Du hast es gut formuliert, danke dafür.
Ich bewundere deine Geduld mit den Klugscheissern dieser Welt.
Lieber Historian, als allererstes ein herzliches Danke für diese absolut angebrachte und die Unterhaltung versachlichende Verbalinjurie. Natürlich ist Krieg grausam und unnötig. Du schreibst hier mit einem anerkannten Kriegsdienstverweigerer (aus Gewissensgründen, und nicht, weil ich als Zivi einen leichteren Posten gehabt hätte), der die Gnade der späten Geburt hatte und daher nie einen Krieg auf deutschem Boden miterleben musste. Für mich zeigt dieser historisch dokumentierte Vorfall, dass der Durchschnittsmensch eben keine im Grundzustand mordlüsterne und asoziale Kreatur ist, sondern nur von Soziopathen in Führungspositionen zu diesem Verhalten getrieben wird. Damals nannte man die Heerführer, Generäle, und was weiß ich noch, heute heißen sie Vorstandsvorsitzender, Abteilungsdirektor oder Nüssler-Birnbaum. Und ich empfand TOMs Formulierung wirklich so, als wolle er damit sagen „Ach ja, Opa erzählt mal wieder vom Krieg *Vogelzeig*“. Dass er es anders gemeint hat, hat er ja nun klargestellt.
Toms Rat ist der einzig richtige. In dieser Situation geht es nicht um die Erbschleicher oder die anderen womöglich aufrichtig Trauernden. Es geht um Dich und den verstorbenen Onkel. Wenn Du das Bedürfnis hast, ihm die letzte Ehre zu erweisen und die Beerdigung für Dich das Mittel zum Zweck ist, musst Du hingehen. Der Onkel wird nur dieses eine Mal bestattet – Du würdest Dir u.U. immer Vorwürfe machen, nicht dabei gewesen zu sein. Mit den Verwandten streiten kannst Du immer noch.
Nimm eine Person Deines Vertrauens mit, die Dir immer, wenn die anderen Dich in Rage bringen, Deine Hand hält und Dich erinnert, dass nur „Onkel Franz“ wichtig ist. Dann fahr nach Hause und versuche zu verarbeiten. Später kannst Du mit der Bagage abrechnen.
Ich wünsche Dir viel Kraft und nur schöne Erinnerungen an Deinen „Onkel Franz“.
Man kann ja jene, mit denen man nichts zu tun haben will mit der nötigen Nettigkeit begrüßen und sie dann außen vor lassen Und sollte wer mit einr Diskussion beginnen, so reagieren we du es schon vorgeschlagen hattest. Abschied nehmen am Sarg/Grab kann man nur ein mal.
Vielen Dank an Tom für die klugen Worte.
Das ist so eine Sache.
Es käme mir wohl auf die Beziehung zu dem Verstorbenen und auf die Qualität des Familienstreites an, da gibt es ja mehrere Stufen der „Intensität“ und auch wenn man sich selbst benehmen kann, so gilt das nicht immer für die anderen. Da braucht man dann innere Stärke, solchen „Attacken“ gelassen entgegenzutreten.
Jetzt fehlt mir die Erfahrung. Gibt es denn tatsächlich Beerdigungen, auf denen die Luzie abgeht?
Ja, die gibt es. Deshalb gibt es auch kein Universalrezept. Mein Rat funktioniert nur unter Menschen, die sich noch einen geringfügigen Rest an Respekt bewahrt haben. Leider gibt es aber, und ich würde fast sagen zunehmend, Menschen, die auch so eine, nennen wir es mal so, heilige Situation mißbrauchen, um ihre persönlichen Abneigungen in den Vordergrund zu stellen. Es ist dann möglicherweise die Aufgabe eines Seelsorgers, Trauerbegleiters oder auch eines guten Bestatters, zu versuchen, die verfeindeten Parteien zu einem Kompromiß zu bewegen. Aber auch das funktioniert leider nicht immer. Es gab auch schon Trauerfeiern, die wegen einer Schlägerei unter den Anwesenden unterbrochen werden mußten; und so ganz selten ist es auch nicht, daß in vorhersehbaren Situationen vorsichtshalber die Polizei vor der Trauerhalle wartet. Man muß es immer abwägen. Allerdings funktioniert auch das wiederum nicht immer. Ich hatte schon den Fall, daß der vermeintlich am Tod der Verstorbenen Schuldige zur Trauerfeier gekommen ist und jeder mit Mord und Totschlag rechnete und nichts ist passiert. Bei einer anderen Beerdigung eskalierte es dann am Grab, weil einem Opa… Weiterlesen »
Das hätte ich jetzt so nicht erwartet.
Für mich ist eine Beerdigung eine „heilige Situation“, ich kenne es nur, dass es später beim Leichenschmaus in der Gaststätte der Ton mal rauer wird, aber meist auch nur dann, wenn Alkohol geflossen ist. Aber da kann man ja auch vor dem Kaffee gehen oder zeitig, bevor es eskaliert.
Holla, das es teilweise so eskaliert, hätte ich jetzt nicht gedacht.
Manchmal kann es aber auch sein das zerstrittene Familien durch einen Trauerfall wieder zusammen finden. So war es Letzens bei einer Bekannten.
Ich denke man sollte einfach auf sein Bauchgefühl hören! Wenn ich selbst Abschied nehmen will, dann sollte ich es auch tun, egal auf was für Bekannte ich dort treffen könnte.
Guter Tipp! Die werden schön blöd schauen und sich fragen wer dieser „Onkel Franz“ ist, von dem ich da rede 😉
Hier ist die Fragestellerin und ich wollte zurückmelden, wie es gelaufen ist. Ich habe mir die Ratschläge zu Herzen genommen und bin tatsächlich zur Trauerfeier gefahren. Mein Freund hat mir angeboten mitzukommen; das war genau richtig. Seit der Entscheidung war ich wirklich erleichtert, habe mich während der Zeremonie aus allem raus gehalten, was mich aufgeregt hätte und war heilfroh, da gewesen zu sein! Statt zum Leichenschmaus sind wir dann ans Meer gefahren, da hat man Platz für Gedanken und es bringt Leichtigkeit! Vielen Dank für die Ratschläge und liebe Grüße!