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Studie Uni Rostock : Fehler auf fast jedem Totenschein

Was rede ich mir seit Jahren den Mund fusselig, wenn es um die ärztlichen Leichenschauen geht.
Ich habe hunderte solcher Leichenschauen miterlebt. Sie es, dass wir als Bestatter zu früh gerufen wurden, und der Arzt erst noch kommen und leichenschauen musste; oder sei es im Krematorium, wenn wir an dem Tag da waren, als der Amtsarzt die zweite Leichenschau vor der Einäscherung durchführte.
Ich beschreibe Euch mal grob meine Beobachtungen:

  • Ein altes Mütterchen ist verstorben. Die Angehörigen haben sie gewaschen und ihr das schönste Kleid angezogen. Die Oma hat einen Rosenkranz und ein Sträußchen Maiglöckchen in den Händen. Auf der Bettdecke haben ihre Töchter Rosenblätter ausgestreut.
    Nun kommt erst der Pastor, betet mit der Familie und erst danach wird der Arzt gerufen. Wozu auch Eile? Alle wissen, dass die Oma tot ist; der Arzt soll das Bekannte ja nur bestätigen.
    Der Arzt kommt, er wünscht allen Anwesenden Beileid, stockt dann kurz in seinen Bewegungen und weiß offensichtlich nicht, wie er mit der so hergerichteten Verstorbenen umgehen soll. Er beläßt es dabei, sein Stethoskop auf die Brust zu legen und in ein Auge zu leuchten. Dann setzt er sich an den Küchentisch und macht sein Kreuz bei „natürliche Todesursache“.
    Drei Tage später wird die alte Dame beerdigt. Ob sie ein Messer im Rücken hatte, oder ob sie sonstwie Anzeichen einer Gewalttat hatte, das wurde nicht überprüft.
  • Ein Mann, Mitte 50, fällt beim nachmittäglichen Kaffeetrinken tot vom Stuhl. Der herbeigerufene Notarzt bescheinigt nur den Tod des Mannes. Die Polizei erscheint in Form von zwei uniformierten Beamten des örtlichen Reviers. Die schauen sich den Verstorbenen an, sprechen mit der Witwe über die Umstände und machen sich ein paar Notizen.
    Während die Polizisten noch da sind, kommt atemlos der Hausarzt. Er spricht nur mit den Beamten, schildert die schwere Herzerkrankung des Verstorbenen. Irgendeine Untersuchung erfolgt nicht. Die Beamten erlauben uns, den Leichnam mitzunehmen, erklären ihn aber für beschlagnahmt.
    Am nächsten Morgen wird der Verstorbene freigegeben. Er wird ein paar Tage später beerdigt.
  • Im Krematorium stehen 30 Särge. Der Krematoriumsmitarbeiter hat alle Sargdeckel abgenommen und die Verstorbenen teilweise entkleidet. Tragen sie ein Sterbehemd, wird das nur hochgeklappt, tragen Sie ein Kleid oder eine Hose, so schneidet er diese Kleidungsstücke auf und zieht sie zur Seite. Die Sargdeckel legt er halbschräg wieder auf. Oben auf jedem Sarg liegen die Papiere, die zu diesem Leichnam gehören.
    Der Arzt kommt. Ein großer, übergewichtiger Mann mit ausgeprägter Stirnglatze. Er streift sich einen weißen Kittel über und zieht blaue Gummihandschuhe an.
    Vom ersten Sarg nimmt er sich die Papiere, der Krematoriumsmitarbeiter nimmt den Sargdeckel hoch. Herr Doktor kann sich nicht richtig bücken und ist auch ansonsten eher rückensteif. Durch seine dicken Brillengläser studiert er die Papiere, dann schaut er mit zusammengekniffenen Augen einmal kurz in den Sarg. Er nickt, die Sache ist erledigt.
    Am nächsten Sarg läuft die selbe Szene ab und auch an allen anderen Särgen. Nur einmal beugt er sich ächzend herunter und zieht eine aufgeklebte Papierabdeckung von einer Operation beiseite.
    Eine Dreiviertelstunde später sitzt er, nun ohne Gummihandschuhe, bei einer dampfenden Tasse Kaffee und macht einen nach dem anderen die Leichenschauberichte fertig.

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In allen drei Fällen ruft das Verhalten der Ärzte Zufriedenheit hervor. Im ersten Fall ist man glücklich, daß der werte Herr Medizinalrat die hübsch geschmückte Oma nicht aus ihrem Kleidchen zerrte, um beispielsweise in alle Körperöffnungen zu schauen und dem Körper genau zu untersuchen.
Im zweiten Fall ist die Witwe froh, daß das so schnell erledigt war, damit nur kein weiteres Gerede aufkommt, schließlich war ja die Polizei da.
Und im dritten Fall sind die Leute vom „Krema“ froh, daß wieder einmal alles okay war und sie zügig einäschern können.

Jetzt hat die Uni Rostock in einer Studie Erschreckendes festgestellt:
Der Rostocker Rechtsmediziner PD Dr. Fred Zack hat zusammen mit seinem Team 10.000 Todesbescheinigungen aus dem Einzugsbereich des Krematoriums Rostock ausgewertet.
Das Ergebnis der Studie ist schockierend: Von 10.000 Leichenschauscheinen waren nur 223 fehlerfrei.
Auf immerhin 27 % aller Scheine fand sich wenigstens ein gravierender Fehler.

„Am häufigsten wurde eine nicht mögliche Kausalkette bei der Todesursache angegeben. Weitere Kritikpunkte waren fehlende Angaben zur Person des Leichenschauarztes sowie das Fehlen des Vermerks von sicheren Todeszeichen.
„Mit dieser Größenordnung haben wir zu Beginn der Studie nicht gerechnet“, so Zack. Es sei aber zu einfach und nicht zielführend, den Ärzten Oberflächlichkeit oder mangelnde Mühe vorzuwerfen. Die Leichenschau außerhalb einer Klinik sei eine schwierige Aufgabe und es müssten bei der Ausstellung eines Totenscheines gleich eine Reihe von Gesetzen und Vorschriften beachtet werden. Es seien ganz einfach keine Spezialisten am Werk: „Wenn ein niedergelassener Arzt beispielsweise zweimal im Jahr zu einer Leichenschau gerufen wird, stellt sich bei ihm kaum eine Routine ein“. Doch obwohl immer wieder die schlechte Qualität der ärztlichen Leichenschau in Deutschland angemahnt werde, sei keine Änderung in Sicht. Solch eine Lösung könnte aus Sicht der Rostocker Rechtsmediziner eine bundeseinheitliche Todesbescheinigung sein. Derzeit habe jedes Bundesland sein eigenes Bestattungsgesetz und seine eigene Todesbescheinigung. Zack regt an, dass künftig spezialisierte Ärzte oder medizinisch geschulte Spezialisten die Leichenschauen außerhalb von Krankenhäusern vornehmen sollten. Zudem sollte es mehr Sektionen geben, denn beinahe jede zweite Leichenschaudiagnose werde nach einer Sektion korrigiert.

Fehlerhafte Totenscheine können nicht nur zur Folge haben, dass Tötungsdelikte unentdeckt bleiben. Die darauf gemachten Angaben stellen auch die Grundlage für die amtliche Todesursachenstatistik dar. Die derzeitige ist laut Zack „Augenwischerei“ – liege aber der deutschen Gesundheits- und Forschungspolitik zugrunde.
Quelle: https://www.prignitzer.de/17721291 ©2017

Und genau das fordere ich schon seit vielen Jahren:
Ein bundeseinheitliches Formular, das jeder Arzt bedienen kann. Es gibt so viele „einfache“ Todesfälle, die ohne weiteres vom Hausarzt oder vom diensthabenden Bereitschaftsarzt erledigt werden können.
Aber es sollte immer ein Spezialist nachgeschaltet sein. Ein Arzt, eventuell auch eine darin ausgebildete Person oder sonst ein Fachmann. Der sollte alle Sterbepapiere, ob nun von Klinik, Hausarzt oder Fremdarzt ausgestellt, einer Kontrolle unterziehen. Und immer wenn nur die geringste Beanstandung gemacht werden kann, muß der Leichenschauer sich den Leichnam noch einmal anschauen. Beerdigt oder eingeäschert wird überhaupt nur noch, wenn der Leichenschauer seine Unterschrift unter die Papiere gesetzt hat. Ansonsten folgt die Obduktion.

Noch besser und direkter:
Der Hausarzt bestätigt nur den Tod. Das ist wichtig, damit der Bestatter keine eventuell noch lebende Person in die Kühlung mitnimmt.
Danach kommen die Verstorbenen in die zentrale Leichenschaustelle. Dort wird JEDER Leichnam von spezialisierten Leichenschauern untersucht.
Diese bescheinigen den ordnungsgemäßen Zustand oder veranlassen eine Obduktion.

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