Ich habe es erst gestern meiner Tochter erzählt: Der mittelgroße schwarze Topf, in dem wir sehr gerne Gemüse kochen, der ist schon 120 Jahre alt. Er hat meiner Urgroßmutter gehört und irgendwie ist der schließlich bei mir gelandet. Ich kann ja sowieso nix wegwerfen, schon gar nicht wenn da irgendwelche Erinnerungen dranhängen. In diesem Topf haben drei Ahninnen ihre zahlreichen Kinder bekocht und abgesehen von ein paar kleinen Macken im schwarzen Email (1) ist der Topf noch völlig in Ordnung. Obwohl so alt, ist er spülmaschinenfest und tut es auch auf dem hochmodernen Induktionsfeld. Unsere Kinder waren schwer beeindruckt ob der geschichtsträchtigen Würde dieses Topfes, der schon seinen Dienst getan hat, als es in den Küchen meiner Vorfahrinnen keinen Strom gab, die Leute weder Telefon, noch Fernsehen hatten und es auch noch keine Handys und MP3-Player gab. „Kein Wunder, daß die soviel gekocht haben“, sagte mein Sohn, „wo die doch sonst nichts zu tun hatten.“
Dieser einleitende Absatz bringt mich zu der eigentlichen Geschichte, die ich erzählen will:
In einem unserer Beratungszimmer sitzen die Hinterbliebenen einer alten Dame. Mit etwas aufgesetzter Vornehmheit bestellen sie die Beerdigung für eben diese Frau, ihre Mutter. Man merkt, daß sie sich bemühen, ihren Dialekt zu unterdrücken und Hochdeutsch zu reden, um etwas vornehmer zu wirken oder der Würde des Augenblicks gerecht zu werden. Ich selbst spreche ja keinen Dialekt, sowatt tu ich nich.
Wenn mann denn von Haus aus einen Dialekt spricht, dann glaubt man oft, man klinge dann besonders hochdeutsch, wenn man alles etwas härter ausspricht, also zum Beispiel ‚Sark‘ statt ‚Sarg‘ sagt usw. (2)
So vornehm parlierend einigten sich die drei Schwestern und ein Bruder auf die diversen Dinge über die es sich bei einem Bestatter so zu einigen gilt. Dann kam das Gespräch darauf, wer denn nun die ganze Schose bezahlen soll. Ich weiß gar nicht, ob das nach all den Steuerreformen und Änderungen noch gilt, aber ich empfehle manchmal, daß es günstiger sein kann, wenn derjenige, der auch was verdient und Steuern bezahlt, die Rechnung auf seinen Namen ausstellen läßt, es könne sein, daß er die Kosten bei der Steuer geltend machen kann.
So übernahm also der Bruder die Rechnung und mehr oder weniger zum Scherz reklamierte er dann auch für sich das Recht, bestimmte Gegenstände aus dem Nachlass der Mutter zu bekommen.
„Was denn?“ erregte sich Schwester Nummer 1: „Du willst diese Sachen? Was bleibt denn dann für mich?“
„Na zum Beispiel die Töpfe und Pfannen von der Mutter“, meinte er.
Und sie: „Ich esse doch nicht aus einem Topf, in dem eine Tote was gekocht hat!“
So muß man das erstmal sehen!
Es ergab sich eine zunächst -zumindest von Seiten des Bruders- eher schmunzelnd geführte Diskussion über die Verteilung des Hab und Gutes der Verstorbenen. Viel schien sie nicht zu hinterlassen, im Wesentlichen drehte es sich um Hausrat und Einrichtungsgegenstände.
Zunehmend aber vergaßen die Streithähne ihre Vornehmheit und fielen in den derben Dialekt ihres Viertels und es dauerte kaum fünf Minuten, da war das Geschrei so groß, daß ich eingreifen mußte.
Es gelang mir nur mit Mühe, die drei Frauen davon abzuhalten, sich auf Lebenszeit zu verfeinden. Nur der Bruder grinste in sich hinein, ihm schien es in Wirklichkeit völlig egal zu sein, was er bekommt, doch er konnte es nicht lassen seine Schwestern zu ärgern und fing wieder an: „Und was ist mit dem röhrenden Hirsch?“
„Das Bild das hat Mutter mir ja schon vor 20 Jahren versprochen!“
„Was? Das kann ja gar nicht sein, ich soll das Bild und das kleine mit Perlen bestickte Schmuckkästchen bekommen, das hat Mutter noch auf dem Sterbebett zu mir gesagt!“
„Kann ja wohl gar nicht sein, das kann ja wohl gar nicht sein! Euch hat sie niemals sowas versprochen, ich alleine habe mich immer um Mutter gekümmert und sie wollte, daß ich das alles bekomme.“
Angeblich, so erklärten die Schwestern unisono, gehe es ihnen ja nur um die Erhaltung wertvoller Erinnerungen und kein bisschen um das Materielle. Der Bruder grinste nur und meinte: „Tja, wenn ihr das so seht, dann ist das eure Sache. Ich für meinen Teil kann mit dem ganzen Plunder nichts anfangen. Marga und ich, wir sind komplett eingerichtet und haben alles. Ich würde gerne ein oder zwei Stücke als Erinnerung haben, den Rest würde ich verkaufen.“
Die drei Schwestern:
„Verkaufen?“
„Was gibt’s denn dafür?“
„Ach, das geht? Da bekäme man noch Geld dafür?“
Der Bruder:
„Im Internet bei der Onlineauktion, da wird man alles los.“
Auf einmal waren alle Wünsche nach Erinnerung und Erhaltung der Familientradition verpufft. Man kam überein, daß sich jeder zwei Erinnerungsstücke aussuchen wird, den Rest wird der Bruder in seiner Garage einlagern, fotografieren und im Internet versteigern, den Erlös will man dann teilen.
Also, ich bin froh, daß man das früher noch nicht so gemacht hat, sonst wäre mein schöner schwarzer Gemüsetopf und so manch anderes schöne Erinnerungsstück auch von madmax1000 ersteigert worden und meine Kinder wüßten gar nichts über die handylose Epoche.
(1) für Pisa-Opfer: das ist keine elektronische Post, sondern ein harter Überzug
(2) besonders lustig klingt das bei Franken, nebenbei bemerkt
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: töpfe
madmax1000 ist doch nur ein amerikanischer Ebayer… Noch dazu hat er schon lange nix mehr gekauft!
😉
Ach, den gibt’s wirklich? Hätte ich mir auch denken können. Aber wenn ich den mittelgroßen schwarzen Topf von meiner Uroma versteigern würde, da wäre er garantiert dabei.
Wie ist das eigentlich deiner Erfahrung nach? Sind es eher Frauen oder Männer die sich ums Erbe zanken? Oder gleich. Bei mir in der Verwandschaft sind es komischerweise nur die Frauen (Tanten) die schon wie die Aasgeier bereits vor dem Ableben meiner Großeltern ums Erbe kreisen.
ich persönlich muss ja über die Gedankensprünge, die ja logisch nachvollziehbar sind, doch immer wieder herzhaft lachen
😀
[quote]
besonders lustig klingt das bei Franken, nebenbei bemerkt
[/quote]
Da makst tu Recht hapen! Und ich hab Tier auch liep! *ggg*
@3 llamaz: interessant, war bei uns auch so. Meine angeheiratete Tante hat schon vor dem Tod meiner Großeltern schön angefangen, Zeugs aus der Wohnung zu räumen: Handtücher, Tischdecken, Nippeskram… war ganz schön peinlich.
Zitat: “Ich esse doch nicht aus einem Topf, in dem eine Tote was gekocht hat!”
Bei den modernen Spülmaschinen heutzutage braucht man nicht zu befürchten, dass was von dem Leichengift zurückbleibt.
@MacKaber: wer sagt, dass die Spülmaschine nicht Schaden vom Leichengift nimmt? Ich finde das eine sehr heikle Sache.
Egal wie Bianca und MacKaber das jetzt meinen: In meine Spülmaschine passen gar keine Toten rein.
„In diesem Topf haben drei Ahninnen ihre zahlreichen Kinder bekocht…“
Herrje, jetzt hab ich im ersten Moment GEkocht anstatt BEkocht gelesen.
Tjaja diese alten Gebrauchsgegenstände, die halten und halten und halten… da hält das moderne Zeuch nicht mit, was oft schon beim Kauf Schrott ist.
Und das mit dem Topf, in dem die Tote (ihr Essen)gekocht hat: wenn man bedenkt, daß jeder Mensch selbst von Unmengen Leuten abstammt, die inzwischen tot sind, also da tun sich ja Abgründe auf…
;-D
Ich wusste gar nicht, dass Tote kochen können :O Man lernt halt nie aus…
Muss kurz kleinlich sein — „Hochdeutsch“ ist alles ab Mitteldeutschland südwärts; „Hochsprache“ oder „Standarddeutsch“ ist das, was du meinst. 😉
Ich will auch mal kurz kleinlich sein. Was die meisten Leute von sich geben, das nur mundartlich gefärbt, aber dennoch für jeden verständlich ist, nennt sich »Akzent«, alles darüber hinaus nennt man »Dialekt«, d.h. ein Plattdeutsch sprechender deutscher Küstenbewohner versteht kein einziges Wort von dem, was ein deutscher Bergbewohner aus dem Süden in seinem tiefsten Bayerisch sagt.
Und umgegekehrt latürnich. 🙂
Essen denn Deine Kinder jetzt ihr Gemüse aus Uromas Topf lieber und mit mehr Andacht? Wenn ja, muß ich auch mal auf dem Dachboden meiner Mutter stöbern gehen 😉
@ 12 Nightstallion: Du meinst
Oxford-Deutsch?
@Pascal: *rofl* messerscharf kombiniert ;D
[quote]“Ich esse doch nicht aus einem Topf, in dem eine Tote was gekocht hat!”[/quote]
Also … wir hier in Süddeutschland KOCHEN in Töpfen und ESSEN aus Tellern …
… soll sie sich halt vom Erbe einen Teller kaufen. 🙂
*scnr*
Christina 😛
Hm, Tom?
Wenn in deine Spülmaschine keine Leichen reinpassen, wie machst du dann die Leichenwäsche?
Läßt du die armen Toten etwa ungewaschen beerdigen? oO
@ 18:
Wenn ich mich recht an Toms diesbezügliche Blogeinträge erinnere, werden die Toten von Hand gespült.
*scnr*
Christina 😛
@Christina: Ich komme in viele Häuser. Es gibt überall Menschen, die direkt aus dem Topf essen.
Würde ich also jetzt was spenden wollen, müsste ich Ohrstöpsel dazu liefern? In Schweizer Qualität natürlich… *zwinker*
@ Tom:
Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass das „Topf-Essen“ so weit verbreitet ist.
… obwohl … spart Spülen, und solange es kein NACHTtopf ist …
*scnr* 😛
Diese alten Töpfe waren doch sehr vielseitig, oder? Sprich man hat heute die Unterbuxen und Windeln darin ausgekocht und am nächsten Tag mit frischem Wasser einen schönen großen Eintopf zubereitet! Bei ärmeren Familien garantiert.
Davon abgesehen, wenn man heute einen schönen großen Topf haben will, muss man den erst mal bekommen und dann kostet der richtig viel Geld.
Induktionskochfeld….? Ein paar Beiträge weiter unten habe ich doch eben noch etwas von „meinem geliebten Gasherd“ gelesen?
Ich werf mal, ohne es wirklich zu glauben, das Wort Fake in die Runde:-)
Du magst glauben was Du willst. Ich habe einen Gasherd und ein Cerankochfeld und eine Induktionsplatte mit zwei Feldern.
Meine Güte.
Ach so, wir haben sogar zwei Küchen.
Money makes the world go round. Sch… auf die Erinnerungen. Auweia – aber wieder mal eine schöne Charakterstudie!
@24: Bedenke außerdem, dass die Geschichten (wie schon oft erwähnt wurde) aus völlig verschiedenen „Epochen“ aus Toms Bestatterkarriere stammen.
Einige werden neuer sein, hier hat er vielleicht schon einen Induktionsherd – andere älter, da kochte er noch mit Gas.
Abgesehen davon, dass er ausdrücklich immer wieder erwähnt, Sachverhalte in die Moderne zu übertragen, damit sie verständlicher werden und um die zeitlosigkeit zu betonen – wann die Geschichten geschehen sind, ist doch völlig unerheblich.
Die Geschichten an sich sind das Wichtige!
Als Helvetier kann ich nur über das distinguierte Hochdeutsche nur wundern. Wie sollten wir Zürcher sonst die (langsamen) Berner erkennen können, wenn nicht an ihrem Dialekt? 😉