Branche/Kommune

Träumt man nachts von Leichen?

Eine Frage, die mir – und ganz sicher auch ganz vielen Bestatterkollegen – immer mal wieder gestellt wird, ist die folgende:

]“Wie verarbeitest Du das eigentlich, was Du da jeden Tag sehen mußt? Träumst Du da nicht nachts davon?“]

Und bei dieser Frage beziehen sich die meisten Fragesteller nicht auf schrecklich verstümmelte Leichname, sondern in aller Regel auf die ganz normalen Verstorbenen.
Schon der Anblick einer Leiche oder allein die Vorstellung, eine Leiche ansehen zu müssen, ist für viele Menschen etwas ganz Schlimmes. Zumeist stellt sich aber beim Nachfragen heraus, daß sie allerdings noch nie einen Verstorbenen gesehen haben.

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Es ist die latent vorhandene Abwehrhaltung, sich nicht mit der eigenen Endlichkeit beschäftigen zu müssen und der Schrecken, der einen unwillkürlich heimsucht, wenn man einen Menschen, den man nur in Aktion, lebend und mit kontrollierten Gesichtszügen kannte, leblos und tot sieht oder sich vorstellt.

Nun liegt es aber in der Natur der Sache, daß der Bestatter die allermeisten Toten gar nicht zu Lebzeiten kannte. Das mag in kleinen Dörfern anders sein, in der Großstadt ist das aber so.
Man hat also auch keine Vorstellung davon, wie der Mensch lebendig ausgesehen hat und sieht deshalb auch eventuelle Veränderungen nicht.
Das ist auch der Grund warum gute Bestatter immer um mehrere Fotos bitten, wenn sie den Verstorbenen schminken und ankleiden, um ihn aufzubahren. Und zwar sollten das Fotos sein, die den Verstorbenen nicht nur mit ernstem Gesicht zeigen, wie bei einem biometrischen Paßbild.

Vielleicht hat man ganz zu Anfang, wenn man die ersten Verstorbenen sieht, manchmal ein etwas mulmiges Gefühl, das mag sein. Aber die Kollegen, die einen stets bei diesen ersten Malen begleiten, werden schon das Ihre dazu beitragen, die Situation zu entschärfen.
Ihre Professionalität und die an den Tag gelegte Routine sprechen eine deutliche Sprache.
Nach dieser kurzen Eingewöhnungszeit sollte einem der Anblick eines Verstorbenen nichts mehr ausmachen.

Wenn es so sein sollte, was bei ganz wenigen Menschen der Fall ist, daß man den Anblick generell nicht ertragen kann und jedes Erlebnis mit nach Hause nimmt, jede Nacht von den Gesichtern träumt und beim Anblick eines Verstorbenen immer Übelkeit in einem aufsteigt, dann sollte man sich prüfen, ob das in überschaubarer Zeit vorüber geht, ansonsten ist man für diesen Beruf wahrscheinlich nicht geeignet.

Was aber nun ist mit Menschen, die wie neulich hier beschrieben, aus großer Höhe zu Tode gestürzt sind oder die nach einem Bahnsuizid oder einer Selbsttötung mit einer großkalibrigen Schußwaffe vom Bestatter abgeholt werden müssen?
Und was ist mit den Verstorbenen, die nach einer sehr langen Liegezeit erst aufgefunden werden und bei denen der Zersetzungsprozeß schon in Gang gekommen oder weit fortgeschritten ist?

Nun, diese Verstorbenen und der Umgang mit ihnen, macht keinem Bestatter Spaß. Und kein Bestatter wird sagen können, daß ihn der Anblick solcher Verstorbenen völlig kalt läßt und nicht wenigstens in gewisser Weise physisch und psychisch strapaziert.

Jedoch gehören diese Verstorbenen bei einem normalen Bestatter nicht zu seiner hauptsächlichen Arbeit, die zum größten Teil in der Abwicklung von Sterbefällen bestehen dürfte, bei denen Menschen höheren Alters im Bett gestorben sind.

Trotzdem können solche dramatischeren Begleitumstände vorkommen und eine gewisse Belastung darstellen.

Hier hilft die Routine und Professionalität weiter. Entweder man verfügt selbst über entsprechende Erfahrungen oder man orientiert sich an den Kollegen, die einen begleiten.
Immer wieder habe ich es erlebt, daß beispielsweise Mitarbeiter der Bahnpolizei (heute Bundespolizei), der Feuerwehr oder der Polizei und auch Bestatter, einen etwas derben, aber keinesfalls pietätlosen Humor an den Tag legen, wenn sie mit solchen Verstorbenen zu tun haben.
Ich will diese Scherze hier nicht im Einzelnen wiedergeben, die Angehörigen solcher Verstorbenen würden das nicht verstehen können.
Es soll nur ein Beispiel genannt werden: Eine aus einem Fluß gefischte Verstorbene war stark aufgedunsen, schwammig und ein Fischer, der beim Bergen des Leichnams half, sagte (durchaus mit erkennbaren Anführungszeichen in der Stimme): „Dann wollen wir die Qualle mal an Bord hieven.“
Der Ausdruck Qualle für einen Menschen ist despektierlich und gehört sich an und für sich nicht. Ich verwende ihn hier im Blog aber z.B. in satirischer Überspitzung für den dicken Zigarrenlutscher, der schwabbelnd und sabbernd seinen Dienst am Krematorium und auf diversen Friedhöfen versehen hat.
Im Zusammenhang mit einem Verstorbenen verbieten sich derartige Äußerungen normalerweise.
Aber in dieser besonderen Situation, in der keiner die Identität der betreffenden Person kannte und diese Person auch nicht als Person wirklich erkennbar war, wird die Leiche zum Objekt sachlichen Handelns, ist mehr eine Sache denn ein Mensch.
Wahrscheinlich sind solche Situationen u.a. nur durch eine solche Herangehensweise erträglich. Und obwohl beinahe jeder am Fundort auch diesen Ausdruck aufgriff und verwendete, war die Situation von Ernsthaftigkeit und eher düsterem Schweigen begleitet.

Man kann, wenn man nicht gerade das Bestatterweblog betreibt, über diese Erlebnisse auch nur schlecht mit anderen sprechen. Die Kollegen in der Firma sind die Einzigen, mit denen das möglich wäre, aber oft genug befindet man sich in der Zwickmühle, daß diese ebenfalls genug daran zu tragen haben und nicht reden wollen, oder daß sie ihre eigenen Gefühle und Gedanken nicht teilen, sondern alles mit etwas übertrieben zur Schau gestellter Sachlichkeit überdecken.
Nach Hause zu kommen, und am Frühstückstisch seiner Frau und seinen Kindern von einer zerstückelten Bahnleiche zu berichten … das ist kaum möglich.
So ist es letztlich immer eine Sache, die man mit sich selbst abmachen muß.

Aber dennoch: Die Bilder davon verschwinden, es überwiegt später der Stolz, daß man diese Situation gemeistert hat; daß man den Angehörigen eine gute Beerdigung präsentiert hat und der Schrecken über das Erlebte verblasst.
Die Erinnerungen kann einem aber niemand nehmen.
Der Beruf des Bestatters ist eben auch genau aus diesem Grund kein leichter Beruf.

Jedoch ist es nicht so, daß einen schlimme Bilder über Wochen und Monate verfolgen und man jede Nacht davon träumt. Man macht eine Arbeit, die gemacht werden muß. Und dafür sollte man im Übrigen auch gut bezahlt werden.

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(©si)