TV/Medien

Verdreht

Alle Jahre wieder, immer dann wenn es November wird und die Totengedenktage stattfinden, dann wenden sich die Zeitungsredaktionen und Radio und Fernsehen an mich und bitten um Stellungnahmen und Interviews zu den Themen Tod, Trauer und Bestattung.
Dabei kenne ich sowohl die Fragen, als auch die (erwarteten) Antworten seit Jahren auswendig.

Die einen wollen nur irgendwas zum Thema hören, es darf die Leser, Zuhörer oder Zuschauer nicht schocken, und möchten halt nur etwas bringen, das eben zur Jahreszeit passt.
Andere sind eher auf die kleine oder große Sensation aus und brauchen etwas, das sich reißerischer verkaufen läßt.

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Vor ein paar Jahren habe ich einmal einem öffentlich-rechtlichen Sender aus dem ganz südlichen süddeutschen Raum ein allgemein gehaltene Statement gegeben, in dem ich von der Allerheiligen-Tradition erzählte und beschrieb, wie die Menschen im Vorfeld die Gräber herrichten und schmücken. Unter anderem erwähnte ich auch, daß zu diesem Termin manche das Grab noch einmal frisch auffüllen lassen, falls die Erde abgesackt sein sollte.

Kurz darauf rief ein privater Sender an und ich erzählte denen einfach das Gleiche.

Die Berichte, die daraus gemacht wurde, glichen sich allerdings kein bißchen.
In dem öffentlich-rechtlichen Bericht war von Rentnern die Rede, die liebevoll die Grabstätten ihrer verstorbenen Ehegatten pflegen und eine alte Tradition hochhalten.
Im anderen Bericht stand Rentnerin Bertha K. aus Gelsenkirchen „fassungslos vor dem Loch des Schreckens“, weil das Grab ihres Mannes etwas eingesackt war und hatte „panische Angst, jedes Mal wenn sie auf den Friedhof geht, daß mein Mann da einfach rauskommt“.

Einmal war ein Kamerateam hier und wollte eine Stellungnahme zum Thema gestiegene Friedhofsgebühren.
Nun sind die Friedhofsgebühren bei uns aber in dieser Zeit gar nicht gestiegen, wohl aber anderswo.
Das mache doch nichts, es gehe um eine grundsätzliche Einschätzung, welche Mehrbelastungen da auf die Friedhofsnutzer zukommen.
Ich mußte also nun hier über den Friedhof laufen und in die Kamera meine zwei, drei Sätze aufsagen.
Sinngemäß sagte ich damals, daß Friedhöfe sich natürlich rechnen müssen und bei gestiegenen allgemeinen Kosten diese irgendwie auf die Allgemeinheit umgelegt werden müssten, sonst blutet die Stadtkasse irgendwann aus. Jedoch solle man berücksichtigen, daß Friedhöfe immer auch den Charakter einer Parkanlage und Grünfläche haben und somit dem Gemeinwohl dienen und deshalb sei es durchaus angemessen, wenn sich die Stadtverwaltung innerhalb gewisser Grenzen durch Subventionen vor allem für die einfacheren Grabarten an den Kosten beteiligen würde.

Damit das Ganze ein stimmungsvollen Bild ergab, baten die Fernsehleute Frau Büser, ob sie sich nicht im Hintergrund ganz in Schwarz auf eine Bank setzen könne.

Gut, das hat Frau Büser gerne gemacht und ich habe meine paar Sätze aufgesagt.

Am nächsten Tag durften wir uns den geschnittenen Beitrag auf VHS-Cassette anschauen:
Die Fernsehleute hatten noch zahlreiche andere Leute vor dem Friedhof interviewt und zwar mit der Frage: „Wie finden Sie es, daß so kurz vor Weihnachten alles so teuer geworden ist?“ Die Frage wurde aber im Beitrag nicht gebracht, sondern nur die Antworten.

So kam es dann, daß ein halbes Dutzend Leute vermeintlich über hohe Friedhofsgebühren in die Kamera schimpfte, wie unverschämt es sei, daß alles so teuer ist, daß sie sich das mit ihrer kleinen Rente nicht leisten können und daß das sowieso alles ganz gemein sei.

Mein Statement war zusammengeschnitten, sodaß ich sinngemäß sagte, es sei eine Unverschämtheit, die armen Leute auszubluten und statt unnötig Geld für Grünflächen auszugeben, solle man das lieber in die Friedhöfe investieren.
Die eigentlich weit im Hintergrund sitzende Frau Büser wurde einmal kurz ganz nah herangezoomt und bekam die eingeblendete Unterzeile: „Rentnerin Klara B. (67) …ist fassungslos“
Dazu sagte dann eine Sprecherin aus dem Hintergrund, die gezeigte Rentnerin habe ihr gesamtes Erspartes für die Beerdigung ihres Mannes ausgeben müssen und ihr bliebe nun nichts anderes übrig, als ihre Freizeit damit zuzubringen, jeden Tag auf der Friedhofsbank zu sitze, für mehr reiche ihr Geld nun nicht mehr.

Außerdem hatte der Sender den Beitrag kurzerhand in eine ganz andere Region Deutschlands verlegt, eben in eine Stadt, in der tatsächlich die Gebühren gestiegen waren.

Wir haben den Beitrag nicht freigegeben. Mir wäre das ja fast egal gewesen, ich wär‘ halt mal im Fernsehen gewesen, aber Frau Büser konnte nicht damit leben, daß man sie 17 Jahre älter gemacht hatte. „67, Frechheit! Was fällt denen den ein? Wartet nur, bis mir einer von denen mal begegnet, so eine Frechheit! 67!“

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(©si)