Sterben + Trauer

Verstorbene fotografieren?

Bild von congerdesign auf Pixabay

Meinen ersten „echten“ Toten sah ich auf einem Foto im Nachlass meiner Großeltern. Ich war ungefähr 15 und schaut mit meinen Eltern eine große Kiste einzelner, unbeschrifteter Fotos durch. Meine Eltern rätselten an vielen Stellen: Wer könnte das  sein? Wo wurde das aufgenommen? Wann muss das gewesen sein? Vieles ließ sich nicht mehr herausfinden, manche Schätzchen waren aber auch darunter. Zum Beispiel das Foto meiner Uroma als Kleinkind, so eine uralte Schwarz-Weiß-Aufnahme im weißen Kleidchen. Und plötzlich hielt ich ein Bild in der Hand, in dem ein Mann in einem Sarg lag. In einem dunkelgrauen Anzug, umgeben von Blumen, mit einem Rosenkranz in der Hand. Ich war erschrocken, irritiert, auch ein bisschen empört. Die Erklärung meiner Mutter, dass das früher durchaus üblich gewesen sei, fand ich mehr als seltsam. Wer fotografiert denn bitte Tote? Trotzdem, fasziniert hat es mich schon irgendwie.

Ich weiß nicht, was aus dem Foto geworden ist, ich glaube, ich habe es in den späteren Jahren nicht mehr wiedergesehen. Aber es fiel mir wieder ein, als mein Vater im Sterben lag. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich so rasant, dass wir kaum mitkamen. Wenn ich am Vormittag ins Krankenhaus kam, sah er schon wieder ganz anders aus als am Nachmittag davor. Er sah schlecht aus, nicht mehr so richtig wie mein fröhlicher Vater. Ein oder zwei Tage vor seinem Tod dachte ich mir: So ähnlich wie jetzt wird er auch aussehen, wenn er tot ist. Ich dachte an das Foto zurück, in dem der alte unbekannte Mann im Sarg lag und fragte mich, ob ich ein solches Foto wohl auch machen könnte. Ich entschied mich dagegen. Es kam mir pietätlos vor, ich kann gar nicht so genau sagen, warum. Stattdessen fotografierte ich ihn, als er noch lebte. Um Erlaubnis fragen konnte ich auch da nicht mehr, aber es kam mir weniger wie ein Übergriff vor. Natürlich war und ist das Foto nur für mich und meine engste Familie gedacht.

Wir holten meinen Vater nach Hause, wenige Stunden vor seinem Tod. Als er gestorben war, behielten wir ihn noch eine Nacht zu Hause. Wieder dachte ich an das Foto von damals und wieder fand ich, man könne Verstorbene nicht fotografieren. Stattdessen machte ich ein Foto von seiner Katze, die sich auf dem Pflegebett neben den Beinen meines verstorbenen Vaters zusammengerollt hatte und schlief. Ein Bild, von dem ich wusste, dass ein kleines Stück meines toten Vaters darauf zu sehen war, was aber niemand anders bemerken würde.

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Ich bin sehr froh, dass ich die beiden Bilder habe. Sie sind Erinnerungsstücke an eine sehr intensive, furchtbare und doch auch wertvolle Zeit mit meinem Vater. Im Nachhinein frage ich mich, warum es für mich nicht infrage kam, ihn als Toten zu fotografieren. Was hätte dagegen gesprochen? Dass man mit einem solchen Foto verantwortlich umgeht, das ist ja klar. Aber davon abgesehen? Wem hätte es geschadet? Vielleicht hätte es Freunden und Verwandten geholfen, die ihn nicht mehr sehen konnten. So etwas kann ja sehr hilfreich sein, um den Tod wirklich zu realisieren. Ich glaube, ich würde in Zukunft anders agieren. Ich würde ein Foto machen, sofern der*die Verstorbene „schön“ aussieht. Einfach als Erinnerung.

Wie seht ihr das? Ist es ein No-Go, Fotos von Verstorbenen zu machen oder spricht überhaupt nichts dagegen? Ich bin gespannt auf eure Meinung!

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