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Warum wir nicht mogeln (können)

Wenn der Deckel erst mal auf der Kiste ist, kann keine Sau mehr kontrollieren, ob wir korrekt gearbeitet haben.
Hat der Tote auch die richtige Kleidung an oder wurden die Klamotten einfach so mit in den Sarg geworfen?
Wurde er überhaupt anständig in den Sarg gelegt oder mehr oder weniger einfach hineingekippt?
Ist die bezahlte Innenausstattung mitsamt Decke auch im Sarg?
Wenn der Sarg gleich ins Krematorium kommt, wurde überhaupt der bestellte Sarg genommen oder ein billiges Schlichtmodell?

Ja, da gibt es massig Möglichkeiten zu schummeln, zu betrügen und zu tricksen. Kontrollieren kann das keiner.

Wir machen sowas aber nicht. Zum einen ist unser Geschäft seit Generationen am Markt und ein einziger ruchbar gewordener Vorfall dieser Art würde die Bemühungen der Vorväter zunichte machen. Zum anderen ist das einfach unmoralisch, ethisch verwerflich und strafbar.
Es entspricht überhaupt nicht meiner Mentalität irgendjemand bescheißen zu wollen. Wir können schon bei ganz normaler Kalkulation, selbst wenn die Leute alles ganz günstig haben wollen, immer unseren Schnitt machen; wozu sollten wir auch nur das Geringste tun, um die Leute auch noch zusätzlich zu bescheißen?

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Oberstes Motto: Wir behandeln jeden Toten und jede Tote exakt so, als sei es unser eigener Vater oder unsere eigene Mutter, Punkt. Das wird hier jedem eingetrichtert und immer wieder wiederholt.
Außerdem: Rein statistisch ist jede Familie alle 10 Jahre von einem Sterbefall betroffen und de facto bedeutet das: Wo ein älterer Mensch stirbt, gibt es meistens noch einen, der auch irgendwann seinen Vertrag mit dem Sensenmann einlösen wird. Dieses statistische und de facto Geschäft lasse ich mir doch nicht durch irgendwelche Unkorrektheiten kaputtmachen!

Wir haben aber einen Sicherheitsmechanismus eingebaut. Wir fotografieren seit wenigstens 25 Jahren jeden Verstorbenen. Bis vor kurzen nutzten wir eine Polaroid-Kamera, jetzt eine digitale. Jeder einzelne Tote wird, wenn er im Sarg liegt und fertig eingebettet ist, abgelichtet.
Selbstverständlich erwähnen wir das den Angehörigen gegenüber und nur in einem Fall, in mehr als 25 Jahren, hat man gesagt, dass man das nicht wolle. „Der Vater hat sich niemals gerne fotografieren lassen…“ Auch gut.

Die Fotos bleiben bei uns in der Akte und werden nach 10 Jahren vernichtet. Nach 2 Jahen dünnen wir die Akte erstmals aus, alle unwichtigen Notizen und Beiblätter fliegen raus. Nach 5 Jahren fliegt alles raus, was steuerlich nicht relevant ist und nach 10 Jahren kommt alles bis auf den Laufzettel weg. Die Laufzettel gibt es bei uns seit Generationen, früher handgeschrieben auf Rechenpapier, heute computergedruckt auf Formularen.

Diese Fotografien sind für uns die Sicherheit, dass hinterher niemand sagen kann, da habe etwas nicht gestimmt. Vor allem aber machen wir das, weil doch ganz viele Menschen (oft nach Jahren) den Wunsch verspüren, den Toten zu sehen. „Nein, wir wollen den nicht mehr sehen, machen Sie den Sarg bitte gleich zu!“ Was meint Ihr, wie oft ich das höre. Wenn dann alles vorbei ist, kommt oft der Witwer oder die Witwe und sagt: „Ach hätte ich ihn/sie doch noch mal gesehen!“ Dann können wir sagen: „Wir hätten da noch was für Sie.“

Auch kommen manchmal Leute aus Übersee, die hier ihre Wurzeln suchen, die ihren Stammbaum komplettieren wollen. Oft führt ihr Weg sie auf den Friedhof, wo sie nach Grabsteinen suchen und ihre Vorfahren finden. Erst vor ganz kurzer Zeit konnte ich einem Mann aus Australien ein Bild seines Vaters zeigen. Die Familie war 1957 ausgewandert, der Junge 1959 dort auf die Welt gekommen. Dann hat das Heimweh der Mutter die Familie schon 1960 wieder nach Deutschland getrieben. Der Junge blieb in Australien bei einer Tante.
Aus den Plänen irgendwann einmal wieder zusammenzukommen ist nie etwas geworden. Nur durch Zufall hat der Mann in Australien erfahren, dass sein Vater gestorben ist und kam nun hierher, um das Grab zu sehen. Was meint ihr, wie froh der war, wenigstens das Bild des Verstorbenen anschauen zu können!
Im Übrigen erbitten wir von den Angehörigen, wann immer das möglich ist, auch ein möglichst aktuelles Foto, das den Toten. Das soll uns einen Anhaltspunkt geben, wie wir den Verstorbenen zurechtmachen müssen. Wir wissen ja nicht, ob er einen Scheitel trug, die Haare glatt nach hinten gekämmt waren usw.

Auf jeden Fall ist diese Fotografiererei für uns und für die Familien eine zusätzliche Absicherung.
Wer auch nur den geringsten Zweifel am Bestatter hat, sollte einfach so ein Foto verlangen, eine Kamera hat ja wohl jeder.
Weigert sich der Bestatter, sollte man darauf bestehen, den Toten unbedingt noch einmal anzuschauen.


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Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 13. August 2007 | Revision: 28. Mai 2012

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Der Mitch
17 Jahre zuvor

Apropos Fotos. Ist es richtig, dass es Beerdigungsfotografen gibt? Werden auf manchen Beerdigungen (in anderen Kulturkreisen) Fotos gemacht?

undertaker
17 Jahre zuvor

@Der Mitch: Ja natürlich gibt es Beerdigungsfotografen. Wir bieten das oft mit an, dass die Feier fotografiert oder alternativ auf Video aufgenommen wird.

Matthias
17 Jahre zuvor

Hallo,

wurde die "Faschingsprinzessin" aus einem Beitrag neulich auch fotografiert?

Gruss,

Matthias

undertaker
17 Jahre zuvor

@Matthias: Ja, aber Fotos gibt es hier keine.

17 Jahre zuvor

Mogeln kann man immer irgendwie aber eins ist gewiss, man schiesst sich ins eigene Bein 🙂

Und gerade in Deinem Geschäft könnte ich mir vorstellen, dass eine Mogelei schnell zu einem Skandal führen und schlussendlich den Ruin bedeuten könnte.

Zu Deiner Aussage:

Wer auch nur den geringsten Zweifel am Bestatter hat, sollte einfach so ein Foto verlangen, eine Kamera hat ja wohl jeder.

Ich kann mir gut vorstellen dass in einer Trauersituation einem dies nicht in den Sinn kommt 🙂

Aber ich finde Eure Seriösität gut. Leider vermiesen viel zu viele unseriöse Gesellschaften (in allen Berufsgruppen) einem den hart erarbeiteten Ruf.

Falk
17 Jahre zuvor

Werter "Bestatter" (Warum eigentlich nur mit synonym?), Sie schreiben:

Ist die bezahlte Innenausstattung mitsamt Decke auch im Sarg?

Wenn der Sarg gleich ins Krematorium kommt, wurde überhaupt der bestellte Sarg genommen oder ein billiges Schlichtmodell?

Bestünde denn theoretisch die Möglichkeit für einen oder mehrere enge Verwandte den Verstorbenen wirklich bis zum Feuer zu begleiten? Damit wäre ja nebenbei auch noch die Kontrolle getan, ob denn zum Beispiel auch der richtige Sarg verwendet wurde. Vorstellen kann ich mir das schon, dass es da schwarze Schafe gibt.

Reines Interesse, bisher sind in der Familie keine versterbnisse geplant *g*

Grüße

Falk

17 Jahre zuvor

Also mit den Fotos das finde ich eine tolle Sache, gerade auch weil man im ersten Schock wirklich vielleicht sagt:" Nein, ich möchte ihn/sie so in Erinnerung behalten, wie sie/er gelebt haben" Und nach einer gewissen Zeit kann sich das wirklich ändern. – Gute Sache, wie ihr das handhabt!

undertaker
17 Jahre zuvor

@Falk: Das ist ganz unterschiedlich. Bei manchen Krematorien gibt es Trauerräume für die letzte Zeremonie und man sieht dann das Einfahren in das Feuer, man wäre also bis zum Letzten dabei. Bei anderen kann man den Sarg noch einmal sehen und in wieder anderen Anlagen haben Fremde gar keinen Zutritt.

Udo
17 Jahre zuvor

Frage an den Bestatter (-:

Warum werden Särge bei Erdbestattung mit Vorhängeschlössern verschlossen? Bei meiner Großmutter waren es zwei Stück. Stunden vor der Erdbestattung war der Sarg offen aufgebahrt.

undertaker
17 Jahre zuvor

@Udo: Was???? Sowas habe ich ja noch nie gehört! Erzähl mal mehr.

Udo
17 Jahre zuvor

Die Großmutter ist damals nach einer eigentlich harmlosen routine OP gestorben. Eine Stunde nach dem Tod war ich oben im Krankenhaus wo der Leichnam in einem Nebenzimmer der Intensivstation zugedeckt lag. War kein schöner anblick, besonders weil das Oberkiefergebissimplatat halb raushing. Dummerweise habe ich mir da nichts dabei groß gedacht, den das hätte man entfernen müssen und den Kiefer festbinden. Paar tage später… Am ersten Tag der Aufbahrung in der Leichenhalle die Leiche der Großmutter wieder gesehen. Das Gesicht war genau so wie damals im Krankenhaus, soll heißen, das Gebiss ist halb rausgehangen… bildlich da wo die Oberlippen enden fletschten die Zähne heraus. Es wurde deswegen mit dem Bestatter gesprochen der das künstliche Gebiss entweder entfernt oder ganz reingeschoben hat. Am Hals war dann eine transparente Kinnstütze angebracht und es hat soweit OK ausgesehen. OK soll heißen, es sah ordentlich aus, aber irgendwie lag da für mich irgend eine Puppe im Sarg als die Sterblichen Überreste der Großmutter. Hat nicht 100% natürlich ausgesehen. Nun die Großmutter lag aufgebahrt mehrere Tage im Leichenhaus des örtlichen Friedhofs… Weiterlesen »

Keiner
17 Jahre zuvor

Ich habe vorgestern beim Bestatter wg. eines Bildes per e-mail über seine Site angefragt.

Der erste Laden am Platz in Lüneburg.

Bisher keine Reaktion.

Shaya
17 Jahre zuvor

"Vor allem aber machen wir das, weil doch ganz viele Menschen (oft nach Jahren) den Wunsch verspüren, den Toten zu sehen." Ich ärgere mich seit Jahren das ich meinen Bruder nicht mehr gesehen habe und traue mich nicht zu fragen ob der Bestatter (oder die Polizei) Fotos hat…hm, nach dem lesen…vielleicht schaff ichs ja doch noch.

Finde es auf jeden Fall super das ihr das macht (und an sich wie ihr die Arbeit macht bzw was du davon schreibst hier- sehr sympathisch).

LEO
9 Jahre zuvor

Erstmal Herzlichen Dank für diesen tollen Blog.

Ich wusste jetzt nicht, wo ich die Frage abgeben kann:

Ich trauere nun seit mehr als 5 Jahren meiner lieben Oma hinterher..
Es ist nicht durchgehend, aber manchmal wenn man zum Beispiel in der Sonne sitzt kommt es wie ein Schlag in die Bauchgegend.

Ich habe Sie damals nicht mehr gesehen und habe gerade deinen/Ihren Post vom 13.08.2007 gelesen „Warum wir nicht mogeln (können)“.

Gibt es diese Fotos bei jedem Bestatter?

und wird ein Bestatter es komisch/abnormal finden ihn darauf anzusprechen?

Ich komme aus Oberfranken, falls das eventuell hilft..

Danke für diesen super Blog und die Hilfe die damit für viele Menschen verbunden ist!

Reply to  LEO
9 Jahre zuvor

Vielen Dank für Ihr Lob.

Ich kenne dieses Gefühl der Trauer, das einen in schönen, nachdenklichen Momenten überkommt.

Nun trauern Sie schon fünf Jahre um Ihre Oma und hoffen, der Bestatter könne eventuell ein Bild angefertigt und in der Akte haben.
Das machen aber nicht alle Bestatter. Da es einige aber eben doch tun, ist an der Frage nichts Schlimmes.

Wenn Sie den Bestatter kennen, rufen Sie doch einfach mal an und fragen Sie nach.

Mehr als ein Nein können Sie nicht bekommen.




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