Menschen

Was von einem Leben so bleibt (oder auch: die Comicsammlung meines Vaters)

Ich stecke bis zur Nase in Staub und Altpapier. Genauer gesagt: in Papas Comicsammlung. Er ist seit sechseinhalb Jahren tot, es wird Zeit, dass wir auch in den entlegeneren Winkeln des Hauses aufräumen. In diesem Fall heißt das: auf dem Dachboden. Ganz links in dem riesigen Wandregal, von dem aus die Comics auf den Boden quellen.

Hier lagern sicher Tausende Comicbücher und -hefte. Lustige Taschenbücher vor allem und jede Menge Sonderhefte und Zusatzausgaben aus Entenhausen und Co. Selbst die allerersten Ausgaben sind noch hier. Als Kinder haben wir die Comics geliebt. Wir durften sie – im Gegensatz zu Büchern aller Art – sogar mit in die Badewanne nehmen. Sie wurden heiß geliebt und ich habe die meisten der älteren Ausgaben bestimmt zehnmal gelesen. Leider sehen sie auch genau so aus: zerlesen, zerfleddert, in die Badewanne gefallen und wieder getrocknet. Die Lagerung auf dem zugestellten und unausgebauten Dachboden hat ihr übriges getan. Die meisten der Bücher sind vergilbt, fleckig und staubig. Ein Comicbuchladen, der zunächst Interesse bekundet hat, hat schnell abgelehnt, als wir ihm Bilder geschickt haben. Viel zu schlechter Zustand.

Und da stehen wir nun, mein Bruder und ich, mit Donald Duck und Phantomias, Micky Maus und Kommissar Hunter, und wissen nicht recht, was wir damit tun wollen. Um den Schwierigkeitsgrad dieser Aufgabe zu erhöhen, hat sich in den letzten Tagen auch noch ein Marder auf dem Dachboden eingenistet, der mich fast zu Tode erschreckt hat. Wir betreten den Dachboden also nur mit einem Besen, in der Hoffnung, den Marder nicht zu Gesicht zu bekommen. Beißen die eigentlich?

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Mein Plan ist: Alle Comics sichten und die halbwegs gut erhaltenen bei einer Verkaufs-App für gebrauchte Medien einzuscannen. Die Arbeit, alles einzeln über ebay zu verkaufen, wollten sich nämlich weder meine Brüder noch ich machen. Ich war ziemlich sicher, dass ein paar der Comics noch nennenswerte Preise erzielen würden, vielleicht am Ende so zwei-, dreihundert Euro dabei herauskommen würden, vorsichtig geschätzt. Kleinvieh macht ja auch Mist und so. Also schleppen mein jüngster Bruder und ich die Comics kistenweise vom Speicher und gaben sie in die App ein.

Stundenlang scannen und sortieren wir, und sind immer ernüchterter. Viele Comics haben gar keinen Strichcode und keine ISBN, sodass wir sie dort gar nicht angeben können. Und bei den anderen wird höchstens jedes zehnte oder zwanzigste Heft genommen, oft nur für zehn oder zwölf Cent.

Wir reißen eine Sammlung auseinander, die unser Papa über Jahrzehnte hinweg zusammengetragen hat, und stellen fest, dass sie überhaupt nichts mehr wert ist. Immer mal wieder diskutieren wir kurz darüber, doch noch ein bisschen was bei ebay einzustellen, verwerfen den Gedanken aber aufgrund des Zustands wieder. Nennenswerte Summen sind da einfach nicht zu erwarten. Kiste um Kiste tragen wir nach unten, scannen und sortieren und diskutieren noch mal kurz. Spenden? Aber wohin? Wer braucht schon alte Comics, die – sind wir mal ehrlich – auch nicht gerade die Krönung ihres Genres darstellen. Ich liebe Comics wirklich sehr (das ist mir wohl von meinem Papa geblieben), aber Lustige Taschenbücher aus den 70ern oder 90ern? Ich sag euch, die sind wirklich nicht gut gealtert, was den Inhalt angeht. Letzten Endes kommen wir immer wieder auf den gleichen Punkt zurück: Was auf diese Weise nicht wegkommt, ist uns keinen weiteren Aufwand wert. Altpapier.

Sammlungen sind meistens nur für den Besitzer von Wert, das habe ich unterschätzt. Auch unterschätzt habe ich, wie schwierig es auch nach Jahren noch sein kann, etwas einfach wegzuwerfen, das jemand Liebem wichtig war. 28,69 Euro hat uns die Sammlung gebracht, an der mein Vater sein Leben lang gesammelt hat. Und eine Menge gute Erinnerungen. Meinem Vater war es wichtiger, dass wir Freude haben, als dass seine Sammlung schön bleibt. Er hatte Spaß an den Comics und wollte uns diesen Spaß weitergeben. Und das ist ihm gelungen. Er würde nicht wollen, dass wir uns noch länger mit der Sammlung beschäftigen, als es uns gut tut.

Gibt es ein Fazit? Irgendwie schon: Trauer ist ein langer Prozess mit vielen unterschiedlichen Facetten. Besitz wegzugeben (oder wegzuwerfen) gehört zum Loslassen und damit auch zur Trauer. Mein Vater braucht seine Comics nicht mehr, keiner von uns möchte sich seine Sammlung in die Wohnung stellen. Es wird also Zeit, Platz zu schaffen, auch wenn das über den Wertstoffhof geht. Für mich bedeutet es aber gleichzeitig, dass ich mich – wenn ich kann – rechtzeitig von einem Teil meines Krams trennen möchte. Denn man bürdet den Nachkommen schon ein ziemliches Erbe auf mit all dem alten Zeug. Doch dafür ist hoffentlich noch sehr lange Zeit. Wer einmal bei uns zu Hause war, weiß, dass das auch nötig ist …

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(©si)