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Werner II

Edith hat mich gerade angerufen und will nachher mal mit ihrer Tochter Ilona vorbei kommen. Werner geht es so schlecht und sie brauchen mal jemanden zum Reden.

Einen Pfarrer haben sie natürlich und der wohnt direkt um die Ecke, aber zu dem haben sie keinen Kontakt obwohl sie mehr als nur an Ostern und Weihnachten in die Kirche gegangen sind. Werner hat mir mal erzählt, als er vor Jahren das Haus bezogen hat, beobachtete er vom Fenster aus, wie eine alte Frau einen Zettel in seinen Briefkasten warf. Den hat er dann hereingeholt und las: „Der katholische Pfarrer wollte sie heute besuchen und als neue Gemeindemitglieder begrüßen. Leider hat er sie zum dritten Mal nicht angetroffen. Sie sind herzlich zu den Gottesdiensten eingeladen.“

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„Das kann gar nicht sein“, sagte Werner, „wir waren die ganzen Tage davor mit Renovierungen beschäftigt und der Pfarrer hätte uns in jedem Fall angetroffen.“
Diese Schwindelei hat er dem Pfarrer nie verziehen. So ist das manchmal, ein kleiner Ärger mit dem Bodenpersonal kann das Verhältnis zur Kirche empfindlich stören.

Und so geht es in unserer säkularisierten Welt sehr vielen Menschen. Der Bestatter ist dann der erste Mensch, mit dem die Hinterbliebenen ihre Trauer teilen können, der ihnen zuhört und der letztlich auch die Seelsorgearbeit leisten muß. Natürlich gibt es da draußen engagierte Pfarrer, die sich Zeit nehmen, auf die Familien eingehen, deren Wünsche berücksichtigen und ein offenes Ohr haben. Aber in den seltensten Fällen ist das so. Ich persönlich habe immer wieder die Erfahrung machen müssen, daß die Pfarrer durch Gemeindezusammenlegungen und das teils umfangreiche kulturelle Nebenprogramm der Gemeinden so unter Zeitdruck stehen, daß sie kaum 15 Minuten Zeit haben, um die Familien kennenzulernen und die Informationen für die Trauerrede zusammenzutragen. Von einer seelsorgerischen Betreuung, Stütze, Hilfe, Rat und Tat kann wohl in den meisten Fällen ganz und gar nicht die Rede sein. Und das ist bedauerlich, denn hier wäre eine gute Gelegenheit, die Familien an die Gemeinde zu binden, ihnen eine Wiederannäherung zu ermöglichen, aber diese Chance wird nur zu oft vertan.

Jetzt warte ich also auf die künftige Witwe eines guten Freundes und dessen Tochter.
Nunja, ich werde das schaffen.
Natürlich ist es schwer, jemanden zu bestatten, den man gekannt hat. Es fehlt die notwendige Distanz, die diesen Job überhaupt erst erträglich und machbar macht. Aber auf der anderen Seite wird das berufliche Tun davon auch geadelt und veredelt. Das was man tut, die Handgriffe, die man erledigt bekommen erneut wieder einen Sinn und man spürt ganz deutlich, daß es letztenendes ein Liebensdienst ist, den man einem Menschen erweist.
Daraus kann man dann auch wieder die Kraft und Nähe schöpfen, die man benötigt, um fremde Menschen nicht als tote Sache zu sehen.

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#werner

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