Geschichten

Wie man als Kind Geld mit Beerdigungen verdient

Im katholischen Rheinland, zu dem das Ruhrgebiet in meiner Ecke bis an Gelsenkirchens Grenzen zählt, gehört es einfach dazu, daß die Jungs Meßdiener werden. So war das früher wenigstens. Und bevor da einer über Pastöre, Kapläne und Meßdiener phantasiert: Es hat niemals auch nur im Geringsten einen Anlaß gegeben, an der Integrität der Geistlichen zu zweifeln.
So war auch ich einer dieser Meßdiener und gehörte zur Gruppe „Stephan“.
Wann welche Meßknaben in der Kirche Dienst tun mußten, das teilte der Kaplan ein und ließ dabei Gerechtigkeit walten. Ich persönlich bevorzugte als Frühaufsteher die ganz frühen Termine in einem, zu unserer Gemeinde gehörigen, Kloster, wo es nach der Messe immer ein ganz herrliches Frühstück mit frisch gebackenen Brötchen, riesigen Eiern und leckerem Käse und Honig gab.
Nicht dieses guten Essens wegen ging ich gerne dort hin, man sagt mir nach, ich sei als Kind sowieso eher ein schlechter Esser gewesen, sondern weil man dort nicht nur ein weißes Chorgewand, sondern eine Kutte mit Kapuze tragen durfte, was ich besonders schön fand.

In der übrigen Zeit, also abgesehen von den Gottesdienstzeiten, hatte aber auch der Küster etwas zu sagen.
Ein großgewachsener, hagerer Mann, der ein Glasauge und schlohweißes Haar hatte. Stets trug er einen langen schwarzen Talar und gab sich, obwohl doch eher subaltern bestallt, sehr bedeutend und geschäftig.
So hatte dieser Mann beispielsweise einzuteilen, welche Meßdiener den Pastor bei den Beerdigungen auf dem nahegelegenen Friedhof zu begleiten haben. Und ich, der ich nicht weit vom Friedhof und der Kirche wohnte und auch noch dort um die Ecke zur Schule ging, wurde häufiger mal für diesen Dienst ausersehen.
Ja, ich fühlte mich da ausersehen, für etwas Besonderes hergenommen und betrachtete das Ganze nicht mit Abscheu, wie es manche meiner Freunde aus der Meßdienergruppe Stephan taten. Friedhöfe, das erzählte ich ja schon einmal, waren für mich, wegen der früh verstorbenen Großeltern und der elterlichen Graberdverbundenheit, eher Alltag als etwas abstoßend Besonderes.

Der Vorteil für mich lag gleich in zwei Dingen begründet. Zum einen durfte man, wenn dann beerdigt wurde, für eine Stunde aus der Schule „fitschen“ und das höchstgeistlich abgesegnet. Zum anderen war aber der einäugige Kuttenträger immer besonders dankbar, wenn genügend Jungs zusammenkamen, um dem Pfarrer eine würdige Begleitung zu stellen.

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Dafür, und jetzt muß ich gleich etwas ausholen, belohnte der Hagere mich immer mal wieder mit einem Dienst, den andere als Bärendienst empfunden hätten.
Der so genannte Bärendienst ist ja ein Gefallen, der einem getan wird, oft in vorauseilendem Gehorsam, der sich hinterher als wenig brauchbar oder gar schädlich erweist.
So sahen das wenigstens die anderen Jungs, wenn der Küster mir samstags Besen, Eimer und Kehrschaufel in die Hand drückte und mich für, auch damals schon, lumpige 2 Mark den riesigen Kirchplatz fegen ließ.

Nun muß man aber wissen, und damit bin beim ausholenden Teil der Geschichte, daß es damals im Ruhrgebiet die Sitte des „Schrappens“ gab. Vielleicht gibt es sie auch heute noch in irgendeinem Winkel dieser Gegend, aber damals gab es sie überall. Schrappen, ja was heißt das? Nun, das ist so eine Art Zusammenziehung aus Kratzen und Schnappen.

Wenn ein Brautpaar in einer Kirche heiratete und nach der Eheschließung vor das Kirchenportal trat, dann hatten die Kinder dort schon eine hüfthohe Schnur gespannt und das Brautpaar sozusagen eingesperrt. Nun harrten die Kinder darauf, daß der Bräutigam in seine Jackentasche faßte, eine Handvoll Münzen daraus hervorzog und in die am Ende der Kirchentreppe wartende Kinderschar warf. Und dann wurde geschrappt, also Geld geschnappt, aufgeklaubt, in raufender Verbissenheit vom Boden erkämpft.

Was waren die Kinder enttäuscht, wenn da nur „Rote“ oder „Grüne“ dabei waren, also Pfennige, Groschen und Fünferchen. Nein, da gab es dann keine Barmherzigkeit, die Schnur blieb gespannt und es wurde gejohlt und gerufen, bis wieder eine Handvoll Münzen in die Menge geworfen wurde, die abermals zu schrappen anfing.
Das ging dann so lange, bis der Bräutigam endlich die natürlich vorher besorgte Rolle Silbergeld aufbrach und das langersehnte, wertvollere Geld verschleuderte.

Es ist klar, daß die größeren, älteren und kräftigeren Buben hierbei das Sagen hatten und so schmächtige Jungs wie ich keine Chance hatten, an das „große“ Geld zu kommen.

Aber die haben die Rechnung ohne den Wirt, sprich ohne den Friedhofsmeßdiener, gemacht!

Denn wie war das noch?
Der Küster hatte nur ein kleines Budget für den Kehrdienst auf dem Kirchplatz, hielt das aber für eine beträchtliche Summe und bildete sich ein, mir einen Gefallen damit zu tun, mich für 2 Mark bald zweieinhalb Stunden lang fegen zu lassen; ein Bärendienst eben.
Aber, und das ist das Entscheidende an der Geschichte: Wer zum Fegen des Kirchplatzes eingeteilt war, mußte auch in den dunklen, kalten Keller der Kirche hinabsteigen, wo verstaubte alte Heiligenfiguren für ein Ambiente sorgten, das jeder Geisterbahn gut zu Gesicht gestanden hätte, und sich bis vorne unter die Kirchentreppe vorarbeiten, wo es einen Lichtschacht und ein Gitter gab. Dort mußte Laub und Dreck entfernt werden. Ja und durch dieses Gitter, das hatten die anderen Kinder nicht bedacht, war immer einiges vom geworfenen Geld hinabgefallen und wartete nun darauf, vom schmächtigsten Meßdiener im ganzen Ruhrgebiet abgesahnt zu werden. Manchmal waren das an die 20 Mark.

Manchmal also, verdient man auch über Umwege mit Beerdigungen Geld.

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(©si)