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Windhund und Sonnenschein

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Herr Sonnenschein schneit in unser Büro und strahlt wie drei Pfund frisch geschlüpftes Plutonium. Er sieht aus wie eine Mischung aus Peter Frankenfeld und Thomas Gottschalk. Schwarze Hose, hellbraune Schuhe, großkariertes Jackett und ein bunt geblümtes Hawaii-Hemd.

Er hatte sich bei Frau Büser einen Termin geben lassen, sich als Versicherungsgeneraloberhauptbezirksprovinzialdirektor eingeführt und will mit mir mal alle unsere Verträge durchgehen, da habe sich nämlich einiges geändert und es bestehe dringender Handlungsbedarf.

Warum denn unser Herr Engerling nicht käme, wollte ich wissen und Herr Sonnenschein hört schlagartig auf zu strahlen, könnte in diesem Moment nicht bei der Bahn arbeiten, denn ihm entgleisen alle Züge. Ja, das sei so eine Sache…

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„Was für eine Sache?“

„Sehr unangenehm für uns.“

„Was ist denn los mit Herrn Engerling?“

Er packt höchst umfangreich und ausgiebig einen ganzen Stapel Unterlagen aus und läßt sich sehr viel Zeit dabei.
Herrn Engerling kenne ich schon seit Ewigkeiten und habe mich mit ihm sogar ein bißchen angefreundet. Noch vor der Zeit, als ich ein Unternehmen hatte, brauchte ich mal kurzfristig ein Zweiradkennzeichen und an einer stillgelegten Tankstelle in der Herr Engerling sein Büro hatte fiel mir die Reklame einer Versicherung mit dem Schriftzug „Moped-Schilder sofort zum Mitnehmen“ ins Auge. Engerling war absolut freundlich und hilfsbereit, ich schloß bei ihm ab, bekam mein Nummernschild und daß er es wirklich gut mit mir meinte, merkte ich, als er mich eine Weile später anrief und mir für mein Auto eine Versicherung anbot, die gnadenlos günstig war. So blieb das dann auch. Wenn ich was brauchte, suchte er mir das Passende raus, wenn was kaputt ging, kam er um sich den Schaden anzuschauen, rechnete immer sehr großzügig zu meinen Gunsten und ich hatte nie das Gefühl, es mit einer Versicherungsgesellschaft zu tun zu haben, die partout nicht zahlen will, sondern ich hatte es immer nur mit Herrn Engerling zu tun, der mir stets wohlwollend helfen wollte.

„Ja, der Kollege Engerling arbeitet mit sofortiger Wirkung nicht mehr für die Gesellschaft XYZ“, bringt sich der karierte Herr Sonnenschein wieder in Erinnerung.

„Warum denn nicht?“

Er zögert noch ein bißchen, aber man sieht, daß dieses Zögern nur gespielt ist. Zu gerne will er erzählen, was er weiß, und das tut er dann auch. Ja, der Engerling habe ja die Berechtigung gehabt, kleinere und mittlere Schäden direkt abzuwickeln und dem Kunden direkt einen Scheck auszuhändigen und diese Berechtigung habe er mißbraucht. Engerling habe mehrfach recht hohe Schecks ausgestellt und diese seien nicht bei den Kunden angekommen, sondern auf Umwegen auf sein eigenes Konto gelangt.

Boah! Das wäre ja fies. Ich muß noch erzählen, daß ich nicht sofort in die Stimmung geriet, diese Behauptung weit von mir zu weisen, ich habe schon immer den Eindruck gehabt, daß Engerling ein kleiner Windhund ist, der alle Schlichen kennt. Um es klar zu sagen, ich hielt es durchaus für möglich, daß er so etwas tatsächlich gemacht haben könnte. Andererseits müßte mich meine Menschenkenntnis schon sehr im Stich lassen, wenn es so wäre.

Auf jeden Fall habe sich die Gesellschaft sofort von Herrn Engerling getrennt und jetzt sei eben der Oberbezirksleiter Sonnenschein persönlich für mich zuständig.
Jetzt müsse man mal eben alle unsere Verträge durchgehen, da habe sich ja allerhand angesammelt und das seien ja alles noch uralte Verträge, die den Erfordernissen der Zeit nicht mehr gerecht würden.

Das löste bei mir ein heftiges Warnklingeln im Hinterkopf aus, denn mir klangen noch die Worte von Herrn Engerling in den Ohren: „Lassen Sie sich bloß keine neuen Verträge aufschwatzen. Die alten sind tausend mal besser! Billiger und da sind Sachen mitversichert, die gibt’s in den neuen Verträgen gar nicht mehr.“

„Am Besten wird es sein, wir führen alle Altverträge in zeitgemäße neue über. Da sind doch einige dabei, die brauchen sie gar nicht mehr.“

„Welche brauche ich gar nicht mehr?“

„Zum Beispiel diese Sondervereinbarung über Sachschäden in der Gewerbehaftpflicht.“

„Moment, die brauchen wir doch. Die versichert uns, falls unsere Männer bei Hausabholungen mit dem Sarg Beschädigungen im Treppenhaus und an Türen verursachen.“

Herr Sonnenschein macht ein Geräusch, so ähnlich wie „Tataaaa“ und klingt wie ein billiges Betriebssystem beim Starten, zieht einen Prospekt aus seinem Stapel und schiebt ihn mir, stolz grinsend, herüber: „Sehen Sie, wenn die die Gewerbekombi KV nehmen, da ist das alles schon drin. Wir können wenigstens vier alte Versicherungen streichen und alles mit der Kombi KV abdecken.

Langer Rede kurzer Sinn: Herr Sonnenschein mußte etwas beleidigt wieder gehen, ohne etwas bewirkt zu haben. Denn eins habe ich in all den Jahren gelernt: Versicherungen die besonders glänzen, sind nur Rhinestones, Katzengold oder falsche Fuffziger.

Am Nachmittag wollte ich mir dann die ganzen schönen Prospekte und Versicherungsbedingungen mal zu Gemüte führen. Denn mal eben so, aufgrund der mündlichen Zusagen eines großkarierten Plutoniumstrahlers, meine ganzen schönen alten Versicherungen aufheben und nur auf der Basis von schönen Prospekten, von denen mich hübsche junge Menschen aus einem roten Porsche angrinsen, neue Verträge abschließen, neeeeeee, nicht mit mir!

Ich besann mich dann aber und griff zum Telefon, um mal mit Herrn Engerling darüber zu sprechen. Ich merkte sofort, daß da was nicht stimmte, ich bekam nämlich nur seinen automatischen Leuteabwimmler ans Rohr: „Leider kann ich im Moment nicht für Sie tätig werden, bitte wenden Sie sich direkt an die XYZ-Versicherung unter 0xxxx-xxxx.“

Aber ich habe ja seine Handynummer.

Da erreichte ich ihn und er war kurzerhand bereit, mal eben vorbeizukommen und mir alles zu erzählen. Das tat er dann auch.
Wenig später saß er mir gegenüber, entschuldigte sich für seine etwas verschmutzten Hände, ich habe ihn nämlich gerade beim Wechseln der Bremsbeläge gestört, aber die Sache sei ihm zu wichtig, um sie schleifen zu lassen.

Also: Bislang sei es immer so gewesen, daß er sich die Sachverhalte selbst zur Brust genommen habe und seitens der Gesellschaft berechtigt gewesen sei, sofort einen Scheck auszustellen. „Wenn da jemandem ein Fahrrad geklaut worden ist, habe ich mir das schildern lassen, die Rechnung und die Diebstahlanzeige zeigen lassen und dann anhand einer Liste einen Scheck ausgestellt.“

Jetzt hat aber der werte Kollege Sonnenschein vor einigen Wochen begonnen, über seinen Kopf hinweg, die Kunden anders abzuspeisen. Machte jemand den Fehler, sich nicht an Herrn Engerling, sondern direkt an die Gesellschaft zu wenden, sandte Herr Sonnenschein den Leuten ein Schreiben, das eine böse Falle enthielt. Die Kunden bekamen nämlich mit dem Schreiben einen Verrechnungsscheck, der aber nur einen Bruchteil der fälligen Entschädigung ausmachte. Sie hatten dann die Wahl, entweder diesen Scheck gleich einzulösen oder eine aufwendige und eventuell abschlägig beschiedene und langwierige Prüfung des Sachverhaltes in Kauf zu nehmen, um dann ggf. die volle Summe zu bekommen.
Sozusagen: den Spatz in der Hand, statt der Taube auf dem Dach.

Genau hierüber hat sich zwischen Sonnenschein und Engerling ein Streit entfacht, der darin gipfelte, daß Engerling zu den Leuten hinfuhr und ihnen dennoch direkt Schecks über die volle Summe ausstellte. Ein Verfahren, das die Gesellschaft nicht tolerierte und ihn dann kurzerhand vor die Tür setzte.
Von einer Bereicherung oder dem Abzweigen von Geld konnte also, zumindest nach Herrn Engerlings Schilderungen, keine Rede sein.

„Und was soll ich jetzt machen?“ wollte ich von Herrn Engerling wissen.

„Nix. Einfach alles so lassen wie es ist!“

Er wolle sich jetzt um die Übernahme einer Agentur einer anderen Gesellschaft bemühen und dann könne man ja nochmal schauen. „Vielleicht ist ja bei der neuen Gesellschaft irgendwas dabei, was besser für Sie ist, aber bevor Sie irgendwas ändern, bleiben Sie bloß bei den alten Verträgen. Die ganzen neuen sind doch Schrott.“

Genau so habe ich es gemacht. Herr Sonnenschein wurde nicht mein Freund und ich habe die meisten der alten Verträge behalten und sie sind heute noch gültig. Ein paar andere habe ich zu Herrn Engerlings neuer Gesellschaft umgezogen, manchmal gar nicht, weil sie billiger waren, sondern weil ich mich einfach von ihm besser betreut fühle als von der strahlenden Karojacke.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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#Lektorin A #sonnenschein #windhund

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