Das Ehepaar Klebner war seit 44 Jahren verheiratet. Nur zu gern hätte Frau Klebner noch die goldene Hochzeit mit ihrem Mann gefeiert, aber der plötzliche Herztod ihres Gatten hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Und überhaupt war Frau Klebner eher an den äußerlichen Umständen einer Ehe interessiert gewesen, als an ihrem Ehemann selbst.
Der hatte, und das bekundete sie mehrmals, ihr eigentlich nur Ärger gemacht und war mehr oder weniger ein Säufer, Herumtreiber und ein eher verantwortungsloser Mensch gewesen.
„Da ist das Billigste gerade gut genug, aber ich nehme von allem genau eine Stufe höher als billig; wegen der Leute; man will sich ja nichts nachsagen lassen.“
Frau Klebner hatte Lothar mit in die Ehe gebracht, einen heute knapp 50jährigen, der etwas grenzdebil aus der Wäsche schaute und auf mich den Eindruck machte, als könne er nicht bis drei zählen.
Außer Lothar und Frau Klebner war auch Rita ins Bestattungsinstitut gekommen, die leibliche Tochter von Frau Klebner und ihrem verstorbenen Gatten und somit die Halbschwester von Lothar.
Daß zwischen den drei Personen etwas nicht stimmte, war augenfällig. Lothar und seine Mutter schnitten Rita das Wort ab, sobald sie sich zu den vielen von mir gestellten Fragen auch nur ansatzweise äußern wollte.
Bei der Auswahl des Sarges wurde Rita barsch von ihrer Mutter abgewiesen: „Das machen wir, wir haben Papa schließlich lieb gehabt.“
Es steht mir als Bestatter nicht zu, da näher nachzufragen, doch ließ sich mein Erstaunen über dieses merkwürdige Verhalten nicht verbergen; ich pflege dann immer eine Augenbraue hochzuziehen.
Rita bemerkte das, machte eine kaum wahrnehmbare abwiegelnde Handbewegung und kam später, als die anderen beiden bei den Urnen standen, zu mir und erzählte mir, daß sie schon mit 16 Jahren von zu Hause ausgezogen sei, zu einem Freund, den ihre Eltern nicht gutgeheißen hätten. Um diesen Auszug habe es damals ein Riesentheater gegeben, das noch gesteigert worden war, als Rita bald darauf von diesem Freund schwanger wurde und der daraufhin das Weite gesucht hatte.
Allein habe sie sich seitdem durchgeschlagen und es trotzdem geschafft. „Ich habe einen Beruf, meine Tochter hat ihre Ausbildung auch fertig und wir zwei leben gut; bescheiden zwar, aber gut. Mit meiner Familie habe ich eigentlich seit Jahren keinen Kontakt, es dreht sich immer alles nur um Lothar.“
Wie stark der Hass auf Rita war, merkte ich, als ich später mit der Familie über den amtlichen Formularen saß und die obligatorische Frage nach dem Vermögen und Erbe stellen mußte.
Das will bei uns das Standesamt so haben, denn von der Beantwortung dieser Frage ist abhängig, ob eventuell vorhandenes Erbe amtlich gesichert werden muß und inwieweit sich das Nachlassgericht einschaltet.
„Je, nee, das ist ja alles geregelt. Die Rita, die kriegt ja nix. Mein Mann und ich haben ein Ehegattentestament aufgesetzt und der Lothar ist der Schlußerbe. Ich erbe also jetzt alles, vor allem das Häuschen, das mein Mann von der Oma hat, und wenn ich dann mal tot bin, dann erbt mein Lothar alles.“
Wieder zog ich meine Augenbraue hoch. „Ich bin ja kein Anwalt, aber ich glaube kaum, daß das so geht“, sagte ich. „Am Besten wird es sein, Sie gehen einmal zum Notariat oder Nachlassgericht und lassen sich beraten.“
„Wieso soll das denn nicht gehen?“, fragte Lothar: „Erst kricht Mutta allet und dann wenn die tot is‘ krich ich allet. Allet völlich normal, ey.“
„Na ja“, meldete sich Rita zu Wort: „Der Pflichtteil steht mir ja sowieso zu. Nicht, daß ihr meint, ich hätte mich da schon mal erkundigt, es konnte ja niemand wissen, daß Papa stirbt, aber soviel ich weiß steht Mama die Hälfte zu und mir wenigstens ein Viertel.“
„Und genau deswegen haben Papa und ich das Testament gemacht!“, schrie Frau Klebner erzürnt. „Du bekommst nämlich gar nichts. Derjenige von uns Ehegatten, der den anderen überlebt, der erbt erstmal alles und als Schlußerbe steht der Lothar im Testament und nicht du.“
„Mir ist es ja eigentlich fast egal, aber wenn ihr so blöde daher kommt, dann werde ich mich einfach auch mal erkundigen“, sagte Rita und lächelte kopfschüttelnd.
Frau Klebner lehnte sich entspannt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste breit. „Hab‘ ich mich schon erkundigt, liebe Rita! Ich habe mich mit guten Bekannten unterhalten. Ich muß nämlich nur das Erbe ausschlagen, dann erbt Lothar als testamentarischer Schlußerbe alles. Und genau das werde ich nämlich auch tun.“
„Ich versuche trotzdem, einen Erbschein zu bekommen“, verkündete Rita, klappte ihr Notizbuch zu, lächelte einmal in die Runde, tippte zum Gruß einmal kurz mit den ausgestreckten Mittelfinger seitlich an die Stirn und verließ das Beratungszimmer.
Tja …
Herr Klebner wurde eingeäschert, 14 Tage später war die Urnentrauerfeier. Etwa 25 Personen waren gekommen, um von ihm Abschied zu nehmen, fast alles Arbeitskollegen und Vereinsfreunde von der ‚Harmonie 1871‘.
Die Vereinsfreunde sangen noch zwei ergreifende Lieder, jeder Bestatter fängt da normalerweise an zu gähnen. ‚Ich hatt einmal einen Kameraden‘ und ‚Time to say goodbye‘. War trotzdem schön.
Einige Monate später kam Rita ins Bestattungshaus und wollte sich nach einem guten Steinmetz erkundigen. Der Vater solle doch statt des ärmlichen Holzkreuzes nun endlich einen stattlichen Grabstein bekommen.
Gerne war ich ihr bei der Auswahl behilflich. Dazu spazierte ich mit ihr über den Friedhof und wir schauten uns verschiedene Grabsteine an. Bei dem einen gefiel ihr die Form, bei einem anderen die Schriftart und wieder bei einem anderen das Material. Bald schon hatte ich die erforderlichen Punkte beisammen und so konnte sie, mit einer gewissen Vorstellung und Vorauswahl zu einem befreundeten Steinmetz gehen.
Während unseres Spaziergangs über den Friedhof hatte Rita Gelegenheit, mir zu erzählen, wie es mit dem Erbe weitergegangen war.
Frau Klebner hatte nämlich völlig falsch gelegen und tatsächlich das Erbe ausgeschlagen. Das war eine sehr dumme Idee, denn so war sie mit einem Schlag beim Erbe außen vor. Lothar wollte nun als im Testament genannter Schlußerbe einen Erbschein haben, hatte diesen aber nicht bekommen. Das Testament sehe eine gewisse Reihenfolge vor, diese sei durch die Erbausschlagung seiner Mutter unterbrochen, somit der Wille des Erblassers nicht mehr erfüllt und da er in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnis zum Verstorbene stand, müsse er nun leider ebenfalls leer ausgehen.
Gut für Rita, die als einziges leibliches Kind des Verstorbenen mit einem Mal die Alleinerbin von Haus, Grundstück, Aktien und Sparvermögen geworden war.
Hochmut kommt vor dem Fall.
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Gerechtigkeit siegt!
Manchmal hilft es halt doch, Fachleute zu fragen und nicht irgendwelche „Bekannten“…
Das nenn ich mal Karma. Leider kommen solche engstirnigen A…er mit so was viel zu oft durch, wobei der Pflichtteil meines Wissens nicht ausgeschlossen werden kann, sprich, auf den hat eine Erbberechtigte auf jeden Fall Anspruch, egal was der Erblasser in sein Testament schreibt.
Der Pflichtteil kann unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen werden. Typischer Grund wäre z.B. ein Mordversuch.
Je nachdem gibts auch weitere Gründe, dass jemand auf seinen Pflichtteil verzichten muss.
In der Schweiz führen nicht nur „schwere Straftaten“, sondern auch die Verletzung familienrechtlicher Pflichten (z.B. die Nichtbezahlung von Unterhaltsbeiträgen) zur Enterbung. Im Grunde genommen kann ein hilfsbedürftiger Erblasser jemanden wegen mangelnder Hilfeleistung enterben, aber das führt regelmässig zu netten Streitigkeiten durch alle gerichtlichen Instanzen…
Und zahlungsunfähige Erben erhalten nur die Hälfte ihres Pflichtteils – was der Erbe nicht erhält, erhalten seine vorhandenen und später (!) geborenen Kinder. Tick, Trick und Track werden also irgendwann ganz reich…
„Karma“, sehr gut!
Ähm, nein. Und dir sei empfohlen deinen eigenen Rat zu befolgen.
Für weitere Informationen mögen man BGB §2336 ff konsultieren.
Hups 😀
Und die Mutter war womöglich auch noch die Bestattungspflichtige?
wahrscheinlich ja, ist ja schließlich die Ehefrau
Allerdings trägt die Kosten trotzden – soweit vorhanden – die Erbmasse. Also die Konstellation in der es durchaus mal Stress geben kann, Person 1 ist der Erbe und Person 2 ist der Bestattungspflichtige (und erbt ggf. nichts); Person 2 kann also ggf. versuchen alles so teuer wie nur möglich zu machen um Person 2 zu „schaden“
„… um Person 1 zu schaden“
Treffliches Ende. Klasse!
Wie das Leben so spielt, der Eine ist totgut, der Andere gut tot. 😉
Könnte ein Märchen sein, wenn es nicht so bitter ernst wäre …
Ein kleines hämisches Kichern konnte ich mir nicht verkneifen.
Wie war das doch gleich mit ‚anderen eine Grube graben‘?
Herrlich!
Das Ende gefällt mir auch.
Mir geht es da wie dir.
Wer andern eine Grube gräbt, hat ein Grubengrabgerät.
:o)
Das Ende der Geschichte gefällt mir.
„bei Bekannten erkundigt“ *tztztz*
Wer andern eine Grube grubt, sich selber in die Hose pupt!
Und wer anderen eine Grube gräbt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Schöne Geschichte! 🙂
Und wegen genau solchem Halbwissen, was sich gerne an Stammtischen oder im Internet verbreitet, frag ich zu allem lieber einen Fachmann. Mindestens den Anruf bei der kostenlosen Hotline der eigenen Rechtsschutzversicherung sollte man sich leisten (ganz zu schweigen von der Versicherung selbst). Letztendlich können sich auch Fachleute gewaltig irren, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch sehr viel geringer.
Wenn ich als Laie dagegen selbst „herumdoktor“, dann kann ich die Situation ganz schnell für mich verschlimmern – so wird mal schnell aus dem Widerspruch gegen ein Parkticket eine Selbstanzeige wegen Massenmordes oder so… 😉
Oh, wie schön fies… 😀
Karma is a bitch. Faith is a whore. 🙂
Ich freue mich sehr für Rita, dass das am ende eine (halbwegs) glückliche Wendung nahm …
wobei ich trotzdem solche Familiengeschichten echt traurig finde …
Hochmut sollte schneller und öfter zu Fall kommen.
Schlau gedacht ist nicht immer schlau gemacht wie man mal wieder sieht. Und schon lacht der ( oder in diesem Fall die) dritte sich einen Ast, richtig so ! ! !
Das Ende der Geschichte ließ mich lächeln.