Geschichten

Die Jacke des Todes

Wenn ich als kleines Kind mal einen Krümel am Mund hängen hatte, machte Tante Röschen immer die Handtasche des Schreckens auf.
In dieser Handtasche, die enorme Ausmaße hatte, befanden sich neben den überlebenswichtigen Konservenvorräten (der Russe könnte ja kommen), auch ein Stofftaschentuch von der Größe einer Tischdecke.
Das wickelte sie dann um ihre gar nicht schlanken Finger, bis nur noch ein Zipfel hervorlugte, und den Zipfel machte sie dann naß.

Mit Spucke!

Und mit diesem vollgesabberten Witwenlumpen wischte mir die Tante dann im Gesicht herum. Ekelhaft!

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Aber nicht deshalb war die Handtasche der Tante die Tasche des Schreckens, sondern weil aus dieser Tasche immer so ein grauenvoller Gestank empor stieg.

„Tante Röschen“, frug ich eines Tages: „Sachma, ist in Deiner Tasche irgendwann mal ein Wiesel verendet?“

„Goldig, der kleine Peter“, lachte sie und fragte zurück, wie ich denn darauf käme.

„Na, weil’s aus Deiner Tasche so erbärmlich stinkt.“

Große Aufregung im gesamten Kaffeekränzchen. Alle versammelten alten Frauen öffneten ihre Handtaschen und der Höllengestank multiplizierte sich. Wie auf ein geheimes Kommando aus der 4711-Zentrale zogen alle alten Weiber ein Fläschchen Tosca aus ihren Taschen. „Aber Peter, das ist doch Tosca!“

toska-der-duft-des-todes

Tosca! 1921 von einem Parfümmacher ohne Geruchssinn kreiert, zusammengeschüttet aus dem abtropfenden Leichenwasser frisch geschlachteter Hühner und dem Brunftsekret toter Aale, meiner Meinung nach.

Ich weiß gar nicht, wie diese Brühe neben Chanel No. 5 das erfolgreichste Parfüm der Welt werden konnte. Ist mir schleierhaft. Wie kann man sich mit einer Plörre, die nach eingemachtem Altersheim riecht, einsprühen?

Meine Tanten taten es. Und sie sprühten mich ein. „Riech doch mal, das riecht lecker!“

Nein, tat es nicht, es stank! Und wenn ich eines Tages einmal Hautkrebs bekomme, dann sage mir keiner, ich sei zu lange in der Sonne gewesen!

Die Tanten waren alle schon älter und sie starben dann auch bald, eine nach der anderen. Ich verbrachte deshalb große Teile meiner Kindheit in Leichenhallen. In Leichenhallen, in denen es nach Lilien und Tosca roch.

Tosca ist für mich von diesem Zeitpunkt an der Duft des Todes.

Inzwischen riecht man nicht mehr so oft Tosca. Es scheint wohl doch etwas aus der Mode gekommen zu sein. Nur wenn man ins Altersheim kommt, liegt über dem nach Chlor riechenden Linoleum diese wabbernde Nebelschicht aus Tosca.
Und ich bin mir sicher: Würde man diesen Nebel lange genug beobachten, und würde man herausfinden unter welcher Tür er hindurch in welches Zimmer zieht, man könnte mit Bestimmtheit voraussagen, wer als nächstes stirbt.

Ich kann allen Bestattern nur raten: Kauft euch Tosca!
Sprüht damit überreife Kandidaten auf der Straße ein und ihr werdet sehen, am selben Tag noch rufen die Angehörigen bei euch an.

Es gibt aber noch ein solches Todesindiz. Die Bekleidung.

Beigefarbene Popelinejacken, grau bis hellblaue Stretchhosen mit Feinrippmuster (die bis weit über den Nabel hochgezogen sein müssen) und Bequemschuhe mit Klettverschluss.

Ich brauche da gar nicht hinten aufs Etikett zu gucken, da steht fast immer „Adler“ drin.

Diese Klamotten sind so häßlich, daß ich gar nicht begreife, warum alte Herrschaften sich das offensichtlich kollektiv kaufen. Erzähle mir jetzt keiner, das sei alles so bequem und als alter Mensch käme man in normales Schuhwerk nicht mehr rein.

Aber, wer so etwas trägt, der könnte sich auch gleich ein Schild umhängen:

]Sensenmann, bitte hole mich!]

Gut, man kann sich auch eine alte A-Klasse von Mercedes kaufen, damit zeigt man auch, daß man eigentlich lieber auf dem Friedhof wohnen würde.

Aber: Muß das sein?

Na ja, immerhin riechen Senioren-Klamotten und A-Klasse-Autos nicht nach Tosca!

Beige Popelinejacken, liebe Rentner, werden nicht weniger häßlich, wenn ihr beide sie im Partnerlook tragt, echt jetzt!
Wenn ich Leute in meinem Alter oder älter in Partnerlook sehe, bekommt „The Walking Dead“ eine ganz neue Bedeutung für mich.

Bild Tosca: Wikimedia. Benutzer Eiskalter, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11623123
Bild: Schädel: PD Pixabay.com

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