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88 Jahre tot in der Wohnung gelegen

Einmal im Jahr bekommt der Mitarbeiter der Abrechnungsfirma von der Hausverwaltung einen dicken Schlüsselbund und macht sich, mit einer Hausbewohnerin als Zeugin, auf den Weg durch das ganze Haus, um vom Keller bis zum Obergeschoß an allen Heizkörpern den Verbrauch abzulesen und neue Röhrchen einzustecken.

Mir wäre das ja nicht recht, wenn die einfach in meine Wohnung gingen, aber in diesem Haus wohnen nur Ältere und da war das schon immer so, die meisten sind sowieso da und bei den anderen spart man sich einen zweiten Ablesetermin.

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In der Wohnung im ersten Obergeschoß links sah zunächst alles vollkommen normal aus, die Bewohnerin, eine ältere Dame, muß wohl verreist sein, nahmen die beiden Besucher an. Zunächst wurde rechts im Bad abgelesen, Warmwasser und Heizung, dann links im Gang, dann rechts in der Küche und anschließend auf der linken Seite im Schlafzimmer. Die Zeugin aus dem Haus, ebenfalls schon etwas betagt, macht das seit Jahren, obwohl ihr das eher unangenehm ist. Sie soll ja sicherstellen, daß nichts wegkommt und daß hinterher keiner sagen kann, der Ableser hätte was kaputtgemacht oder beschmutzt. Sie blieb im Gang stehen und sah dem Ableser zu, der zunächst mal den Rolladen etwas hochzog um Licht und Luft ins Zimmer zu lassen.
Während der sich dem Heizkörper zuwandte, schaute die Zeugin mal vorsichtig ins Zimmer und warf einen Blick aufs Bett.

Dort kam ihr etwas merkwürdig vor, denn es schien seltsam ungemacht. Sie ist dann näher herangetreten und sah einige Haare unter der weit hochgezogenen Bettdecke hervorschauen. Es war dann der Heizungsmann, der nachschaute und die Bettdecke etwas zurückschlug. Dort lag die teilmumifizierte Leiche der Hausbewohnerin, die schon vor längerer Zeit verstorben sein muß.

Es folgte das Übliche: Polizei, Notarzt, Kripo und wenig später wurden wir gerufen. Obwohl man sich allseits sicher war, daß die 88-jährige Dame eines natürlichen Todes gestorben sein muß, sollte sie in die Rechtsmedizin.
Die Kripo macht in solchen Fällen nicht viel, es ist alles längst nicht so dramatisch wie man es sich als Fernsehzuschauer so vorstellt. Da kommt kein CSI, kein CIS, ja nicht mal jemand von der CSU.
Kein geheimnisvolles Blaulicht, keine zwei Dutzend Leute in weißer Einmalkleidung, nichts.

Die Kripobeamten haben noch Leute im Haus befragt und während unsere Leute die Leiche bargen, redeten die beiden Beamten klassisch aneinander vorbei, während sie sich ihre Notizen machten.

Schließlich sagte der eine zum anderen: „Wie alt ist die denn und wie lange liegt die hier?“
Der andere, der den Ausweis der Verstorbenen in den Händen hielt sagt nur: „88.“

„Wie, so lange?“

„Was?“

„Die liegt doch keine 88 Jahre hier.“

„Nee, die ist 88.“

„Ach so.“

Man schätzt, die Dame habe schon acht bis zehn Monate da gelegen. Aufgefallen ist das deshalb keinem, weil die Frau alle paar Jahre den Sommer bei einer Bekannten in Frankreich verbrachte und man annahm, das sei auch in diesem Jahr mal wieder der Fall. Na ja.

Verwandte gibt es keine und da niemand Einrede einlegen kann, werden wir die Dame später auch bestatten. Reihengrab, Erdbestattung, Palmensarg, weißes Totenhemd, dünne Decke, keine Trauerfeier, ein Pfarrer kommt nur ans Grab, aber auch das nur, weil wir immer einen bestellen. Die Ortspolizeibehörde und das Ordnungs- und Friedhofsamt werden anhand der Unterlagen in der Wohnung ermitteln, wie viel Geld da ist, davon wird zunächst diese einfache Bestattung geregelt, dann kommen die Haushaltsentrümpler und die Erinnerungen eines langen Lebens landen komplett auf dem Müll.

Es bleibt nicht viel von einem langen Leben.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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(©si)