Menschen

Als die Royal Air Force unseren Kanzler ermordete und so

Frau Schebulski hat Ahnung. Nee, ehrlich! Die hat von allem Ahnung, weiß alles, weiß alles besser und kann einfach ihren dummen Mund nicht halten. Das klingt natürlich hart und gar nicht so diplomatisch wie ich mich sonst auszudrücken pflege. Ich beschreibe ja normalerweise auch noch eine Kellerassel als schlankes, langbeiniges Wesen, aber bei Frau Schebulski will mir das nicht gelingen.

„Ist das Fichte?“ fragt sie, deutet auf einen schweren Mahagoni-Sarg und läßt mir gar keine Chance, ihr zu antworten, sondern fährt gleich fort: „Das erkenn‘ ich nämlich, haben wir auch im Schlafzimmer.“

Die einzige Urne aus poliertem Messing erklärt sie zur Kupferurne, sie habe so einen Flaschenöffner aus diesem Material und außerdem komme die sowieso nicht in Frage, die sei ja so viel größer als die blaue daneben.
Ich stelle beide Urnen nebeneinander auf den Tisch, sie kann sich davon überzeugen, daß sie gleich groß sind und sie nickt bestätigend: „Sach ich doch. Die aus Kupfer ist größer, ist ja klar.“

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So geht das im Ausstellungsraum eine halbe Stunde hin und her und es kommt mir vor, als seien es geschlagene 30 Minuten.
Es ist von vornherein klar, daß ihr Mann einen Kiefernsarg in altdeutscher Beizung mit Palmenschnitzung bekommen wird, denn er hatte schon vor Jahren eine Vorsorge abgeschlossen und alles vorausbestimmt. Das weiß Frau Schebulski, sie will „nur noch ma‘ ebent kucken“.
Auch die Urne, eine ganz einfache Stahlblechurne in Dunkelweinrot, steht fest und auch alles andere ist längst vertraglich fixiert.

„Das hat mein Mann ja gemacht, wo die Preise grad ganz unten waren. Das wird Ihnen natürlich nicht gefallen, weil Sie das uns jetzt ganz billig machen müssen, aber mein Franz war da ein Fuchs, der hat sogar die Ölpreise und das mit dem Gold jeden Tag in der Zeitung studiert. Dem machte so schnell keiner was vor.“

Aus einem Reflex heraus, der aber im Grunde nur den Reflux verhindern soll, stelle ich richtig, daß es im Bestattungsgewerbe keine tagesaktuellen Preisschwankungen gibt und daß man einfach das bezahlen muß was es kostet und daß ihr Mann schon zweimal eine Nachzahlung geleistet hat, weil inzwischen das Sterbegeld weggefallen ist und die Verwaltung die Grabgebühren kräftig erhöht hat.

„Sehen’se, der kannte sich aus, da wären Sie vermutlich gar nicht drauf gekommen“, lautet ihre Antwort.

Als wir zusammen über den Papieren und Formularen sitzen, legt sie mir das Stammbuch von Franz Schebulskis Eltern hin. Ich erkläre ihr, daß ich damit nichts anfagen kann, wenn schon dann bräuchte ich ihr eigenes Stammbuch mit der Heiratsurkunde, aber nicht das von den Eltern der Verstorbenen.

„Ja wieso das denn? Sagen Sie mal, Sie kennen sich aber auch überhaupt nicht aus, was? Als mein Schwiegervater vor zwölf Jahren gestorben ist, da haben wir das Stammbuch hier näm’ich doch gebraucht. Gucken Sie hier, da ist die Sterbeurkunde von dem drinne.“

Ich habe noch gar nichts gegessen an diesem Tag und trotzdem will mir ein ganzer gefüllter 40-Pfund-Truthahn hochkommen. Einmal kurz die Augen zumachen, tief durchatmen und dann erklären, daß das Stammbuch für den Sterbefall von damals völlig richtig war, man aber jetzt eben eine Heiratsurkunde oder ein Stammbuch mit Heiratsurkunde von ihr und ihrem Mann braucht. Ganz freundlich, ganz geduldig und schön langsam.

„“Das versteh‘ ich gezz abba nich‘, hat sich das geändert?“

„Nein, Stammbuch ist gut, aber immer das Stammbuch vom Verstorbenen.“

„Da steht der doch drin!“ sagt sie, rollt mit den Augen und schüttelt ob meiner Renitenz mit dem Kopf und schlägt das Buch in der Mitte auf, wo 1941 Pastor Alfons Schmandzan die Taufe des kleinen Franz eingetragen hat.

„Nein, ich brauche eine Heiratsurkunde von Ihnen und Ihrem Mann.“

„Ist das keine?“

„Nein, das ist sein Taufeintrag.“

„Nee, datt is‘ seine Geburtsurkunde.“

„Das wäre seine Geburtsurkunde, wenn die Geburt sechs Tage gedauert hätte, der katholische Pfarrer die Entbindung vorgenommen hätte und man das Beträufeln des Kindes als erste Waschung ansehen würde.“

„Taufe? Nee stimmt, ich hab ja recht, Sie sind ganz falsch, Sie liegen total daneben, datt is‘ die Taufurkunde.“

„Also wiegesagt, eine Heiratsurkunde brauche ich.“

„Habbich auch!“ ruft Frau Schebulski triumphierend und zückt eine zweimal gefaltete Urkunde aus ihrer Handtasche. Sie hat diese Urkunde in einem alten grauen Bundespersonalausweis. Nur die Älteren werden sich noch dran erinnern, daß es früher noch keine einlaminierten Kartenausweise gab, sondern ein kleines graues Büchlein mit etlichen Seiten. So wie der Reisepass heute, nur halb so groß und grau.
So einen Ausweis habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, deshalb frage ich: „Ach, Sie haben noch den schönen alten Ausweis?“

„Ja sicher! Den geb‘ ich auch nich‘ her.“

„Der muss doch aber längst abgelaufen sein.“

„Der is‘ sogar entwertet und gelocht, aber ich geb‘ den nich‘ her. Der is‘ näm’ich sicherer.“

„Ach was!“

„Doch! Mit dem neuen Ausweis kann die Regierung einen orten. Ich hab den neuen Ausweis in Alufolie gewickelt, gestochen und innen Kühlschrank gelegt.“

„Was haben Sie gemacht?“

„Gelocht, in Folie und innen Kühlschrank…“

„Wie gelocht?“

„Mit ’ner Nadel.“

„Aha, und warum?“

„Haben alle meine Bekannten auch so gemacht.“

„Weshalb?“

„Ja, da muß man eine Nadel heiß machen und rechts neben dem Bild, wo der Name nochma‘ eingeprächt is‘, ein Loch reinbohren. Dann ist die Ortung kaputt. Sonst weiß die Regierung immer wo man is‘.“

„Ach, und wenn man mit einer Nadel ein Loch reinmacht, geht das nicht mehr.“

„Dann is‘ der Chips kaputt“, sagt Frau Schebulski im Brustton der Überzeugung, nickt zur Bestätigung ganz heftig und erklärt dann noch, sie habe ihren Ausweis sowieso noch nie zeigen müssen. Ins Ausland gehe sie nicht, mit den Behörden habe sie auch nichts zu schaffen. Ihr Mann habe ja immer seinen Ausweis ‚mitgehabt‘, das habe gereicht.“

„Ach, und den Ausweis Ihres Mannes konnte man nicht orten?“

„Mensch, der war doch auch gelocht und in Alu.“

„Stimmt ja“, bestätige ich mal ihre komische These und beginne, die Daten von der Heiratsurkunde in den Standesamtsbogen einzutragen.

Sie plappert weiter: „Deshalb hat mein Mann vor Ewigkeiten ja auch datt Radio mit den magischen Auge mit eine Tischdecke zugehängt, da konnte die Regierung ja früher immer zukucken, was man im Wohnzimmer so machte. Und als die Autos mit der Servuslenkung rauskamen, waren wir auch dagegen.“

„Sie meinen Servolenkung.“

„Ja, noch schlimmer!“

„Wieso?“

„Ist doch seit der Helmut Schmidt dran war, da hatten wir das doch mit den Terroristen von den Engländern.“

„Terroristen? Von den Engländern?“

„Ja, deswegen haben wir doch die ganze Bespitzelung, wegen der RAF.“ (Sie sagt das wie RAFF in Raffzahn.)

„RAFF?“ wiederhole ich fragend und sie ist in ihrem Element:

„Ja, sieht man doch in denen Kriegsfilmen, da steht auf den Fluchzeugen von den Engländern auch immer RAFF und die haben dann die ganzen Kanzler hier bei uns erschossen und so.“

„Sie meinen die R-A-F? Das heißt aber auf dem Flugzeugen ‚Royal Air Force‘ und bei den Terroristen ‚Rote Armee Fraktion‘.“

„Sehen’se, sach ich doch! Und genau seitdem der Schmidt da dieses Fluchzeuch in Monaco befreit hat, da haben wir das mit der Bespitzelung. Die wissen ja von jedem ganz genau, wo er sich aufhält. Was meinen Sie wie die uns kontrollieren, jetzt mit den ganzen Computern und so. Mein Mann hat ja immer gesagt: ‚Was billig ist, das kostet wenig‘ und damit hat er recht gehabt, da können Sie mir jetzt sagen, was sie wollen.“

Ich sage gar nichts, vor soviel Weisheit des alten Schebulski kapituliere ich. So und jetzt muß ich mal gucken wo ich eine heiße Nadel her bekomme. Hat jemand Alu-Folie?

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