Eben noch Idyll, schon harkt sich das Leben und Sterben grausam und abrupt in unser Tun. Manni und Sandy müssen raus, ein Sterbefall, die Polizei hat uns gerufen.
Eine knappe Stunde später sind sie wieder da, gehen sich erst mal umziehen und waschen, dann sitzen sie wieder bei uns, seltsam ruhig. „War’s schlimm?“ frage ich und Sandy nickt stumm. Manni verdreht die Augen und erzählt dann, daß der junge Mann, der jetzt unten in unserem Kühlraum liegt, erst 26 Jahre alt war und daß er von seiner Freundin aus dem dritten Stock vom Balkon geworfen worden sein soll.
Weil uns das allen die Stimmung ein bißchen verhagelt und weil Oberseniorenrat Nasweis-Lästig um Punkt drei Uhr seinen benzingetriebenen Rasenmäher Marke „Walhalla“ anwirft und mit ohrenbetörendem Lärm seinem hemmungslos wuchernden Graswuchs entgegentritt, verziehen wir uns wieder in die Büros und an unsere Arbeit.
Drüben auf der anderen Straßenseite, so erzählt mir später die Gemüsefrau, liegt seit drei Jahren eine alte Frau nach einem Gehirnschlag als Pflegefall danieder und wurde letzte Woche 93 Jahre alt. Hätte die nicht an der Reihe sein können? Müssen es immer so junge Leute sein?
Ich kenne die Gegend, in der Bodo gewohnt hat. Es ist eine Siedlung, die von gleichförmigen fünfstöckigen Häuserreihen einer Wohnbaugenossenschaft geprägt ist. Das soziale Umfeld schwankt von Haus zu Haus. In Hausnummer 4 steht die Haustüre den ganzen Tag offen, es riecht nach Urin und Babykotze, sämtliche Briefkästen sind an einer Ecke hochgebogen und aus vielen lugen die bekannten gelben Umschläge des Amtsgerichtes heraus. Überall liegen zerfledderte Werbeblättchen und Prospekte herum.
Schon Haus Nr. 6 bietet ein ganz anderes Bild: Alles blitzsauber, es riecht nach essigsauberem Dauerputzen und an den Fenstern sieht man Gardinen und Grünpflanzen. In Haus Nr. 8 sieht es noch besser aus, hier wurden die Wohnungen inzwischen an die ehemaligen Mieter verkauft und man achtet auf sein Haus.
Bodo Knieriem ist vom Balkon der dritten Etage eben dieses Hauses Nummer 8 heruntergestoßen worden. Daran gibt es keinen Zweifel, zum einen kündet noch im Wind wehendes rot-weißes Flatterband der Polizei von der Stelle, an der Bodo gelegen hat und dann hatte unmittelbar nach dem Sturz Elke Angele, seine Freundin, bei der Polizei angerufen und durchgegeben, sie habe soeben ihren Verlobten aus dem Fenster geschmissen.
Aus dem dritten Stock zu fallen, das endet leider manchmal tödlich, es reichen schon wesentlich geringere Höhen, um sich den Hals zu brechen. In Bodos Fall kam erschwerend hinzu, daß er auf den Kopf gefallen ist. Ich möchte nicht näher beschreiben, wie das aussieht, jedenfalls wurde er mit einem blauen Plastiksack über dem Kopf abtransportiert. Eine Abschiednahme am offenen Sarg ist somit -ohne übertriebenen Aufwand- ausgeschlossen.
Noch am selben Tag haben wir Bodo in die Rechtsmedizin gebracht und heute die Freigabe von der Staatsanwaltschaft erhalten. Das ist so eine besondere Situation hier, denn das Rechtsmedizinische Institut von Professor Schneidhammer ist in der Nachbarstadt. Unsere Polizei hier hat einen Vertrag mit mehreren Bestattern hier, die abwechselnd im Auftrag der Polizei Unfallopfer und Opfer von Gewalttaten bzw. Fundtote vom Sterbe- oder Auffindungsort abholen. Das Rechtsmedizinische Institut hingegen hat einen festen Vertrag mit der Pietät Eichenlaub, die von dort die Obduzierten wieder zu den Bestattern zurückbringen.
Das nutzt dann die Pietät Eichenlaub immer mal wieder aus, indem sie bei den Angehörigen anruft und andeutet, man habe den Toten jetzt auf dem Wagen und die Angehörigen könnten einiges an Geld sparen, wenn sie den Bestattungsauftrag jetzt auch den Eichenlaubern erteilen würden. Wir kennen ja den Bestatterspruch: Wer die Leiche hat, hat auch den Auftrag.
So kam es, daß wir Bodo zwar vom Tatort abgeholt hatten, aber nun nicht sicher sein konnten, den Auftrag überhaupt zu bekommen.
Die Angehörigen waren zwei Tage lang überhaupt nicht zu erreichen, offenbar hatten sie wegen der Presse das Telefon ausgehängt. Irgendwann war die Leitung dann wieder frei und noch bevor wir Kontakt bekamen, hatten die Eichenlauber schon dort angerufen.
So entbrannte, wie ich dann erfuhr, unter den Angehörigen eine heftige Diskussion darüber, welcher Bestatter jetzt zu beauftragen sei.
Eine Fraktion war für unser Haus, weil man uns schon von einem anderen Sterbefall kannte, die andere Fraktion stimmte für die Pietät Eichenlaub, weil man dann doch was sparen könne und eine radikale Splittergruppe war sogar dafür einen ganz anderen Bestatter aus der Nachbarstadt zu nehmen.
Warum man sich schließlich für uns entschied, weiß ich noch nicht, jedenfalls kam dann der für uns erlösende Anrufe, daß Bodo zu uns kommt, bei uns bleibt und dann von uns bestattet werden soll.
Heute Nachmittag kommt die Familie, ich bin sehr gespannt.
Episodenliste:
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden
Nachdem ich die beiden Bodoteile auf dem Heimweg von der Arbeit gelesen hatte, hörte ich nur etwa eine halbe Stunde nach dem Betreten des Wohnblocks Sirenen und ging ans Fenster nachsehen: Da lag zwar nicht Bodo und das dargestellte Milieu ist auch nicht anzutreffen, ansonsten glich die Szenerie aber viel zu sehr Peters Text (bis hin zum nicht uneilig abgedeckten Kopf). Und dabei ging es leider nicht nur ums dritte Stockwerk und „unser Bodo“ ist … war … auch kein bloßer Mitanwohner und schon gar keine zweifelhafte Gestalt.
Hätte ich auf der Fahrt lieber eine andere Website aufrufen sollen?
@BK: Es ist nicht die Wirklichkeit, die diesem Blog folgt, sondern dieses Blog beschreibt eben die Wirklichkeit so wie sie ist, war und sein wird.
@Peter Wilhelm: Jedoch ist es normalerweise möglich, deine Bloggeschichten in Gedanken fein säuberlich von der Realität zu trennen. Sind ja oftmals Geschichten von zu bemitleidenden Menschen, die einen niemals betreffen könnten …
@BK:
Die Message des Blogs ist:
Du weiß nicht wann und wo, aber es kann und wird Dich treffen.
Es sei Dir entweder egal, oder Du seiest vorbereitet.
Das Sterben ist wahrscheinlich niemals schön.
Der Tod selbst an sich hat nichts Schreckliches.
Und vor dem was Bestatter tun, muß niemand Angst haben.