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Bruno -6-

Spät ist es und endlich habe ich diesen ominösen Martin erreicht. Besonders freundlich war der nicht, denn er ist Busfahrer, hatte gerade seine Schicht fertig und nach Feierabend sein Handy wieder eingeschaltet. Natürlich sage ich in solchen Fällen nicht „Bestattungshaus soundso“ sondern melde mich nur mit meinem Familiennamen. Er meldet sich mit dem Namen Urban.

Aber was soll ich dann noch lange herumreden? Ich wüßte nicht, über was ich mit dem Fremden Konversation machen könnte, also komme ich gleich zur Sache und frage ihn, ob er einen gewissen Bruno kennt. Nein, einen Bruno kennt er nicht, er kannte mal einen vom Kindergarten oder der Schule her. Ich sage ihm, er soll sich nicht aufregen, aber es sei wichtig und beschreibe ihm Bruno.

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„Na hören Sie mal“, sagt Martin, „Sie rufen mich hier spät abends an und beschreiben mir einen Mann. Sind Sie ein Bulle?“

„Nein, bitte erschrecken Sie nicht, aber ich bin Bestattungsunternehmer und wie Sie sich dann vielleicht auch denken können, ist der Mann, den ich Ihnen beschrieben habe, verstorben.“

„Bitte, sagen Sie, hat der Mann einen deformierten Daumennagel?“ fragt er und ich merke, daß seine Stimme bebt.

Das weiß ich aber nicht und bitte ihn, am Apparat zu bleiben, stelle das Gespräch aufs Schnurlose um und fahre runter in den Keller. Ist ja klar, wenn man es mal eilig hat, steht alles Mögliche im Weg, das Licht braucht ewig um aufzuflackern und ich haue mir das Knie an. Endlich bin ich an der Kühlzelle, sage Martin, er soll mal kurz abwarten und lege das Telefon auf einen Sarg vor der Kühlzelle, die ich dann öffne. Es riecht nach Incidin und Apfelessig. Ich betrachte die Hände von Bruno und tatsächlich, sein rechter Daumennagel ist über die Fingerkuppe gebogen und etwas verkrüppelt, ein Papageiennagel.

„Er hat einen gebogenen Daumennagel“, sage ich zu Martin und bin extrem angespannt, was der mir jetzt sagen wird.
Doch aus der Leitung schweigt es mich nur eisig an, nur ein Atmen ist zu hören.
„Hallo, sind Sie noch dran?“ erkundige ich mich.
„Ja.“
„Ja und, sagt Ihnen das was, das muß Ihnen doch was sagen.“
„Ja“, er atmet wieder schwer.
„Bitte, spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!“

„Hören Sie, ich kann es zwar fast nicht glauben, aber so wie es aussieht ist das mein Bruder Rüdiger.“

Martin wohnt in Westerholt, das liegt am Rand des Ruhrgebietes und kann sich nicht so recht entscheiden, ob es mehr zu Gelsenkirchen oder zu Recklinghausen gehört, manche meinen auch es gehöre zu Marl oder Herten. Jedenfalls gibt es dort einen schönen Teil mit alten Häusern, bei denen die Männer früher abends einen Stuhl rausstellten, um eine Zigarette zu rauchen, wegen der Brandgefahr. Ja und von dort will Martin sofort hierher gefahren kommen.
Ich gebe ihm die Adresse vom „Goldenen Schwan“, dort kann er unterkommen. Das ist mir lieber so, dann taucht er nicht mitten in der Nacht hier auf, irgendwann muß ich ja auch mal schlafen.

Wir verabreden uns für morgen früh um Neun und ich vergesse es auch nicht, Martin noch zu sagen, daß es nicht schlecht wäre, wenn er irgendwelche Personenstandsurkunden seines Bruders mitbringen könnte. Darauf bekomme ich keine Antwort.

Mal sehen, was Martin mir über Rüdiger-Bruno erzählen wird.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#bruno

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