Geschichten

Das Ende vom Lied!

Eine Geschichte, erzählt von Leser Josef:

Es gibt Tage, die entscheidend für das Schicksal sind. Sie verlaufen bis zum Punkt der Erkenntnis total normal.
An diesem Tag war ich gerade an dem Friedhof angekommen, den wir betreuten. Wieder einmal, um die Leuchter zu reinigen und neu mit Kerzen zu bestücken.

Aber vorher ging ich noch ins Café gegenüber, natürlich nur zur Kontaktpflege, versteht sich. Wie immer schmeckte es köstlich, ja ich rieb mich auf für die Firma! Danach ging ich wieder zum Kapellenbau hinüber. Im alten Obduktionsraum begann ich mit der Arbeit. Dieser Raum wurde damals als Lager und Abstellkammer verwendet. Mit dem Heißluftfön ging es sehr zügig. Den feinen Rest des Wachses, der noch an manchen Leuchter klebte, bekam ich mit grober Stahlwolle gut weg.
Ich hatte gerade die Kerzen gewechselt, und wollte den letzten Leuchter wieder in die Kapelle bringen, da hörte ich zarte Schritte im Flur.

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Die neue Friedhofsverwalterin Waltraud kam näher. Wir hatten uns auf Anhieb gemocht, bemühten uns aber es nicht zu zeigen. Ihr braunes Haar leuchtete wunderbar im Sonnenlicht, das durch eine Dachluke herein schien. Aus ihren schönen braunen Augen kamen Blicke, die sich wie Pfeile in mein Herz bohrten.

„Hallo Josef“, sagte sie mit glockenheller Stimme.
Sie hatte ein ganz feines liebreizendes Lächeln, das mein Herz erwärmte. „Hallo“, sagte ich. Ich war froh, dass ich mich an dem Leuchter festhalten konnte.
Wir plauderten ein wenig, aber dann musste sie zu einen Termin weg.

„Vielleicht hast du ja bald mal wieder eine Beerdigung hier. Du bist ja in der letzten Zeit ganz schön selten da“.

„Bestimmt kommt in den nächsten Tagen mal wieder jemand zu uns, dessen Verwandter hier bestattet wird“, gab ich zur Antwort.

Ich schaute ihr durch die große Tür nach, wie sie über den Betriebshof ging und stellte fest, dass ihr das Kleid super stand. Obwohl ich mich ja in einer sehr morbiden Umgebung befand, schweiften meine Gedanken völlig ab.

Ein kleiner Junge mit seiner Mutter kam über den Betriebshof. „Mami, warum hält dieser Mann den Stab so fest?“.
„Guck da nicht so hin, der hat wahrscheinlich zuviel getrunken. Diese Leute vom Friedhof trinken doch alle ständig“.

Ich verkniff mir eine Bemerkung. Aber ich war wieder „wach“ und beendete meine Arbeit. Dann schloss ich die Kapellentür ab und machte mich auf den Weg zurück in die Firma.

Dort angekommen stellte ich fest, das bald Mittagspause war. Man halte mich nicht für faul. Nein, es gab einfach nichts zu tun. Ich sah es schon kommen, es würde mal wieder ein langweiliger Nachmittag werden.

In den letzten zwei bis drei Jahren war die Arbeit immer weniger geworden. Es kamen kaum noch Aufträge herein. Sämtliche Routinearbeiten waren schon lange erledigt, sodass es inzwischen sogar schon ein wöchentliches Highlight war, die Leuchter zu putzen.

Als ich nach der Pause wieder in der Firma eintraf, bestätigte sich meine Vermutung. Wieder keine Arbeit!
Ich suchte nach Ecken, die ich erst vor kurzem gefegt hatte, fegte sie erneut und dann? Ich setzte mich in den Leichenwagen, und ließ meine Gedanken schweifen.
Das Jahr hatte gerade angefangen, und ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei. Es machte mir zu schaffen, dass ich meinem Chef so viel Geld kostete, und dann keine Gegenleistung dafür erbringen konnte. Über meiner Grübelei schlief ich irgendwann ein.

In meinem Traum erschien mir die schöne Waltraud. Wir waren an einem schönen See und sie hatte nicht viel an. Ein schöner Traum, der mich lächeln ließ.
Gerade wollte ich igendetwas Romantisches zu ihr sagen, da riß das Klingeln meines Handys mich aus dem Traum.

Aus der Traum!

„Lieber Josef, kommst du mal in das Büro, wenn du Zeit hast?“, säuselte mein Chef aus dem Hörer.
Ich hatte ein mulmiges Gefühl, denn in den ganzen zwanzig Jahren war er nicht einmal so süßfreundlich zu mir gewesen.
Und mein Gefühl sollte mich nicht trügen.

Als ich das Büro betrat, hatte er ein Blatt Papier in seiner Hand. Im Raum roch es nach seinem seltsamen Pfeifentabak, der irgendwie an verbrannte Spanplatte erinnerte.

„Es wird Zeit, dass wir uns nach einem Nachfolger für mich umsehen!“, sagte mein Chef.

Ein Nachfolger für ihn? Klar, das klang harmlos, aber ich wußte, was das für mich bedeuten würde.

Er erläuterte mir, dass er den heruntergewirtschafteten Laden an einen Tischler verkauft habe.
„Ab Juni kannst Du dann die restliche Kündigungsfrist noch beim Neuen abarbeiten. Ich glaube kaum, daß der genug Arbeit für Dich hat, der hat ja auch genug eigene Leute.“

Was blieb mir übrig? Zum Schluss unterschrieb ich meine Kündigung. Zwanzig Jahre waren in zehn Minuten abgewickelt.

Als ich wieder im Sarglager ankam, musste ich mich verständlicherweise erstmal setzen. Dann ging ich im ganzen Lager herum, um Abschied zu nehmen. Über 15.000 Stunden hatte ich hier gearbeitet, Särge ausgestattet, Griffe angeschraubt, Sarg um Sarg gestapelt…

Noch zwei Monate würde ich hier arbeiten, das war es dann.

Viel schlimmer war der Gedanke daran, meiner Familie beim Abendbrot davon erzählen zu müssen.
Ich hatte einen Kloß im Hals wie noch nie in meinem Leben.
Ich rauchte noch zwei Stück, aber es half alles nichts. Es war Feierabend, ich machte das Licht aus, und schloss die Tür ab.

Es war schönes Wetter, als ich mit dieser Hiobsbotschaft im Gepäck heimwärts radelte.

Unterwegs fingen meine Augen an zu tränen, diese beschissene Pollenallergie…

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