Geschichten

Das Schwein -IV-

Der nächste Tag beginnt mit einem Knall.
Nein, er beginnt zunächst scheinbar normal. Ich begleite Manni zum Bestattungsinstitut des Kollegen, der das 14-jährige Mädchen zum Rechtsmedizinischen Institut gebracht und nach der Obduktion mit der Freigabe von dort auch wieder abgeholt hatte.
Ich kann nichts Negatives über diesen Kollegen sagen, er arbeitet ordentlich, aber ich vermisse immer ein wenig die Herzlichkeit und so gestaltet sich die Herausgabe des Mädchens wie das Übergeben eines Versandpackstücks am Verladebahnhof.

Sie ist in ein weißes Tuch gehüllt, wir heben sie mit dem Tuch in unseren Transportsarg und fahren sie zu uns. Während ich nach dem Ausladen den Bestattungswagen in der Tiefgarage noch für den nächsten Einsatz fertig mache, bringt Manni das Mädchen in unseren Behandlungsraum.

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Dann stehen wir da und keiner von uns will so recht ran…
Ich fasse einen Zipfel des Tuches und ziehe es von der Verstorbenen. Mein erster Gedanke ist: „Gut, die sieht ja nicht schlimm aus.“
Bei einer Obduktion werden alle drei Körperhöhlen geöffnet, Bauchraum, Brustraum und Kopf. Während man die Naht die von den beiden Schultern über die Brust bis hinunter an den Schambereich geht, heute meist mit Klammern ordentlich wieder verschließt und dieser Bereich ja später auch von der Leichenbekleidung verdeckt ist, hat man beim Kopf manchmal recht unschöne Ergebnisse.
Oft kann man dann keine offene Aufbahrung mehr machen.
Hier ist aber alles ordentlich gemacht worden, das Kind liegt da, so als ob es nur schlafe. Da kann man guten Gewissens auch eine offene Aufbahrung ins Auge fassen. Ich werde das den Eltern später vorschlagen, aber die Aufbahrung soll bei uns sein, nicht auf dem Friedhof. Wenn so junge Mädchen auf dem Friedhof liegen, wo dann doch keiner so richtig schaut, wer da alles während der Öffnungszeiten die Aufgebahrten besucht, da kommen dann doch viele einfach auch nur zum Gaffen.

Ich nicke Manni zu, er richtet schon die Utensilien her, die er benötigen wird, um die Kleine herzurichten.
Mit dem Aufzug fahre ich nach oben und dann kommt er, der Knall.

Oben kommt mir Frau Büser entgegen und wedelt mit einem Boulevardblatt. Gleichzeitig betreten Monika und Klaus Hartmann unser Bestattungshaus und ich sehe vorne auf dem Tittelblatt die Schlagzeile:

„Mädchen (14) tot, Vater unter Sexverdacht?“

Darunter ist sind Fotos zu sehen. Ein Foto zeigt die Bestattungshelfer meines Kollegen, wie sie die Trage mit der Verstorbenen vom Sterbehaus abtransportieren und ein anderes Bild zeigt das Ehepaar Hartmann mit schwarzen Balken vor den Augen.

Einige Minuten später haben wir folgendes Bild:
Frau Hartmann sitzt in einem Beratungszimmer und heult, Frau Büser kümmert sich um sie. Herr Hartmann hat kurz auf die Zeitung geschaut, dann wurde er leichenblass und ist in Richtung der Toiletten verschwunden, wo er, wie er später wörtlich sagte, sich vor Schreck die Seele aus dem Leib geschissen hat und ich sitze mit der Zeitung in meinem Büro und lese einen unerträglichen Wust aus unbewiesenen, vagen Unterstellungen, Mutmaßungen und Hörensagen. Nichts davon behauptet irgendetwas, nichts davon beschreibt Tatsachen, alles sind nur geschickt formulierte Fragen, die im Kopf des Lesers genau das erzeugen, was sie erzeugen sollen: sensationsgeile Neugierde.

Eine Nachbarin soll gesagt haben, Vater und Tochter seien immer sehr vertraut miteinander gewesen und oft alleine zusammen weggegangen. Ein andere Nachbarin hat gesagt, im Sommer sei das Mädchen „mit dem fraulichen und reifen Körperbau“ oft leicht bekleidet im kleinen Plastikpool herumgesprungen, während der Vater auf der Liege gelegen und ihr zugeschaut habe. Eine Lehrerin des Mädchen hat davon gesprochen, daß es manchmal sehr verschlossen und verstört gewirkt habe.
Ja, ja, das alles richtig verquirlt und einfach so, zusammenhanglos in den Raum gestellt, und dan noch diese Frage als Überschrift…

„Wie kommen die an unser Foto?“ ist das Erste, was Klaus Hartmann mich fragt, als er wieder von der Toilette zurückkommt. Ich weiß es auch nicht.

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(©si)